Der Ameiseneiersammler
Berufe vergangener Zeiten (Teil 1)
Im Winter 2013 von Dr. Elfriede Zöggeler-Gabrieli
Kindheitserinnerungen
Denkt man an die vielen Ameisenhügel in unseren Wäldern, werden Kindheitserinnerungen wach. Bei der sonntäglichen Wanderung hatte einst so mancher Familienvater eine mit Schnaps bzw. destilliertem Wasser gefüllte Flasche im Rucksack, die dann im Wald vorsichtig im Ameisenhaufen bis knapp unterhalb der Flaschenöffnung eingebettet wurde, um sie für einige Stunden den fleißigen Tierchen zu überlassen, welche sie neugierig aufsuchten und in der Folge darin ihre Sekrete, die Ameisensäure, zurückließen. Auf dem Heimweg wurde das inzwischen zur Medizin gereifte Heilserum wieder mitgenommen. Nebenbei versuchte man auch den Kindern zu vermitteln, Ameisenhaufen nicht zu zerstören, da sie unter Naturschutz stehen und für den ökologischen Ausgleich im Wald unerlässlich sind.
Gegen die Ameisenbisse, die beim Entfernen der Flasche aus dem Hügel nicht ausblieben, gab es ein altbewährtes Hausmittel: Man rieb die Hände mit Holundersaft ein, wodurch die Ameisen abgewehrt wurden, da sie den Geruch wohl als penetrant empfanden und davor flüchteten.
Dass sich früher aber vereinzelt Leute darauf einstellten, sich mit dem Ameisennachwuchs den Lebensunterhalt zu finanzieren, ist heutzutage und hierzulande wohl kaum mehr vorstellbar.
Beruf
Als Ameiseneiersammler oder Ameisler wurde eine meist männliche Person bezeichnet, welche die Puppen der Ameisen sammelte und trocknete, um sie als Medizin oder Vogelfutter zu verkaufen. Der Beruf ist sicher mit der Käfigvogelhaltung aufgekommen und bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts belegbar, als er von den österreichischen Forstbehörden verboten wurde, da das Sammeln der Ameisenpuppen in die Ameisenbestände eingriff und dadurch das ökologische Gleichgewicht belastete.
Diverse deutschsprachige Literaten widmeten dem Ameisler Erzählungen, wie der Steirer Heimatdichter Peter Rosegger, der 1886 über ihn schrieb: „Da kannst du im Walde einem sonderbaren Mann begegnen. Seinem zerfahrenen Gewand nach könnte es ein Bettelmann sein, er trägt auch einen großen Sack auf dem Rücken; aber über diesem Bündel und an all‘ seinen Gliedern (…) laufen in aller Hast zahllose Ameisen auf und nieder, hin und her.“
Wenig später und zwar 1892 findet sich in einem Buch aus Leipzig folgender Eintrag:
„Der Ameisler ist eine Charakterfigur im Gebirge. Er durchstreift die Wälder, in denen die schwarze Ameise Abfälle von Nadelholz und Pflanzenteilen in solchen Mengen zusammenträgt, dass diese Haufen eine Höhe mitunter von einem Meter erreichen. In ihnen birgt das Tier seine Puppen, die sogenannten Ameiseneier. Diese sucht der Ameisler auf, und seine feine Ausbeute ist in manchen Sommern so beträchtlich, dass die Händler aus Wien sie ihm mit 200 Gulden bezahlen.“
Pro Tag konnten bis zu fünf Kilogramm Eier gesammelt werden, die dem Ameisler noch in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts mehr als beispielsweise den Tageslohn eines Maurers einbringen konnten – der durchschnittliche Tageslohn eines qualifizierten Maurers betrug um 1920 in etwa fünf bis sechs Mark – und bis in die sechziger Jahre war der Ertrag immerhin noch mit einem guten Taschengeld vergleichbar.
Ameisenpuppen, ein begehrtes Vogelfutter
Es gab unterschiedliche Methoden, um an die als begehrtes Vogelfutter bekannten Ameiseneier zu gelangen. Der erste Arbeitsschritt bestand darin, den Ameisenhügel zu öffnen. Da die Eier relativ hoch im Hügel gelagert sind, um von der Sonne warm gehalten zu werden, musste der Ameisler zunächst eine ganze Schicht Ameisenhügel durchsieben, wobei grobe Stücke wie Zweige und Blätter hängen blieben, während Ameisen, Puppen und Kleinteile hindurch auf ein zuvor ausgebreitetes Tuch fielen. In die Tuchecken legte er Reisig und die Tuchränder band er hoch, um die Ameisen am Hinausklettern zu hindern.
Während die Ameisen damit beschäftigt waren, ihre „Eier“ im gut verdeckenden Reisig unterzubringen, sammelte der Ameisler alles andere ab, was auf dem Tuch gelandet war und begann auch die Ameisen mithilfe eines rauen Lappens von dort zu entfernen. Als Letztes entfernte er die Zweige, wobei nur noch die Puppen zurückblieben.
Eine andere Methode führte genauso zum Ziel und zwar wurde nach dem Aussieben der Beute aus dem Hügel ein kreisförmiger Graben geschöpft und mit Wasser gefüllt. In der Mitte der dadurch entstandenen Insel hob er ein Loch aus, das mit Reisig gefüllt wurde. So konnten die Ameisen ihre Puppen dorthin verfrachten und der Ameisler musste es nur noch entleeren. Wollte er es noch bequemer haben, so legte er seinen Hut in die Grube, wodurch er sich das Zusammenfegen der Puppen ersparen konnte.
Die Ameiseneier wurden letztendlich in einem Sack nach Hause getragen und dort gedörrt, um sie haltbarer zu machen und um sie dann als Vogelfutter an Vogelfutterhändler weiterzuverkaufen.