Streetwork?
Streetwork = Straßensozialarbeit = mobile Sozialarbeit
Streetwork ist eine Art der sozialen Arbeit, mit der man Menschen in problematischen Lebensumständen, die nicht durch herkömmliche Hilfseinrichtungen erreicht werden, helfen kann.
Wer sind die Streetworker?
Streetworker sind im Normalfall diplomierte Sozialarbeiter, die mittels ihrer Arbeit versuchen, Zugang zu bestimmten Zielgruppen herzustellen. Bei uns im Burggrafenamt sind sie in erster Linie Jugendarbeiter. Das heißt, sie arbeiten mit und für Jugendliche jeglicher Sprachgruppe im Alter zwischen 12 und 25 Jahren. Und ob die Streetworker nun diplomierte Sozialarbeiter sind oder nicht, wichtig ist, dass sie mit den Herausforderungen des Berufes zurechtkommen. Dies wird in der zweimonatigen Probezeit für amtierende Streetworker getestet.
Wie gehen die Streetworker vor?
Ihre Zielgruppe sind jene Jugendlichen, welche ein risikobehaftetes Verhalten wie Kriminalität, Gewaltbereitschaft, ideologische Radikalisierung und/oder Suchtmittelkonsum aufweisen und von sozialer Ausgrenzung und Verwahrlosung bedroht sind.
Die „erste Phase“ ihrer Arbeit ist die sogenannte „aufsuchende Beziehungsarbeit“. Es ist dies der entscheidende Teil ihrer Arbeit. Das, was sie so besonders und wertvoll macht. Die Streetworker gehen dorthin, wo etwas los ist, lernen die jungen Menschen in Gesprächen kennen und bieten ihre Hilfe all jenen an, die sie nötig haben und annehmen wollen.
Durch die kontinuierliche Präsenz und unaufdringliche Art und Weise bauen sie so ein Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen auf und werden zur Anlaufstelle für jene, die Hilfe wollen. Das Konzept ist sehr erfolgreich, weil es für einen Jugendlichen mit Problemen tausendmal schwieriger ist, zu Bürozeiten in eine soziale Dienststelle zu einem Unbekannten zu gehen, als sich an einen Bekannten, vielleicht schon einen Freund von Streetwork zu wenden, dem er vertraut.
Die zweite Phase der Arbeit ähnelt jener herkömmlicher Sozialeinrichtungen. Sie umfasst sozial-pädagogische Begleitung von Einzelpersonen und Gruppen, Einzelberatung für Jugendliche und Elternberatung.
Interview:
Wir führten ein Gespräch mit dem Leiter des Streetwork im Burggrafenamt, Salvatore Cosentino.
Meraner Stadtanzeiger: Wie sind Sie Leiter des Streetwork in Meran geworden?
Salvatore Cosentino: Ich war, bevor ich diese Stelle angenommen habe, im Jugendzentrum „Strike Up“ als Jugendarbeiter tätig. Ab einem gewissen Zeitpunkt fühlte ich mich dort nicht mehr „geeignet“, weil das Verhältnis, das man zu den Jugendlichen hat, sich entsprechend dem eigenen Alter ändert. Ich habe dann ein Jahr lang etwas anderes gemacht, bis ich mir gesagt habe, ich will wieder mit Jugendlichen arbeiten.
Schon als ich noch im Jugendzentrum arbeitete, interessierte ich mich für Streetwork. Hauptsächlich, weil ich aus eigener Erfahrung wusste, dass die Jugendarbeit, die an einen Ort gebunden ist, nicht zeitgemäß oder besser gesagt, nicht ausreichend ist. Dass man hingegen mit einem mobilen Jugenddienst, der sich regelmäßig im ganzen Territorium bewegt, das eigene Arbeitsziel sehr viel effizienter und besser erreicht. Und zwar, den Jugendlichen die in Schwierigkeiten stecken, zu helfen.
Genau in dieser Zeit suchte der Jugenddienst Meran jemanden für Streetwork und so habe ich mich beworben.
MS: Seit wann gibt es Streetwork hier in Meran schon? Und wieso gibt es Euch „nur“ im Burggrafenamt und nicht auch zum Beispiel in Bozen oder Brixen?
Salvatore Cosentino: Streetwork wurde vor ca. 10 Jahren hier in Meran ins Leben gerufen, weil es damals vermehrt Problem mit rechtsradikalen Jugendlichen gab. Und ein Aspekt unserer Arbeit ist ja, mit solchen Subkulturen in Verbindung zu treten und die Jugendlichen vor Radikalisierung zu bewahren. Heute beschäftigen wir uns mit sehr viel mehr als „nur“ mit jugendlichen Nazis. Und es gibt uns hier immer noch, weil sich gezeigt hat, dass unsere Arbeit gut funktioniert und gebraucht wird.
