Parlamentswahlen im Krisenmodus
Im Sommer 2022 von Philipp Rossi
„Stell Dir vor, es sind Parlamentswahlen, und die finden im Herbst statt“. So könnte man die wohl prägnanteste Besonderheit des anstehenden Wahlganges zusammenfassen, denn bisher galt es in Italien fast schon als Tradition, dass Kammer und Senat im Frühjahr gewählt werden. Doch die turbulenten Tage der Regierungskrise im vergangenen Juli, die Staatspräsident Sergio Mattarella dazu bewogen hat, die beiden Kammern frühzeitig aufzulösen, haben erstmals einen Wahlkampf im Spätsommer heraufbeschworen.
Wahlgesetz begünstigt Bündnisse
Gewählt wird nach dem 2017 beschlossenen Rosatellum, einem Wahlgesetz, welches Elemente des Verhältnis- und des Mehrheitswahlsystems kombiniert. Drei Achtel der Sitze werden über sog. Einmannwahlkreise vergeben, in denen die/der meistgewählte Kandidat/-in das entsprechende Mandat erhält, während die restlichen Sitze anteilsmäßig unter den einzelnen Parteien vergeben werden. Letztere müssen jedoch die Mindesthürde in Höhe von 3 % erreichen. Schließen sich Parteien zu Wahlbündnissen zusammen, erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, die Parlamentssitze in den Einmannwahlkreisen zu erobern. Da 2020 beschlossen wurde, die Anzahl der Parlamentarier zu senken, werden nun staatsweit 400 statt 630 Kammerabgeordnete und 200 statt 315 Senatoren gewählt.
Verbündete Mitte-Rechts-Allianz, gespaltene Linke
Der Umstand, dass das Wahlgesetz Bündnisse begünstigt, scheint die aus Fratelli d’Italia, Lega, Forza Italia und der Zentrumsallianz Noi Moderati bestehende Mitte-Rechts-Koalition zur Einheit bewogen zu haben. Inhaltliche Differenzen – etwa in Bezug auf eine mögliche Steuerreform, die Lösung der Energiekrise und das Verhältnis zwischen Zentralstaat und Regionen – wurden im Namen der Einheit aus dem Weg geräumt. Gespalten ist hingegen die Linke: Der Partito Democratico mit einigen kleineren Partnern wie +Europa und den Grünen einerseits und die 5-Sterne-Bewegung treten getrennt zur Wahl an, obwohl sie seit 2019 zunächst im Kabinett Conte II und dann mit Mario Draghi gemeinsam regiert haben. Eigene Wege geht auch das von Carlo Calenda und Matteo Renzi, zwei ehemaligen ranghohen PD-Vertretern, ins Leben gerufene Wahlbündnis aus den Zentrumsparteien Azione und Italia Viva.
Krisenmanagement dominiert Wahlkampf
Die Energiekrise und die Aussichten auf einen schwierigen Winter dominieren den Wahlkampf. Darüber, dass Familien und Unternehmen dringend einer Entlastung bedürfen, um deren Existenz nicht zu bedrohen, herrscht so gut wie Einigkeit unter den politischen Kräften. Die Lösungsrezepte sind jedoch unterschiedlich und reichen von einem Gaspreisdeckel auf EU-Ebene bis zu einer Neuverschuldung. Zentral bleiben ebenfalls die Ukrainekrise, der Klimawandel sowie soziale Themen, allen voran die von der 5-Sterne-Bewegung eingeführte Mindestsicherung Reddito di cittadinanza, die ein Großteil der Parteien überarbeiten oder sogar abschaffen möchte. Einzelne Parteien setzen wiederum auf die eigenen Kernthemen – beim PD handelt es sich etwa um gleichgeschlechtliche Ehen, bei der Lega um die Migrationsfrage.