Mit dem Cabrio durch die Luft
Ein junger Algunder Ingenieur konstruierte die weltweit erste „Cabrio-Seilbahn“
Im Sommer 2012 von Dr. Paul Bertagnolli
Seit Juni 2012 ist die weltweit erste Cabrio-Pendelbahn offiziell in Betrieb – und verantwortlich für die technische Leitung war ein Algunder. Der 40-jährige Ingenieur Andreas Pichler lebt in Luzern und arbeitet bei der Schweizer Seilbahnfirma Garaventa.
Andreas Pichler „ist mit Seilbahnen aufgewachsen“, wie er sagt: Bereits sein Großvater Karl Pichler war bei der Seilbahnfirma Trojer in Algund tätig, bei der auch sein Vater Reinhard Pichler das Seilbahnwesen kennenlernte. Dieser ist seit 1971 für die Südtiroler Seilbahnfirma Leitner in Sterzing freiberuflicher Vertreter. Während des Besuchs der Gewerbeoberschule in Bozen widmete sich Andi, wie man ihn in Sportlerkreisen nennt, vor allem dem Badmintonsport. Er gewann während seiner Sportlerlaufbahn mehrere Italienmeistertitel im Einzel, Doppel und Mixed und holte auch mehrfach mit der Mannschaft den Meistertitel. Ab seinem 15. Lebensjahr gehörte er zehn Jahre lang der italienischen Nationalmannschaft an und bestritt für diese Ranglisten- und Mannschaftsturniere in aller Welt. Er spielte u.a. mit dem Meraner Klaus Raffeiner, wurde Italienmeister im Doppel mit Toni Klotzner und einmal Italienmeister mit seinem Bruder Jochen. Beim Badminton lernte Andreas Pichler auch seine Frau kennen, die Chinesin Wang Yu Yu, mit der er drei Kinder hat. Nach seinem Maschinenbaustudium in München wollte Andreas seine ersten Erfahrungen als Seilbahningenieur im Ausland machen und trat im Jahre 1998 eine Stelle als Projekt- und Entwicklungsingenieur bei der auf Pendel- und Standseilbahnen spezialisierten Firma Garaventa an. Die Konstruktion der Cabrio-Pendelbahn ist für den jungen Ingenieur, der übrigens auch ausgebildeter Homöopath ist, der Höhepunkt in seiner vierzehnjährigen Ingenieurslaufbahn. Die Seilbahn mit Doppelstockkabine und offenem Oberdeck hat eine Kapazität von 60 Personen und führt auf das Stanserhorn am Vierwaldstättersee bei Luzern.
Meraner Stadtanzeiger: Sie erhielten den Auftrag, eine Pendelbahn für Kabinen mit offenem Oberdeck zu konstruieren, was es bisher noch nicht gab. Worin bestand für Sie die Herausforderung?
Andreas Pichler: Eine traditionelle Seilbahnkabine kann durch ihr am Dach befestigtes Gehänge in Fahrtrichtung längspendeln. Die Cabrio-Kabine wird, nicht wie die herkömmlichen Kabinen unter, sondern zwischen den Tragseilen geführt. Dadurch liegt der Schwerpunkt sehr hoch, weshalb die Kabine labiler ist. Die Stabilisierung der Kabine und das Erreichen eines guten Fahrkomforts waren die wichtigsten Herausforderungen. Querstabilität der Fahrbahn, mögliche Zugseilschwingungen und das Evakuationskonzept bei Störfällen gaben uns ebenfalls genug Denkaufgaben.
Meraner Stadtanzeiger: Wie bleibt eine solche Kabine im Gleichgewicht?
Andreas Pichler: Da der Schwerpunkt unterhalb des Kabinendrehpunktes liegt, ist die Kabine stabil, nimmt jedoch bei exzentrischer Beladung extrem schräge Stellungen (Gleichgewichtslagen) ein. Dies ist für den Personenbetrieb untauglich. Zudem machten wir uns Sorgen über den zu erwartenden Fahrkomfort. Die Leute sollten sich, vor allem bei den Stützenüberfahrten, nicht fühlen wie auf einer Achterbahn. Zu lösen war dieses Problem schlussendlich nur mit zwei Hydraulikzylindern, die über eine schnelle Echtzeitregelung die Kabine, unabhängig von der Neigung des Laufwerks, immer nahezu horizontal halten. Derartige Systeme kennt man bei Standseilbahnen, nur dass dort die Fahrzeuge auf einer festen Fahrbahn, nämlich auf Schienen, den Boden entlang fahren. Die Cabriobahn ist eine Luftseilbahn und schwebt auf biegeweichen Tragseilen. Zu kräftige Anregungen der Zylinder würden die Fahrbahn in Schwingung versetzen und könnten gefährliche Zustände hervorrufen. Hochsicherheitsüberwachungen müssen also die schnelle Regelung abschalten, falls solche Störfälle auftreten. Sie sehen, es gab eine Reihe von Fragestellungen, die man bei bisherigen Seilbahnen nicht zu lösen hatte.
