Der Evangelische Friedhof von Meran
Im Herbst 2015 von Dr. Johannes Ortner
Wie kaum ein anderer Ort verströmt der Evangelische Friedhof am Passerdamm das Flair der vergangenen Größe Merans. Wer da im Schatten ehrwürdiger Bäume zur ewigen Ruhe gebettet wurde, der stellt einen Querschnitt weltläufiger europäischer Geisteskultur dar, die weit über Meran hinausweist und ein bleibendes Denkmal der Toleranz und des Religionsfriedens ist.
Angesichts der Gräber bedeutender oder von Geschichte umrankter Persönlichkeiten, die sich auf diesem Friedhof finden, behauptet der Nürnberger Historiker Fritz Zink in der landeskundlichen Zeitschrift Der Schlern (1983, S. 602): Es liegt hier eine einzigartige Stätte, ein Kulturdokument preußisch-deutscher Geschichte im Westen vor, die zu besuchen jedem Historiker angelegen sein sollte.
Der heutige Friedhof befand sich jedoch nicht immer an der Marlinger Straße. Der erste Evangelische Friedhof Tirols nahm den hinteren Teil des alten Meraner Stadtfriedhofs (Marconipark) ein und befand sich in etwa an der Stelle des heutigen Innerhofer-Parkplatzes. Am 10. Dezember 1861 wurde er mit der Beisetzung von Herrn Alexander Arnemann aus Altona eingeweiht. 1863 wurde er fertiggestellt und erhielt 1864 eine kleine, nicht mehr bestehende offene neugotische Friedhofskapelle. (Abb. 1)
Damit war die evangelische Gemeinde, lange bevor sie eine Kirche (die Christuskirche an der Passerpromenade wurde 1885 errichtet) ihr Eigen nennen konnte, in Besitz eines Begräbnisplatzes. Angesichts des steigenden Zustroms von Kurgästen nicht-katholischer Konfession, war die Errichtung eines nicht-katholischen Friedhofs dringend erforderlich geworden ‒ viele Lungenkranke erlagen ja gerade in Meran ihrem schweren Leiden. Trotz anhaltender Proteste des katholisch-konservativen Klerus entschloss sich der damalige Bürgermeister Gottlieb Putz zur Errichtung des Friedhofs. Hunderte nahmen an dessen Einweihung teil und laut Bozner Zeitung soll ein Partschinser Bauer nach der Predigt des evangelischen Pfarrers bemerkt haben: „Schod, dass des Herrl nit Mess lesen kånn!“ (Abb. 2)
Aufgrund der ständig wachsenden Beisetzungen (allein 1895 waren es deren 31) machte sich die Evangelische Gemeinde im Jahre 1896 auf die Suche nach einem geeigneten Gelände für einen neuen, geräumigeren Friedhof. Schließlich wurden zu diesem Zweck 3000 Klafter Wiesengrund am unteren Greutendamm ( = das linke Passerufer; die dahinter liegende Obstwiesen sind die Greitenlegen) erworben, die Anlage durchgeführt, eine Friedhofskapelle mit Leichenhalle und anschließender Wärterwohnung erbaut und am 10. Dezember 1897 seiner Bestimmung übergeben, so G. Kropp in: Kurzer Abriss der Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde zu Meran, ein Gedenkblatt zu ihrem 50jährigen Jubiläum, 1926, S. 10. (Abb. 3)
Dass dieses Grundstück in den Historischen Katastermappen des Franziszeischen Katasters von 1858 ob der vielen Passerüberschwemmungen justament Verdammte Leg genannt wurde, sei hier nur am Rande bemerkt. Ein Beispiel von der Verwandlung eines verflixten Stücks Erde in ein Stück Himmel!
Auch am neuen Standort nahmen die Beisetzungen bis 1913 stetig zu, 37 allein im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nach der Annexion Südtirols durch Italien, war die Zahl der Gemeindemitglieder jedoch stark rückläufig, denn der Zustrom evangelischer Gäste ließ schlagartig nach ‒ dementsprechend sank auch die Anzahl der Begräbnisse. Es begann die Zeit des Dornröschenschlafs für den verträumten Gottesacker am Greitendamm, denn Geldmittel für den Unterhalt der Grabmäler, der Kapelle und der übrigen Gebäude versiegten beinahe.