Der Kriegseintritt Italiens vor 100 Jahren
Im Frühling 2015 von Dr. Johannes Ortner
Für reichlich Befremden sorgt zurzeit in Südtirol der Beschluss der Regierung Renzi, den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Alliierten vor genau hundert Jahren mit Beflaggung (Trikolore und Europafahne) zu feiern. Dass der vorausgehende Londoner Geheimvertrag vom 26. April 1915 die Trennung der Tiroler Landesteile ‒ gegen den Willen der Bevölkerung ‒ bedeutete, und dementsprechende Südtiroler Befindlichkeiten ignoriert werden, kümmert das Bozner Regierungskommissariat kaum, fordert es doch die Beflaggung von öffentlichen Einrichtungen wie Gemeindehäusern, Schulen und Bibliotheken. Uneins ist man sich, ob bei Nichtbefolgung der Anweisung die Bürgermeister mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. Zumindest auf Seiten des Landeshauptmanns Arno Kompatscher, der meisten Bürgermeister sowie SVP-Chef Achhammer regt sich Widerstand gegen den Regierungsbeschluss. Der „vorauseilende Gehorsam“, mit dem in den letzten Jahren Südtiroler Verwalter römische Anweisungen widerstandslos umsetzten, sticht diesmal nicht. Die Grünen schlagen in einer originellen Idee vor, die Trikolore als Zeichen des Gedenkens und der Trauer um die Millionen Kriegstoten auf Halbmast zu setzen. Gerade in Südtirol hat der Eintritt Italiens in den Weltkrieg die Front mitten nach Tirol und somit tausendfaches Leid und Tod gebracht. Wohl kein Grund für Triumphgeheul.
Um für Südtirol ein sprachgruppenübergreifendes Gemeinschaftsgefühl zu stiften, muss nationale Symbolik abgebaut werden ‒ noch dazu, wenn sie sich aus dem Massensterben eines Weltkriegs nährt.
Die historischen Hintergründe
Italien, Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich waren seit 1882 Teil einer geheimen militärischen Allianz, des Dreibunds. Gemäß der Bündnis-Automatik sind die drei Mittelmächte im Sommer 1914 gemeinsam in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Italien blieb vorerst neutral, duldete die Expansionspolitik Österreich-Ungarns am Balkan und forderte dafür bald Gebietsansprüche im Sinne des Irredentismus. Österreich wurde von Deutschland bereits zu Beginn des Jahres 1915 dazu gedrängt, Italien u. a. das mehrheitlich italienischsprachige Trentino abzutreten, um zumindest dessen Neutralität zu gewährleisten. Nach der Kündigung des Dreibunds am 4. Mai 1915 wurden Italien immer umfangreichere Angebote unterbreitet, so am 10. Mai neben der Abtretung des Trentino sowie des Isonzogebiets auch weitgehend freie Hand in Albanien.