Meraner Stadtanzeiger: Sie hatten hier eine große Verantwortung. Wie ging es Ihnen dabei?
Andreas Pichler: Ja, die Verantwortung war schon erheblich und der Druck nicht gerade gering. Solange die Anlage nicht betriebsbereit ist, kann man sich bei einer derartigen Neuheit nie sicher sein, was alles noch auf einen zukommt. Augen und Ohren müssen weit offen sein, damit nichts schiefgeht und die Voraussetzung für ein einwandfreies Funktionieren der Anlage gegeben ist. Funktionalität der Anlage und Sicherheit der Fahrgäste müssen immer erste Priorität haben. Erst danach können bei einem solchen Projekt auch finanzielle Aspekte Einfluss auf die Konstruktion haben. Als verantwortlicher Projektingenieur ist es dabei wichtig, ein gutes und zuverlässiges Team zu haben, das einen tatkräftig unterstützt. Zudem benötigt man, so denke ich, bei derartigen Herausforderungen ein gesundes Gottvertrauen. Man soll sich nicht zu wichtig nehmen und auch das Projekt darf nicht dein ganzes „Sein“ in Anspruch nehmen. Raum für Erholung und Familie muss Platz haben, sonst kann ein zweieinhalb Jahre dauerndes Entwicklungsprojekt schon an einem nagen.
In den letzten Wochen während der Fertigstellung waren 70- bis 90-Stundenwochen die Regel. Da aber alles sehr gut funktioniert hat, war diese Zeit der Inbetriebnahme zusammen mit den Chefmonteuren und dem Technischen Leiter der Stanserhornbahn eine echt tolle und spannende Zeit. Wir hatten zudem auch sehr viel Spaß und das machte die Arbeit noch schöner.
Meraner Stadtanzeiger: Schon bei einer normalen Seilbahn hat man oft ein mulmiges Gefühl. Erreichten Sie die absolute Sicherheit?
Andreas Pichler: Absolute Sicherheit gibt es im Leben aus menschlicher Sicht nicht. Jedoch haben wir uns Tage und Wochen mit Fragen der Sicherheit bei dieser Anlage beschäftigt. Und in diesem Punkt haben wir auch keine Kosten gescheut und sind keine Kompromisse eingegangen. Wie schon oben erwähnt, war z.B. die Hochsicherheitsüberwachung der Niveauregulierung der Kabine ein zentraler Punkt. Es war eine große Erleichterung, als wir diese Überwachungen auf der Anlage testeten und diese zu unserer vollen Zufriedenheit funktionierte. Die Cabriobahn wurde zudem einen Monat lang vielen, zum Teil extremen Tests unterzogen. Das gibt dann schon ein großes Vertrauen. Spätestens dann, wenn Sie selbst einmal damit fahren, werden Sie von den wunderbaren Eindrücken auf dem offenen Oberdeck aber auch vom sicheren Fahrgefühl begeistert sein.
Meraner Stadtanzeiger: Und doch wird die Jungfernfahrt dann etwas ganz Besonderes gewesen sein ...
Andreas Pichler: Ja. Während der Jungfernfahrt war ich extrem wachsam. Zweieinhalb Jahre überlegt man sich tagein tagaus verschiedene Szenarien und deren Lösung. Und dann bei der ersten Fahrt konnte ich fast sämtliche Bedenken ablegen und wusste, dass diese Anlage ein Hit werden würde. Es war ein Gefühl ähnlich wie bei einem Badminton-Italienmeisterschaftsfinale während des letzten Ballwechsels, den man für sich entscheiden kann. Ein unglaublich schönes Gefühl. Ich konnte am Ende einfach nur dankbar sein.