Leben für die Kunst
Karl Margraf und seine Tochter Elisabeth
Im Winter 2016 von Waltraud Holzner
Er war charmant. Er war fleißig. Er war genial! Karl Alexander Margraf leistete Pionierarbeit, um das nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges brachliegende Kunstleben der Stadt Meran zu neuem Leben zu erwecken. Und nicht nur das. Der Rückblick auf sein bewegtes Leben lässt die vielen Facetten seiner Begabungen und seine nimmermüde Tatkraft erkennen. Am 25. Dezember 2015 jährte sich sein Todestag zum zehnten Mal.
Viele Meraner erinnern sich an den stets freundlichen Herrn mit den wehenden, weißen Haaren. Und seinem großen Freundeskreis sind die Stunden in seinem gemütlichen Haus in der Obermaiser Apothekergasse unvergesslich. Wie in den Salons der Belle Époque wurde Musikalisches und Literarisches geboten, oft setzte sich der Hausherr selbst ans Klavier und spielte und seine Frau Elfi verzauberte die Gäste mit lukullischen Genüssen. Noch im Alter von 90 Jahren war er dabei, als viele Meraner vor dem Rathaus gegen den Abbruch einiger wertvoller Jugendstil-Bauten protestierten.
Singen und musizieren von Kindesbeinen an
Karl Margraf wird am Sonntag, den 21. April 1912 im mittelfränkischen Ansbach geboren.
Die Familie zieht nach Eichstätt und dort wird der Domkapellmeister auf die glockenreine Stimme des Buben aufmerksam. Als einziges Kind darf er im Domchor mitsingen. Ab dem zehnten Lebensjahr bekommt er Klavierunterricht und auch im Gymnasium von Kempten wird seine Musikbegabung gefördert. Nach dem Abitur setzt Karl seine Studien an der Akademie der Tonkünste in München fort, wo er bei in der Fachwelt noch heute bekannten Meistern Unterricht erhält, wie zum Beispiel von Richard Trunk und dem berühmten Kammersänger Georg Hann. In dieser Münchner Zeit kann sich auch erstmals sein künstlerisches Talent auf einer anderen Ebene entfalten: Karl kann als Filmschauspieler erste Erfolge verbuchen. In seinen späteren Lebensjahren sollte diese Sparte eine Symbiose von Hobby und Beruf werden.
Der umschwärmte Bariton muss an die Front
Nach ersten Engagements an der bayerischen Landesbühne wird Karl Margraf als Bariton an das Grenzlandtheater Bautzen berufen, wo er große Erfolge feiern kann. Dort lernt er die Meraner Sopranistin Edith Hölzl kennen und am 28. August 1939 heiratet das Paar in der Kapelle von Schloss Tirol.
Neben dem beachtlichen Opernrepertoire ist Margraf auch ein feinfühliger Interpret klassischer Lieder und ein gefragter Oratoriensänger. Vier Jahre lang wirkt der junge Künstler in Bautzen. 1940 wird er vom „Deutschen Veranstaltungsdienst“ verpflichtet, der damals für die künstlerische Wehrdienstbetreuung verantwortlich ist und Gastspiele im In- und Ausland vermittelt. So tritt Karl Margraf in Amsterdam und Paris auf. Im Théâtre des Champs Élysées singt er an die fünfzig Male den „Barbier von Sevilla“ in der gleichnamigen Oper von G. Rossini.
Karl Margraf ist so umschwärmt, dass er sich einige Male aus dem Fenster der Künstlergarderobe vor den außer Rand und Band geratenen Verehrerinnen retten muss.
1942 wird Karl Margraf zum Militärdienst einberufen und kämpft an der russischen Front. 1945 wird er verletzt und nach Kitzbühel gebracht. Endlich, im Mai, ist der Krieg zu Ende und Karl fährt nach Meran zu seiner Frau, die schon ein Jahr zuvor aus Deutschland zurückgekehrt war.
Neuer Anfang in Meran
Das Meraner Stadttheater, dieses architektonische Juwel, hatte unter den Kriegswirren sehr gelitten und auch das kulturelle Leben der Stadt war erloschen. Karl Margraf sieht diesen Notstand und wagt sich mit unglaublicher Tatkraft daran, das Theater- und Musikleben wieder in Schwung zu bringen. Etliche namhafte Künstlerpersönlichkeiten leben in Meran und diese werden zu den tragenden Säulen des neu erwachten Kulturlebens.