Der Trend in Südtirol ist, Streetwork in der ganzen Provinz einzuführen.
MS: Wieso braucht es Streetwork in Südtirol? Ist das nicht eher etwas für Großstädte?
Salvatore Cosentino: Ich würde eher fragen, wieso sollte es bei uns kein Streetwork brauchen? Es mag sein, dass diese Art der Vorgehensweise, diese „aufsuchende Jugendarbeit“ in Großstädten entstanden ist, aber funktionieren tut sie überall gleich gut. Und brauchen tut es sie überall dort, wo es Menschen gibt, die aus dem einen oder anderen Grund Schwierigkeiten haben, alleine und von sich aus die bestehenden sozialen Dienste aufzusuchen und zu nutzen.
Der Punkt ist, dass es bei uns nicht an sozialen Einrichtungen mangelt, es aber faktisch so ist, dass es viele junge Menschen gibt, denen es nicht leicht fällt, den Schritt zu diesen Diensten oder Einrichtungen hin zu wagen, bei denen ihnen geholfen werden kann.
Es ist auch zu sagen, dass natürlich in einer Großstadt wie Berlin viel mehr Bedarf für einen Dienst wie Streetwork herrscht, aber die Probleme, mit denen sich die Streetworker dort befassen, sind nicht anders als die unseren hier, nur natürlich treten sie bei uns in geringerem Ausmaße auf.
In ganz Deutschland und Österreich ist Streetwork sehr verbreitet. Nicht nur in den Großstädten, sondern auch in unzähligen kleineren Städten. Weil sie die Effizienz von Streetwork erkannt haben.
MS: Wie kommt Eure Arbeit bei den Jugendlichen an?
Salvatore Cosentino: Man muss zwischen den Jugendlichen unterscheiden, die man schon besser kennt und jenen, die man noch nicht so gut kennt. Und in welchen Kreisen man sich bewegt. Aber im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass wir nach all den Jahren, die wir hier in Meran und Umgebung arbeiten, sehr selten auf Feindseligkeiten stoßen.
In Fällen, in denen Suchtmittel im Spiel sind, wird uns schon auch oft Misstrauen entgegengebracht, aber nichtsdestotrotz wird unsere Präsenz von den Jugendlichen sehr gut toleriert beziehungsweise sogar begrüßt. Das liegt daran, dass wir nicht invasiv vorgehen und jeder, der nichts mit uns zu tun haben will, muss das auch nicht.
MS: Kommen zu Euch auch Jugendliche, die Ihr nicht „unterwegs“ kennengelernt habt?
Salvatore Cosentino: Zu uns kann jeder ohne Anmeldung und völlig ungezwungen am Freitag von fünf Uhr nachmittags bis acht Uhr abends kommen. Mittlerweile werden wir von vielen direkt aufgesucht, ohne dass wir sie auf unseren Rundgängen kennengelernt haben. Oft, weil ihnen ein Freund oder eine Freundin von uns erzählt hat.
MS: Wie würden wir ohne Streetwork dastehen?
Salvatore Cosentino: Das kann ich nicht sagen. Bei uns gibt es viele soziale Einrichtungen und Dienste, die gute Arbeit leisten. Für uns ist aber offensichtlich, dass bestimmte Probleme durch die Herangehensweise des Streetwork leichter lösbar sind.
Zum Beispiel zu sagen, dass dann, wenn Streetworker unterwegs sind, kein Vandalismus mehr stattfindet, ist Blödsinn. Das geht nicht durch die Präsenz der Streetworker, genauso wenig durch die größere Präsenz der Polizei, denn man müsste 24 Stunden am Tag überall gleichzeitig sein. Aber es ist auch wahr, dass du bestimmte Beziehungen zu bestimmten Personen nur haben kannst, wenn du sie aufsuchst, so wie wir das eben machen.
Die Wandelhalle hier in Meran zum Beispiel wird immer mehr von Jugendlichen aufgesucht und deshalb auch von den Streetworkern. Sicher werden wir nicht vermeiden können, dass am nächsten Morgen Abfall herumliegt, den die Jugendlichen hinterlassen, aber die Streetworker werden mit den Jugendlichen reden und sie darauf hinweisen, auf solche Dinge zu achten. Man sieht dann vielleicht keine sofortigen Resultate, aber natürlich wirken wir durch unsere Präsenz „beruhigend“. Die Jugendlichen, die uns kennen oder kennenlernen, wollen uns gegenüber meistens auch keine schlechte Figur machen.