Interview mit Ewald Kontschieder
Dem Mitbegründer und Hauptmotor der Gruppe „Muspilli“
Im Herbst 2012 von Gudrun Esser
Meraner Stadtanzeiger: Ewald Kontschieder, wie ist die Gruppe Muspilli überhaupt entstanden?
Ewald Kontschieder: Eigentlich aus einem praktischen Interesse heraus. Wir drei Studienkollegen haben ein Projekt in Naturns entwickelt, für die eigentliche Ausführung fehlten aber Leute. An sich hatten wir nur an Malerei und Musik gedacht, doch das Thema hat uns auch Tanz nahe gelegt. Dann habe ich mich auf die Suche nach Tänzern und Tänzerinnen gemacht und habe diese auch gefunden. Aus dieser ersten Aufführung ist dann tatsächlich auch die erste Muspilli-Gruppe entstanden. Mitdenker waren ein Designer, der selbst Musik gemacht hat, und ein Maler. Beide sind letztlich weggefallen und dafür kamen Marzia Mura, Alessandra Marabese und Harald Costa. Diese erste Erfahrung war dann auch Ansporn für weitere Aufführungen.
Stadtanzeiger: Wie etabliert war diese Ausdrucksform des Tanztheaters im Jahr 1992?
Ewald Kontschieder: Gar nicht. In ganz Südtirol gab es keine aktive Tanztheatergruppe. Allerdings gründeten, wenn ich mich recht erinnere, zeitgleich mit uns Doris Plankl und Veronica Ritz auch einen Tanztheaterverein. Es gab seit den 80er-Jahren zwar schon den Bozner Tanzsommer, aber dort traten eben hauptsächlich Künstler von außerhalb auf. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich Tanztheater bereits in den 70er-Jahren etabliert hatte. Damals hatte man auch die weltbekannte Tänzerin und Choreografin Pina Bausch, über die Wim Wenders 2011seinen 3-D-Film in die Kinos brachte, nach Deutschland zurückgeholt und gefeiert. Bei uns war in der 80er-Jahren noch alles in den Kinderschuhen. Ich bin Pina Bausch an der Uni begegnet, eine beeindruckende Frau, die auch die Begeisterung für diese Ausdrucksform in mir mit entflammt hat.
Stadtanzeiger: Südtirol war zwar im Aufbruch, doch durch die noch nicht so lange zuvor errungenen Autonomierechte war das Land ja auch noch sehr traditionsorientiert. Moderne Ausdrucksformen begannen ja erst, sich durchzusetzen. Hatten die Menschen für diese spezielle Ausdrucksform überhaupt Antennen?
Ewald Kontschieder: In kleineren Gemeinden wie Naturns oder Dorf Tirol haben die Menschen eigentlich von Anfang an unser Tanztheater mit großer Begeisterung aufgenommen. Sonst trifft es schon zu, dass die Kulturpolitik eher noch traditionell ausgerichtet war. Das Südtiroler Kulturinstitut hat aus dem deutschsprachigen Raum importiert und die Italiener haben sich am Süden orientiert. Das hat das Entstehen kreativer Szenen zum Teil auch blockiert. Eine Ausnahme war der Bozner Komponist Hubert Stuppner, der mit seinen Kompositionen die zeitgenössische Musik weitergebracht hat. In Meran gab es immer mal wieder Versuche mit experimenteller Musik. Die meisten ersten Ansätze haben sich aber nicht weiter entwickelt. Südtiroler Eigenproduktionen des zeitgenössischen Musiktanztheaters waren vor zwanzig Jahren selten.
Stadtanzeiger: Die Tatsache, dass Muspilli nun zwanzig Jahre alt ist, bedeutet, dass Ihr offenbar in die richtige Richtung getanzt seid. Gibt es noch Entwicklungsmöglichkeiten? Wie sollen die nächsten zwanzig Jahre aussehen?
Ewald Kontschieder: Tanz ist ja entfaltete Lebensenergie an sich, also ein kreativer Ausdruck von Leben, insofern auch für jeden von uns nachvollziehbar, aber auch eine Bereicherung für die Bühne. Nach wie vor ist Tanztheater rar, wenngleich Transart viele Projekte und interessante Mischformen von Musik, Tanz und anderen Kunstformen nach Südtirol gebracht hat. Es gibt immer mal wieder was, aber eben keine durchgehende Präsenz dieser Ausdrucksform.
Stadtanzeiger: Sind der Bozner Tanzsommer oder Transart Konkurrenz oder machen sie den „Publikums-Boden“ auch für die Gruppe Muspilli fruchtbarer, sodass also Leute mehr Interesse zeigen?
Ewald Kontschieder: Sie bieten Seh-, Hör- und Erlebenserfahrung und Erlebensräume, die es früher natürlich nicht gab. Um solche Kunstgattungen zu sehen, musste man vor 20 Jahren andere Städte aufsuchen. Der große Unterschied zwischen dem, was Muspilli auf die Beine stellt, und solchen Produktionen, ist, dass wir viel mit regionalen Künstlern arbeiten und versuchen, zunehmend den Kontakt zur internationalen Szene auszubauen. Das andere wird eingekauft. Aber man muss realistisch bleiben. Südtirol ist vielleicht auch zu klein, als dass hier eine breite Tanzszene entstehen könnte.
Stadtanzeiger: Liegt es also an der „Größe“ des Landes?
Ewald Kontschieder: Es gibt vor allem keine Ausbildungsstädten, keinerlei Geschichte oder Tradition, auf die man aufbauen kann, das macht es natürlich schwer, dass eine Kunstform wie Tanztheater entstehen oder wirklich nachwachsen kann. Also verlassen die meisten Südtiroler Talente das Land. Einige fähige talentierte Tänzer leben in Paris, Frankfurt oder in England. Der Bozner Tanzsommer ist zwar eine gute Bühne, bewältigt sein Programm aber nach wie vor dadurch, dass er Inszenierungen einkauft. Das erschwert einheimischen Tänzern natürlich wiederum die Möglichkeiten, sich im Land weiterzuentwickeln.