Migrationspolitik in Meran
Aktuelle Situation und Herausforderungen
In den letzten Jahren hat die Autonome Provinz Bozen-Südtirol die Organisation der Aufnahmeverfahren übernommen und war dem Staat gegenüber Garant für die Bewältigung der jüngsten Migrationswellen und der damit verbundenen Probleme. Das ist eine vernünftige Vorgehensweise, um die Notlage und die dringenden Probleme unmittelbar anzugehen. Bei der Bewältigung des Phänomens, von dem mehrere Gemeinden betroffen waren, allen voran Bozen, hatten die Südtiroler Gemeinden, wenn überhaupt, nur wenig Autonomie. Meran war von Anfang an offen für die Aufnahme von Migranten und hat sich bereit erklärt, ein entsprechendes Aufnahmezentrum einzurichten. Die Stadtverwaltung hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Grenzen dafür eingesetzt, dass die Ankunft der neuen Gäste von einer wertvollen ehrenamtlichen Tätigkeit begleitet wird. Dank der Bereitschaft Merans, Zugewanderte und Asylsuchende aufzunehmen, hat das Innenministerium der Stadtgemeinde in den Jahren 2017 und 2018 einen Bonus von insgesamt 104.000 € zuerkannt. Der Gemeindeausschuss hat beschlossen, diesen Bonus für entsprechende Aufnahme- und Inklusionsprojekte zu verwenden. Das Referat für Migration und Integration hat diese Geldmittel im Laufe dieser Jahre genutzt. Der Restbetrag kann noch im kommenden Jahr verwendet werden.
Die Stadtgemeinde Meran hat sich aber nicht nur darauf beschränkt: Auf nationaler Ebene gibt es ein Aufnahme- und Integrationsverfahren, mit dem viele gute Ergebnisse erzielt werden konnten und das auf der Aufnahme kleinerer Gruppen, ihrer breit gefächerten Verteilung (nicht in Aufnahmezentren, sondern in Wohnungen) und ihrer intensiven, zeitlich begrenzten Ausbildung beruht. Das Aufnahmeprogramm SIPROIMI (vorher SPRAR) hat unter anderem den Vorteil, dass damit die Institutionen, die den Bürgern am nächsten stehen, nämlich in den verschiedenen Regionen die Gemeinden in den Mittelpunkt der Migrationspolitik gerückt werden. Die Stadtgemeinde Meran hat diesen Ansatz, für den sich schlussendlich auch die Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt und viele andere Verwaltungen des Landes ausgesprochen haben, von Anfang an unterstützt. Diese Vorgehensweise hat sich mittlerweile in zwei Jahren kontinuierlicher Arbeit bewährt und hat vielen Migranten ermöglicht, sich auszubilden, unsere Sprachen zu erlernen, ihre beruflichen Fähigkeiten zu verbessern und einen Platz auf dem Arbeitsmarkt zu finden und somit sich selbst und auch uns eine Zukunft zu sichern.
Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, die nun auf die Stadtgemeinde Meran zukommen?
Es geht im Wesentlichen um vier dringende Aspekte, an denen die Stadtverwaltung bereits arbeitet. Für einige von ihnen scheint die Lösung einfacher und ist bereits eingeleitet worden, für andere ist sie komplexer.
Beratungsstelle
Der erste Aspekt ist die Ausbildung und professionelle Unterstützung des Personals, das sich mit diesem Phänomen in den verschiedenen Aufnahmezentren und in den diversen hiesigen privaten und öffentlichen Einrichtungen beschäftigt. Deshalb haben wir eine Art Beratungsstelle eingerichtet, die dem Personal zur Seite steht, das im Sozial- und Gesundheitswesen tätig ist und aufgrund kultureller Unterschiede, sprachlicher Schwierigkeiten oder der Instabilität durch die kürzlich eingeführten neuen staatlichen Vorschriften laufend mit der Lösung schwieriger Probleme konfrontiert ist. Die Betreuung und Supervision durch eine Expertin bzw. einen Experten in regelmäßigen Zeitabständen haben eine wirksamere Unterstützung der Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben oder die eine andere Lebensphilosophie und Kultur als die unsere haben, ermöglicht. Diese Unterstützung muss langfristig fortgesetzt werden, damit sie Früchte tragen kann, und sollte möglichst ausgeweitet werden, z. B. durch das Angebot einer größeren Zahl von Kulturmittlerinnen und Kulturmittlern.
