Sie oder Du?
Im Frühling 2023 von Dr. Luis Fuchs
„Kann ich dir weiterhelfen?“, sprach mich ein Verkäufer im Elektrofachgeschäft an, als ich mich nach einem passenden Gerät umsah. Als nicht mehr gerade junger Kunde empfand ich das „Du“ als eine fast schmeichelhafte Anrede. Doch ihn von mir aus zu duzen, kam mir nicht in den Sinn.
Wem soll man das Du anbieten und wen mit dem Sie ansprechen? Die Oberen duzen die Unteren, die Jungen siezen die Alten, war früher die Devise, doch diese alten Regeln und Gewissheiten sind nunmehr infrage gestellt. Wir leben in einer Kultur des Duzens: ob in den sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz oder auf den Internetseiten vieler Banken. Clemens Graf von Hoyos, Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, sieht darin die Folge einer Entwicklung, die schon vor Jahrzehnten eingesetzt hat. Das Du ist mittlerweile fester Bestandteil der Alltagskommunikation im deutschen Sprachraum. In althochdeutscher Zeit sagte man im germanischen Sprachraum auch nur „du“. Dann vor mehr als tausend Jahren begann man, Angehörige des Hofadels mit „Ihr“ anzusprechen. Diese Anrede in der 2. Person Mehrzahl war gegenüber der älteren Generation besonders im ländlichen Bereich bis ins letzte Jahrhundert hinein in Gebrauch. Wir selbst sprachen dereinst als Kinder sogar noch unsere Eltern mit „E(i)s“, also mit „Ihr“ an.
Die Abgrenzung zwischen dem Du und Sie ist nicht auf die deutsche Sprache beschränkt. Eine wissenschaftliche Analyse hat ergeben, dass in mehr als der Hälfte der 207 untersuchten Sprachen es keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und dem Siezen gibt; dazu zählt beispielsweise das Englische. Dagegen weisen 49 Sprachen so wie das Deutsche ein binäres System auf, also eine Zweiteilung wie das Sie und das Du.
Dem Knigge-Experten Hoyos zufolge ist das Duzen für den einen eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe, für manch anderen hingegen stellt das Du eine Grenzüberschreitung dar. Sicherlich vermittelt das Du ein Wir-Gefühl, also eine Gruppenzugehörigkeit. Ein besonderes Beispiel dafür findet sich im Salzkammergut, wo das Duzen in Relation zum Meeresspiegel gebracht wird. Dort gibt es einen „Du-Stein“, der darauf verweist, dass man ab tausend Höhenmetern gewohnheitsgemäß per Du ist.