Spiel - Hölle
Immer mehr Spiele, Spieler und Spielsüchtige - Tendenz steigend. Italien ist Spiel-Weltmeister
Im Herbst 2010 von Gudrun Esser
Es ist wieder ein mieser Tag gewesen. Der Arbeitsplatz entwickelt sich zunehmend zur Folterkammer, endlich daheim, dringt schon das Geschrei der Kinder bis ins Treppenhaus. Nichts wie weg, auf dem Absatz kehrt. Ein, zwei Bier, und die erste Münze fällt in den Schlitz des Automaten - im Hintergrund läuft ABBA: The winner takes it all?
Aber wie gering ist diese Wahrscheinlichkeit. Bei weniger als 0,0000007…. Prozent liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Sechser im deutschen Lotto. Ständiges Spiel kann zur Krankheit werden. Erst der Reiz, dann der Rausch, Nervosität, Schulden, Beschaffungskriminalität, soziale Entfremdung, Absturz, schließlich einsame Ausweglosigkeit.
Spielen ist Teil der menschlichen Natur.
Bereits die alten Ägypter kannten 3000 vor Christus das Spiel. Die Römer hatten Würfelspiele, im Mittelalter dann wurde Karten gespielt. Und im 16. Jahrhundert bereits veröffentlichte der flandrische Arzt und Philosoph Joosten eine Schrift mit dem Titel: Über das Würfelspiel oder die Heilung der Leidenschaft, um Geld zu spielen.
Die meisten Menschen kommen mit dem Spiel zurecht. Der Süchtige hingegen sucht etwas anderes. Er flüchtet meist aus dem Alltag. Ein Teufelskreis:
So etwa gestaltet sich der grobe Ablauf eines spielsüchtigen Menschen, erklären zwei Südtiroler Experten: Der Psychologe und Psychotherapeut Gabriele Ghirardello und der Leiter des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen, Markus Rudolf Frank. Frank ist in der landesweiten Fachgruppe für Abhängigkeitserkrankungen und beobachtet im Rahmen seiner Tätigkeit auch die Suchtentwicklung im Land.
Die aktuellen Zahlen zeigen, dass wir die Entwicklung des Themas Spielsucht sehr ernst nehmen müssen.
Allein im Jahr 2008 haben italienische Bürger insgesamt 47, 5 Milliarden Euro für das Spiel ausgegeben. Das sind 500€ pro Einwohner. In nur einem Jahr, von 2006 bis 2007, hat sich der Gratta &Vinci-Umsatz in Italien verdoppelt! Beim Automatenspiel wird derzeit ein Zuwachs von 22 Prozent verzeichnet.
Markus Rudolf Franks tägliche Erfahrung zeigt: Auch in Südtirol ist die Situation ernst.
Während er in seiner Dienststelle im Jahr 2006 einen Klienten betreut hat, sind es heute neunzehn Spielsüchtige, von denen acht bereits die Therapie vorzeitig abgebrochen haben.
Die gesamtstaatliche Statistik verdeutlicht das Problem: 3% der Italiener spielen, 0,7% davon sind in einer problematischen Verfassung und ebenso 0,7% pathologische Fälle, d.h. krankhafte Spieler. Damit liegt Italien mit seinem Hang zum Spielen weltweit an erster Stelle. Der Proporz ist dabei wie bei anderen Suchterkrankungen: Ein Drittel sind Frauen, zwei Drittel der Spielsüchtigen sind Männer.
Das Krankheitsbild selbst sei so, wie bei substanzabhängigen Menschen, im Volksmund Drogenabhängige und Alkoholiker. Meist handele es sich bei den Betroffenen sogar um eine doppelte Abhängigkeit.
Spiel- und Alkoholsucht gehen dabei oft nebeneinander her.
Gabriele Ghirardello: „Ich hatte einen Patienten, der in nur sieben Jahren 100.000 Euro für Spiele liegen gelassen hat. Vor jedem Spiel hatte er ein Ritual: Zwei Bier auf Ex, wenn er diese gespürt hat, war er in der richtigen Stimmung und legte los: Eine Wette, ein Spiel. Meist allerdings hat er verloren und so ist diese enorme Summe zusammen gekommen.“ Der Prozess ist immer derselbe. Meist gerät der Mensch in eine Abhängigkeitsspirale. Aus dieser herauszukommen, ist dabei fast unmöglich, auch für diejenigen, die sich bereits in Therapie befinden, bestätigt der Leiter des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen, Markus Rudolf Frank: „Sehr viele Spieler brechen ihre Therapie ab. Auch weil ihnen der sogenannte Kick, der Reiz des Spiels fehlt.“ Letztlich sei dies eine Form von Entspannung vom Alltagsleben oder auch eine Flucht. Der Nährboden für eine solche Entwicklung sei in den meisten Fällen gesellschaftlich-privater Natur: eine zerbrochene Beziehung, Konflikte am Arbeitsplatz oder sogar Arbeitslosigkeit oder auch Schulden.
Eine Art Methadon-Programm, eine Ersatzdroge für Spieler gibt es nicht.
Wie also gestaltet sich die konkrete Hilfe?