Wohnungsnotstand
Der zweite Aspekt ist der Wohnungsnotstand: Es ist nicht so sehr die Suche nach einer Arbeit, die den Flüchtlingen die Integration in unsere Gesellschaft erschwert oder gar unmöglich macht. Es gibt wichtige Bereiche unserer Wirtschaft (Landwirtschaft, Tourismus, Gastronomie), die in der Lage sind, neue Arbeitskräfte aufzunehmen. Ja, es besteht sogar dringender Personalbedarf. Schlussendlich ist es die erfolglose Suche nach einer Wohnung, die zum dringlichsten Problem wird, selbst für jene, die eine ordnungsgemäße Aufenthaltsgenehmigung haben und sogar für diejenigen, die Beschäftigungsmöglichkeiten haben bzw. haben würden. Als Stadtverwaltung suchen wir nach einer Lösung, die den Menschen mit Migrationshintergrund, die aus den Aufnahmezentren (CAS) oder aus dem Schutzprogramm (SIPROIMI) kommen oder bereits aus diesen entlassen worden sind, oder denjenigen, die zu uns kommen und z.B. wegen der Einreiseverweigerung anderer europäischer Staaten in einer aussichtslosen Lage sind, eine erste, aber vorübergehende, sichere Zwischenlösung garantieren soll: eine sehr einfache und agile Einrichtung mit einer lockeren Begleitung, die es den Migranten aber erlaubt, ihr primäres Bedürfnis, ein Zuhause zu haben, zu befriedigen.
Integration der „zweiten Generation“
Der dritte Aspekt ist das Problem der sogenannten „zweiten Generation“. Wir waren der Überzeugung, die Probleme der inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegenden älteren Migrationswellen, in deren Rahmen eine nicht so eklatante, riesige Zahl von Migranten zugewandert ist, hätten sich mittlerweile von selbst gelöst. Heute stellen wir aber fest, dass die Kinder ausländischer Familien, die hier geboren sind oder zugewandert sind, als sie noch sehr klein waren und die hier zur Schule gegangen und scheinbar integriert sind, sich doch nicht so wohl fühlen, wie wir glaubten. Das hat etwas mit dem großen Thema der persönlichen und kulturellen Identität zu tun, wie Ereignisse der letzten Zeit gezeigt haben. Daher muss sich die Stadtverwaltung mit diesem Problem auseinandersetzen, indem sie Kontakt zu den hiesigen Jugendzentren aufnimmt und zu den Vereinen für Jugendliche und Erwachsene im Bereich Sport sowie in anderen Bereichen, die schon heute Erfahrung mit eingeschriebenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben. Gemeinsam mit ihnen müssen wir Wege finden und Unterstützung bieten, die es ermöglichen, Kompetenzen aufzuwerten und weiterhin Brücken zu schlagen und dabei den persönlichen Entwicklungsweg der Einzelnen, die mit den Vorschriften und Regeln unseres täglichen gesellschaftlichen Lebens konfrontiert sind, zu respektieren. Ein paar dieser Projekte werden zurzeit gerade im Rahmen einiger Stadtviertel umgesetzt.
Auswirkungen auf die lokale Gemeinschaft
Der vierte und letzte dringende Aspekt, der in naher Zukunft angegangen werden muss, besteht in den Auswirkungen der jüngsten Einwanderungsvorschriften des Staates auf die lokale Gemeinschaft. Es stimmt zwar, dass die Zahl der Neuankömmlinge einerseits drastisch zurückgegangen ist, andererseits kommen 2020/2021 aber viele, wenn nicht sogar alle Aufnahmeverfahren und Zurückweisungen von Asylanträgen, die von den zugewanderten Flüchtlingen sowohl lokal als auch im übrigen Staatsgebiet gestellt worden sind, zum Abschluss. Die drastische Beschränkung der Annahme von Anträgen durch die jüngsten staatlichen Vorschriften wird dazu führen, dass viele Menschen aus den Aufnahmezentren kein Recht mehr haben werden, hier zu bleiben. Ihre Rückführung wird sich aber schwierig gestalten, wenn nicht sogar manchmal unmöglich sein. Die damit verbundenen steigenden Zahlen „Illegaler“, die dennoch versuchen werden, hier zu bleiben, werden ein Handeln der Gemeinden erfordern, denen aber, abgesehen von den Mitteln zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit, fast keine Instrumente an die Hand gegeben wurden. Gemeinsam mit der Landesverwaltung sollte darüber nachgedacht werden, mit welchen Sozialmaßnahmen verhindert werden könnte, dass der illegale Aufenthalt diese Menschen in die Schwarzarbeit treibt oder, schlimmer noch, in Arbeitskräfte der Kriminalität verwandelt, mit all den sozialen Problemen, die damit sowohl für die Migrantinnen und Migranten selbst als auch für unsere Bürgerinnen und Bürger verbunden sind.
Andrea Rossi, Vize-Bürgermeister von Meran