Hochkarätige Musiker wie Gilbert Graf Gravina, Urenkel von Franz Liszt, hatten die Leitung des Meraner Kurorchesters inne, das auch für Opern und Konzerte eingesetzt wurde. Bei aufwendigen Aufführungen wurden Mitglieder der Algunder Musikkapelle zur Verstärkung eingesetzt.
Zum damaligen Repertoire gehören auch Liederabende, Operettenkonzerte und Oratorien-Aufführungen. Im Schubert-Gedenkjahr 1947 veranstaltet Karl Margraf mit dem Südtiroler Künstlerbund eine Gedenkfeier, wobei auch er selbst Lieder vorträgt. Bis 1948 bestreitet die von ihm gegründete Südtiroler Landesbühne alleine den Spielplan. Erst danach ist es möglich, Künstler und später auch Bühnenensembles samt Dekorationen aus den Nachbarländern nach Südtirol einzuladen. Die meisten dieser Aufführungen finden im Stadttheater von Meran statt, in Bozen ist nur das Corso-Theater bespielbar, da das dortige Stadttheater von Bomben zerstört worden ist. In den ersten Nachkriegsjahren stellt Familie Staffler für Liederabende einen würdigen Saal in ihrem „Hotel Greif“ zur Verfügung
Ab 1948 haben Chöre und Orchester aus dem deutschen Sprachraum wieder die Möglichkeit, offiziell nach Südtirol einzureisen. So geben die Wiener Sängerknaben schon in diesem Jahr sieben Konzerte in Südtirol, und in Bozen und Meran wird mehrere Male die Passion von Max Baumann unter der Gesamtleitung Margrafs aufgeführt.
Nun eröffnet sich beim Rundfunk des Senders Bozen ein großer Aufgabenbereich, so dass Margrafs Liederabende im Pavillon des Fleurs immer seltener werden und sich seine Tätigkeit sehr in den Management- und Inszenierungsbereich verlagert.
Das Angebot wird immer größer, das Budget immer kleiner ...
Anfänglich betreibt Karl Margraf sein Theatermanagement mit eigenen Mitteln. Heute sind Banken und Firmen großzügige Förderer der Künste, damals jedoch gibt es keine Sponsoren. Aber man kommt dem beliebten Kulturinitiator bei der Unterbringung der Künstler sehr entgegen. Das Hotel Greif in Bozen verrechnet einen besonderen Theaterliebhaberpreis für die Stars, in Meran ist es die Familie Glatt in der Pension Mignon und in Bruneck sind es die Familien von Grebmer und Mariner, die eine noble und dabei preisgünstige Unterbringung der Theaterleute gewährleisten. Ein überaus gastfreundlicher Kunstmäzen ist in dieser Pionierzeit der Bozner Kaufmann Walter Amonn. Ganze Theaterensembles werden in seiner Villa bewirtet, die Künstler sind beeindruckt von der Freundlichkeit, die ihnen in Südtirol zuteil wird.
Die Kurverwaltung Meran gibt für manche Aufführungen einen Beitrag. Aber dem damaligen Landeshauptmann Karl Erckert und seinem Nachfolger Alois Pupp ist es trotz bestem Willen und Einsicht der Notwendigkeit nicht möglich, entsprechende finanzielle Zuschüsse zu gewähren.
So wird, ungeachtet des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Fünfzigerjahren und aller ökonomischer Planungen, für Margraf die Umsetzung eines erstklassigen Kulturangebotes auf eigene Rechnung zu riskant. Zum Glück erwirkt der Kultur-Arbeitskreis, der sich um Hochw. Josef Ferrari schart, 1954 die Gründung des „Südtiroler Kulturinstitutes“, das seit damals für die kulturellen Belange unseres Landes zuständig ist.
Margraf, der sich seit fast einem Jahrzehnt für den Wiederaufbau des kulturellen Lebens in Südtirol eingesetzt hat, ist natürlich der geeignetste Mann für den Bereich „Theater und Musik“. Er übernimmt diese ehrenvolle Aufgabe als freier Mitarbeiter beim Südtiroler Kulturinstitut. Dreiunddreißig Jahre, bis zum Ende der Spielzeit 1986/87, wird der gesamte Tätigkeitsbereich „Gastspiele und Konzerte“, von der Spielplanvorschau über die Abwicklung der Aufführungen und die Betreuung der Ensembles bis zur Endabrechnung, von ihm gemanagt.
