Ötzi lernt sprechen
Im Winter 2016 von Dr. Luis Fuchs
In Zukunft könnten wir die Gletschermumie im Archäologiemuseum nicht nur bestaunen, sondern seine Stimme zu hören bekommen. Ein Ärzteteam des Bozner Ambulatoriums für Phoniatrie will mithilfe einer eigens entwickelten Software die Stimme des Mannes vom Hauslabjoch rekonstruieren.
Wie sprach Ötzi? Die Sonderausstellung „In Wort und Schrift“ im Schnalser ArcheoParc bot letztes Jahr Gelegenheit, uns auf Spurensuche hin zu den Wurzeln unserer Sprache zu begeben. Untersuchungen haben ergeben, dass sich eine ansehnliche Anzahl von Sprachen in Europa und Asien aus einer gemeinsamen „Ursprache“ entwickelt hat, die als „Indoeuropäisch“ bezeichnet wird. Mutmaßlich war demnach Ötzi mit Menschen in Kontakt, die Varietäten von Keltisch, Venetisch oder Rätisch beherrschten. Am wahrscheinlichsten war das Rätische Ötzis Sprache, schließen die Kuratorinnen der Sonderausstellung.
Mit welchen Wörtern verständigte sich etwa Ötzi? Beim Vergleich der indoeuropäischen Sprachen haben Sprachwissenschaftler an die 200 Wörter ausgemacht, die in nahezu allen alten und modernen Sprachen indoeuropäischen Ursprungs vorkommen. Hierzu zählen Wörter wie Mutter, Vater, Wasser, Acker oder Schnee; sie bezeichnen existenzielle Grundlagen des Überlebens. In diesen Wörtern und Lauten sind gemeinsame Wortwurzeln und Merkmale nicht zu übersehen. So lässt sich das Wort „Mutter“, mater (lateinisch), mati (altslawisch), mother (englisch), moder (schwedisch) auf eine gemeinsame indoeuropäische Stammform mater zurückführen, welche wiederum von ma, dem Lallwort für Mutter, abgeleitet ist. Ebenso hat das Wort „Vater“, father (englisch), padre (spanisch, italienisch), père (französisch), pai (portugiesisch) eine gemeinsame Wurzel. Ursprüngliche Formen des Wortes „Rad“ sind in vielen indoeuropäischen Sprachen vertreten: ráthah (altinidisch), rota (lateinisch), rueda (spanisch). Dieselbe Wurzel steckt auch in der Vinschger Róad, womit die Reihenfolge in der Verteilung des gemeinsam genutzten Bewässerungswassers bezeichnet wird. Es ist einleuchtend, dass Ötzi auch einen Ausdruck für „Schnee“ hatte, vielleicht sagte er gar sneigh (indoeuropäisch), wenn es schneite. Das ursprüngliche Wort hat sich bis in unser drittes Jahrtausend erhalten und entfalten können: Touristiker und Sportler wünschen sich im Winter nichts sehnlicher als Let it snow, und die Gäste aus Russland werden mit sneg angelockt.