Vom Wohnen zum Leben - Anleitung in sechs Schritten
Im Winter 2011 von Verena Maria Hesse
Es beginnt schön langsam die Zeit, in der es sich viele Erdenbewohner zum Ziel machen, ihre Heime frühlingstauglich zu machen.
- Es wird „alla grande“ ausgemistet. Der Herr des Hauses bekommt die Aufgabe, mit dem Auto alles zu entsorgen, was in der schöneren Jahreszeit nicht mehr gebraucht wird und damit Platz für neue Dinge (die zwar auch nicht gebraucht werden, aber neu sind) zu machen.
- Es werden Balkone, Terrassen und Gärten gereinigt, um schnellstmöglich Neues, Buntes, Gesundes fürs Frühjahr zu pflanzen, „damit wir heuer öfter draußen frühstücken können; denn Platz hätten wir ja.“
- Es wird in der Gärtnerei Grünes erworben. Und Zwiebelchen. Und Samen.
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Man fährt nach Innsbruck zu Ikea.
Und dort sollte man samstags im Frühling noch viel weniger hinfahren als in der Vorweihnachtszeit. Dort spielen sich nämlich Dramen ab.
Natürlich samstags, denn da haben beide Ehepartner Zeit. Man diskutiert über Vorhangstoffe, einen neuen Lesesessel und ob man überhaupt Ikea Family Mitglied werden sollte oder nicht. Man liegt Probe, lässt sich von den unglaublich kleinen und unglaublich nett eingerichteten Schauwohnungen zum Kauf von Bastkörben und Kartonschachteln mit Etikett als Stauraumorganisationsmedien verleiten, man öffnet und schließt Küchenladen und kauft Papierservietten in den sieben Trendfarben.
Man beklagt sich über die unfreundlichen Mitarbeiter und die nicht mehr lagernden Expedit Regale (kein Wunder, wenn jeder zweite, in Mitteleuropa lebende über 14-Jährige so was bei sich zuhause stehen hat - und dass die Mitarbeiter spätestens um 18 Uhr am Samstag die Nerven wegwerfen, wundert mich auch nicht).
Man erwirbt Vasen, Tischsets und Teelichthalter in „den neuen Frühjahrsfarben“, man kauft Auflagen für die Korbsessel am Balkon und die 153. Aufbewahrungsbox fürs Spielzeug der Kinder (nicht, dass die 152 davor jemals etwas zu mehr Ordnung im Kinderzimmer beigetragen hätten).
Man fachsimpelt über die Farbpsychologie beim Wohnen, ob rot tatsächlich aggressiv macht und dass man dann besser die Finger davon lassen sollte, man zieht sich in den 20 Minuten Mittagspause die Fleischbällchen und einen Schwarzbeermuffin rein mit 1,7 l Pepsi Cola (weil „all you can drink“ an den Zapfsäulen im Family Restaurant), dann wandert man andächtig durch die „alles um 1,5 Euro Abteilung“ direkt unter der Stiege im Erdgeschoss und kauft diese bunten Kleiderbügel, die man dort immer kauft, weil sie echt praktisch sind. Und Batterien. Unzählige, gelbe Ikea Batterien, von denen man deshalb so viele braucht, weil sie einfach qualitativ minderwertig sind.
Man diskutiert über eine neue „leichtere Frühlingsbettwäsche“, über eine Pinnwand im Flur für die Einkaufslisten und über Rahmen für die Urlaubsfotos.
Am Ende kauft man ein paar Topfpflanzen, die wirklich günstig, aber auch wirklich schwer am Leben zu erhalten sind, und schaut noch kurz in die Fundgrube, ob es dort noch was Günstiges gäbe (wohlgemerkt am Ende der Runde!).
Dann, nach dem Dickmann Kauf im Schwedenshop, hat man sich früher ein wirklich leckeres Paar Frankfurter Würstchen gegönnt, heute gibt’s nur mehr Hot Dogs und die Würstchen im Inneren sind leider nicht mehr dieselben. - Man fährt nach Sinich zum Obi, um das, was man woanders versäumt hat, an Befestigungsmöglichkeiten zu checken, bzw. um sich grundsätzlich ein Bild davon zu machen, was es Neues für Haus und Garten gibt.
- Man fährt heim, packt aus und das Aggressionspotenzial steigt immer mehr. Einer will gleich anfangen, der andere möchte den „Feierabend“ gemütlich ausklingen lassen und lieber in Ruhe am Sonntag zur Tat schreiten.
Und am Montagmorgen kann man sich dann im Büro zurücklehnen und die Kollegen mit ruhigem Gewissen fragen: Wohnst du noch oder lebst du schon?