Flurnamen - Quellen historischer Forschung
Teil 2
Im Winter 2010 von Dr. Johannes Ortner
Die Bedeutung der Namen der Höfe und Fluren ist eine der wichtigsten Quellen historischer Forschung eines Landstrichs. Außerdem stellt die Pflege und Weitergabe des Namenguts für eine Gemeinschaft einen bedeutenden, die Identität stiftenden Faktor dar.
Als Quelle dienen die in mündlichen Gesprächen abgefragten Namen (Flurnamensammlung Südtirol, die am Landesarchiv in Bozen einsehbar ist), das Werk „Die Hofnamen im Burggrafenamt und in den angrenzenden Gebieten“ des verdienten Hofnamenforschers Josef Tarneller, sowie das Tiroler Ortsnamenbuch von Karl Finsterwalder (als Schlern-Schriften in drei Bänden erschienen).
Abkürzungen:
mda. (= mundartlich)
Gratsch (und Grenzfluren zu Algund)
- Purgpåch (Burgbach): Der Name kommt von Schloss Tirol, dessen Gebiet und die Mut zum sogenannten Burgfrieden (Gerichtsbereich der Burg) gehören. Der Bach rinnt westlich von Schloss Tirol vorbei. Sein Wasser wird südwestlich vom Bamguater in Gratsch bei der Burgbachbrücke in den Algunder Mühlbach geleitet.
- Kircherraut (Kircherraut) und Kircherrundell (Kircherrundell): mda. Raut ‘Rodung’. Mit Raut oder Raitl (Verkleinerung) werden im Burggrafenamt allgemein die Weingüter in Steillage bezeichnet, die jünger als die Weinäcker in den flacheren Hanglagen sind. Das Rundell zwischen Kircher (bei der Kirche St. Magdalena) und Thurnergut weist wohl auf die konkave Lage dieses Weinackers in einer Geländemulde hin.
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’s Vourlånt (Vorland): Wie in Schenna (Vorlandweg) wohl aus „auf Haarland“ > ’f Hourlånt entstanden. Mda. ’s Hoor ‘Flachs; Leinen’. Der Weinackername beim Kränzler und bei der gleichnamigen Kränzlergåss (Kränzlergasse) deutet also auf ein früheres Flachsfeld hin. Auch der Algunder bzw. Gratscher Mühlbach heißt an seinem Unterlauf (im Bereich des Meraner Stadtfriedhofs) Hoorwool (Haarwaal). Sein Wasser diente dazu, das geerntete Hoor abwechselnd zu befeuchten und zu erhitzen. Dieser Prozess machte die Flachsfaser spröde. Anschließend wurde die Faser in einem Brechlofen erhitzt und gebrechelt (geknickt), um schließlich aus ihr Leinenkleidung zu weben.
Das Tirolerische Waal, mda. Wool, stellt – wie der Großteil der Bewässerungsterminologie (Kuundl, Road, Tschett) – eine Entlehnung aus dem Romanischen dar, nämlich *aquale ‘Wasserlauf’. - Geproat (Gebreit): Die Obstwiesenflur befindet sich zwischen Stefflgåss und Burgbach nördlich vom Bamguater (Steffl ist übrigens die Vulgo-Bezeichnung für den Hof Gassgut). Flurbezeichnung wie Breiten oder Gebreiten gibt es im Burggrafenamt einige: in Riffian, in Kuens (Hofname Breiter), in Schenna, in Plars. Sie gehen auf die mittelalterliche Urbarmachung des Landes zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert zurück und bezeichnen Ackerfluren in Gunstlage. Im Vinschgau ist – unseren Gebreiten entsprechend – der Begriff Quadra bekannt. Die Bezeichnung des Streuweilers Quadrat in Partschins, mda. Goodregg, geht auch auf romanisch *quadratu zurück.
- Pouflwisn (Pofelwiesen): Obstwiesen südlich des Mühlbachs (Gemeinde Algund, früher Gratsch). Mda. Poufl ‘Nachmahd; dritter Grasschnitt’. In den gut bewässerten Wiesen waren einst wohl drei oder vier Grasschnitte möglich. Mda. Hai (Heu), Gruemet (Grünmahd), Poufl (aus dem Romanischen povulu ‘gewöhnlich, bescheiden, klein’) und Noochpoufl (Nachpofel).
- Bleiben wir in Algund: Zwischen den Fluren Rosengarten und Breitofen befindet sich der Plummer bzw. Plummmüller. Der Name des Hofs am Knick des Breitofenwegs direkt am Mühlbach geht auf ein romanisches camplung ‘langes Feld’ zurück (1353 Camplong, 1357 Camplung, Champlung, 1390 pratum Camplong).
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Die Linie zwischen Weinreichkapelle, Weinreich, Saltenhofer, Lahngut, Leiter und Leitermühle wird vom Keschtngreibm (Kestengröben, Köstengröben) eingenommen, in Gratsch einfach nur die Lahn genannt. Der Name Lahngütl (1808 Lanhaus) rührt von den Lahnäckern am Unterlauf des Kestengröbens her. Mda. Lan ‘Lawine’, (hier eher) ‘Mure, Erdlawine’.
Der Kestengröben schneidet sich in das Moränenschuttmaterial östlich von Schloss Tirol ein und ist nach den dort teils wild gedeihenden, teils in Hainen angesetzten Esskastanien benannt, den wohlbekannten Keschtn. Der Charakterbaum unserer Mittelgebirgslandschaft war früher als Brot der Armen hoch geschätzt und genoss dementsprechende Verehrung.
Mit dem Wort Greibm (Gröben) bezeichnet die bodenständige Burggräfler Mundart einen oft vermurten Geländeeinschnitt. Das Wort Greibm leitet sich vom Dativ des Althochdeutschen grabo ab, der grebin lautete. Der Kestengröben heißt in seinem Mittellauf auch Brunnenburger Tal (nach der Brunnenburg), an seinem Oberlauf auch Hoarer-Rifen (Hoarer ist Hofnamen in der Gemeinde Tirol, Flur Haslach). Mit Rifen werden in Tirol und Kuens die lehmhaltigen Hänge (Schloss Tirol, Finele) benannt, welche vom Eiszeitgletscher abgelagert wurden. Die Bezeichnung ist als Lehnwort aus dem Romanischen rovina ‘Mure, Lahn’ in die Tiroler Mundart gelangt. Die Mauerreste oberhalb vom Knappenloch bei Schloss Tirol sind als Schloss Rubein belegt (auch aus romanisch rovina abzuleiten). Steht die jüngere Obermaiser Anlage Rubein mit diesem „Ursitz“ in Zusammenhang?