Es begann im Sommerschlussverkauf
Es ist eine Zeit der moralischen Konflikte.
Im Sommer 2011 von Verena Maria Hesse
Es ist eine Zeit der moralischen Konflikte.
Eigentlich ist man ja eh schon knapp bei Kasse vom Sommerurlaub, dem neuen Strandoutfit, von den unzähligen hochwertigen, dringend notwendig gewesenen Kosmetika, der aufgepimpten Reiseapotheke, der Fahrt mit der Fähre auf die naheliegende Insel, dem Fischessen mit dem Schatz zum Jahrestag, der genau in die Urlaubszeit fiel, und dem Besuch im Unterwassermuseum, weil es einen Tag geregnet hat.
Wie gesagt, eigentlich ist man knapp bei Kasse, aber man kommt aus dem Urlaub zurück und die Stadt erscheint in der Pracht des Sommerschlussverkaufes. Der moralische Konflikt beginnt, sobald man sich mit einer Freundin nur „zum Schauen“ verabredet, weil „ich brauch heuer eh nix”.
Und dann liegt sie da, die blitzblaue Jacke von Marc Cain, nach der man schon seit einer halben Ewigkeit Ausschau gehalten hat. Sie ist reduziert und in der passenden Größe, sie ist einsam und schreit nach einem würdigen Besitzer, man schlüpft nur kurz rein und der moralische Konflikt nimmt seinen Lauf.
Ich kann diese Jacke nicht nehmen. Ich meine, natürlich kann ich, aber ich werde mir mein liebes langes Leben lang Vorwürfe ihretwegen machen und das kann ich noch viel weniger. Andererseits: Ich hab doch heuer im Urlaub die naturfarbenen Sandalen nicht gekauft. Damals habe ich vernünftig gehandelt und mir gedacht, ich kaufe mir lieber dann etwas, wenn ich 100-prozentig davon überzeugt bin. Demnach gilt das dann auch für jetzt, ich bin immerhin 150-prozentig überzeugt. Ich kaufe sie. Ich lasse sie mir ganz klein zusammenlegen, lasse sie mir nur in einer weichen Nylontüte verpacken und stecke sie gleich in meine Handtasche. Es ist nur wegen meiner Moral und wegen meines Schatzes, der muss das ja auch nicht gleich sehen, wenn ich heimkomme.