Von kleinen Schatten, die am Abend hinterm Berg verschwinden
Im Sommer 2013 von Verena Maria Hesse
Kennen Sie diese Tage, an denen man in der Früh beim Aufstehen aufs Lego der Kinder steigt, die Haare beim ersten, flüchtigen Blick in den Spiegel schon verraten, dass sie viel Zeit in Anspruch nehmen werden, bis sie in der richtigen Form für die Arbeit sind, das Kaffeepulver gar nicht mehr reicht für eine Portion und die Milch beim Hineinmischen flockt?
Während man frühstückt, merkt man, dass man um 9.00 Uhr einen Termin bei der Fußpflege vereinbart hat, den man unmöglich wahrnehmen kann, weil die Tochter nämlich vorher zur Tagesmutter muss und es draußen regnet, sie außerdem schon wieder hustet und der Kinderwagen einen Platten hat und eigentlich um 9.00 Uhr auch ein Herr von der privaten Krankenversicherung wartet?
Dann schreibt eine der Angestellten ein SMS, dass sie heute nicht kommt, weil sie krank ist und zum Hausarzt geht und es sind nicht nur, wie ursprünglich vermutet, die Haare widerspenstig, sondern es sprießt auch ein richtig großer und schmerzhafter Pickel zwischen den Augenbrauen.
Das Kind möchte seinen Kakao nicht austrinken, es will nicht die blaue, dicke Hose anziehen und auf gar keinen Fall die wärmere Jacke – es möchte unbedingt die Crocs tragen und eine Halskette mit echten Süßwasserperlen, die sie sich aus meinem Schmuckkästchen geholt hat – was ich ihr höchstpersönlich erlaubt habe, um ein paar Minuten Ruhe zum Anziehen zu haben.
Option Auto ist an einem Freitag früh undenkbar, weil quer durch die Stadt fahren, den Markt durchqueren und Schlechtwetter hauen mich zeitlich um Ewigkeiten zurück – bleibt die Hoffnung auf einen pünktlichen und nicht zu überladenen Linienbus mit Kind auf dem Arm und Sitzplatz.
Ich trage Madame mit dem Schirm in der einen Hand und der Tasche, von der man glauben könnte, ich verreiste für ein paar Monate, zur Haltestelle und singe ihr fortwährend vor, damit die Stimmung nicht kippt und sie nicht auf die Idee kommt, selbst zu laufen und in die Pfützen zu springen …
Während der Fahrt storniere ich meine Fußpflege und tröste mich mit dem Gedanken, dass die Sandalensaison sich eh dem Ende zuneigt, ich versuche, die Contenance zu bewahren, als eine ältere, auf keinen Fall aber gehbehinderte Dame mich keineswegs höflich auffordert, ihr meinen Sitzplatz zur Verfügung zu stellen, meine Tochter das ganz und gar nicht angebracht findet und von dem Zeitpunkt an den gesamten 4er-Bus mit kurzem, aber heftigen Brüllen terrorisiert und ich sie nur noch mit Schokokeksen ruhigstellen kann.
Ich bringe sie zur Tagesmutter, sie will nicht, dass Mama geht, ich muss dennoch gehen, überzeugt davon, dass sie in den besten Händen ist, ich eile zur Arbeit, Herr Krankenversicherung wartet schon etwas, der Vormittag verläuft ohne Highlights, zu Mittag regnet es noch mehr, ich bin spät dran, meine Schuhe sind inzwischen ruiniert und meine neue Tasche patschnass, mein Kind erwartet mich schon, ist hundemüde und wird mir jetzt wohl auf dem Weg von der Tagesmutter zur Bushaltestelle im Arm einschlafen.