Im April 1967 wird das Haus der Kultur „Walther von der Vogelweide“ in Bozen eröffnet. Endlich gibt es hier ein eigenes Theater für deutschsprachige Aufführungen. Die Besucherzahlen sind ständig im Steigen begriffen und nun werden in Bozen und Meran auch Theaterabonnements eingeführt. Karl Margraf gelingt es, den Spielplan mit einigen außergewöhnlichen Highlights zu bereichern. So zum Beispiel Gastspiele des Residenztheaters München mit Heinz Kraehkamp und Michael Altmann in Stücken von F. K. Waechter und „Kein Platz für Idioten“ (Gastspiel der Österreichischen Landesbühne Wien), erstes Stück des inzwischen berühmten Autors Felix Mitterer.
Eifriges Kulturmanagement mit vielerlei Schwierigkeiten
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren pflegt Margraf mit dem Meraner Musikverein eine enge Zusammenarbeit. Weltberühmte Interpreten wie Friedrich Gulda, Ingeborg Hallstein, Ella Goldstein und viele andere gastieren in Meran. Ein weiteres wesentliches Element im musikalischen Bereich sind nun die Konzerte des Meraner Männergesangvereins, dessen Chorleitung Margraf bis Mitte der Sechzigerjahre ausübt. Die unvergesslichen Narrenabende gestaltet er zusammen mit Willy Gutweniger bis Ende der 70er-Jahre. Für das Herbstkonzert des MGV kommen ausländische Solisten und Mitglieder des Innsbrucker Symphonieorchesters nach Südtirol.
Es sind auch immense bürokratische Schwierigkeiten zu überwinden. Die politische Lage ist schlecht. Alles, was aus dem deutschsprachigen Raum kommt, wird mit Arglist betrachtet. Für Theateraufführungen muss der gesamte Text ins Italienische übersetzt und mit dem Ansuchen um Genehmigung nach Rom geschickt werden. Endlose Wartezeiten, immer neue Formalitäten sind nur einige der zermürbenden Hindernisse, mit denen Kulturschaffende zu kämpfen haben. Erst im Laufe der Zeit entspannt sich die Lage und der bürokratische Aufwand schrumpft auf ein erträglicheres Maß.
Das Meraner Stadttheater, ein wunderschöner Bau im Jugendstil, wird am 01.12.1900 eröffnet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Theater ein Kinosaal, in den späten Sechzigerjahren wird es geschlossen.
Am 28.11.1978 wird seitens der Meraner Stadtgemeinde das Stadttheater mit Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ wiedereröffnet. Am 03.12.1978 findet unter der Patronanz des Südtiroler Kulturinstitutes die Einweihung mit einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters „Iphigenie auf Tauris“ statt.
Karl Margrafs Tätigkeiten für die RAI
1946 beginnen erste deutschsprachige Rundfunksendungen der RAI Bozen. Es gibt mangels technischer Hilfsmittel nur Livesendungen. Karl Margraf ist nun des öfteren mit Liedern von Schubert und Brahms zu hören, auch singt er zusammen mit seiner Frau Edith Hölzl Opern- und Operettenarien und Duette. Er inszeniert auch mehrere hundert Hörspiele für die RAI. Ende der Fünfzigerjahre löst Margraf seine Tätigkeit bei der RAI auf. Erst Mitte der Sechzigerjahre, als das deutschsprachige Fernsehen des Senders Bozen in den Kinderschuhen steckt, werden auf Anraten und Vermittlung des Impresarios Margraf mehr als drei Dutzend Aufzeichnungen von Theaterstücken für das deutsche TV-Programm des Senders Bozen gemacht. Der „harte Kern“ der Hörspielgestalter im Sender Bozen sind damals Erika Fuchs, Sophia Magnago, Karl-Heinz Böhme, Max Bernardi, Ingeborg Brand, Edith Hölzl und Karl Margraf.
Eine lebenslange Leidenschaft für den Film
Wie schon erwähnt, sammelt Karl Margraf schon als junger Sänger erste Erfahrungen mit dem Metier Film. In den Jahren, wo er bereits für das Südtiroler Kulturinstitut tätig ist, kann er ab und zu bei Filmarbeiten mitwirken, manchmal als Darsteller, später dann vorwiegend als Produktionsleiter. Bis Anfang der Sechzigerjahre sind es neun Produktionen, in denen Margraf in irgendeiner Art mitmischt. Damals drehen die Eltan Filmgesellschaft und die Mengon-Film in Südtirol und in verschiedenen Städten und Provinzen Italiens.