Flurnamen Quellen historischer Forschung
Teil 23
Im Sommer 2011 von Dr. Johannes Ortner
Die Bedeutung der Namen der Höfe und Fluren ist eine der wichtigsten Quellen historischer Forschung eines Landstrichs. Außerdem stellt die Pflege und Weitergabe des Namenguts für eine Gemeinschaft einen bedeutenden, die Identität stiftenden Faktor dar.
Als Quelle dienen die in mündlichen Gesprächen abgefragten Namen (Flurnamensammlung Südtirol, die am Landesarchiv in Bozen einsehbar ist), das Werk „Die Hofnamen im Burggrafenamt und in den angrenzenden Gebieten“ des verdienten Hofnamenforschers Josef Tarneller, sowie das Tiroler Ortsnamenbuch von Karl Finsterwalder (als Schlern-Schriften in drei Bänden erschienen).
Abkürzung:
mda. (= mundartlich)
Anger
Die große, mit Apfelanlagen bepflanzte Ebene zwischen Hagen und der Etsch war früher ausgedehntes Wiesengelände: di Anger (Änger) bzw. di Angerwisn (Ängerwiesen). Mda. der Ånger bedeutet so viel wie ‘Wiesfeld bzw. Obstgarten beim Hof’. Allerdings befinden sich die Anger von Untermais – wie auch die Anger der Schenner Bauern – gerade nicht direkt beim Hof.
Einzelne gesonderte Wiesennamen in den Angerwisen lauten: ’s Fischermous (Fischermoos, eine ehemalige Feuchtwiese), di Sogschnaiderwis (Sagschneiderwiese; sie gehörte wohl zum Sagschneider bei den Bichlmoarhöfen) und di Stierwisn (Stierwiesen; wurde der Halter des Gemeindestiers mit diesen Wiesen für seinen Dienst entschädigt oder handelt es sich um frühere Stierweiden?). Auf den Stierwiesen, die den Benediktinern von Marienberg gehörten, wurde die Vigilsiedlung (St.-Vigil-Platz) errichtet. Die nordwestliche Begrenzung der Angerwiesen bildet der Angerwaal, der beim Duregger bzw. Lochbauer vom Untermaiser Mühlwaal abzweigt und ziemlich genau nach Süden rinnt. Er diente der Bewässerung der Angerwiesen.
Wenn man die lange Straße bzw. Rabbiosistraße in Richtung Etsch fährt, gelangt man nacheinander zum oberen und unteren Gießen. Mda. Gießen bedeutet so viel wie ‘Entwässerungsgraben’. Auf solche keilförmig eingeschnittenen Wassergräben stößt man in der gesamten Talsohle der Etsch immer wieder. Der Ausdruck Gießen darf übrigens nicht mit dem Mundartausdruck di Gisse ‘Murgraben, Lahngraben’ verwechselt werden, welcher im Pustertal bekannt ist, nicht aber im westlichen Südtirol.
Der Etschlauf in der Mitte des 19. Jahrhunderts verlief etwas südlich vom heutigen Hof Grünau und bildete damals die Grenze zu Marling. Jenseits der Etsch befand sich Schottergelände mit kleineren Etscharmen, welches den Namen in di Granzen (Granzen) trug. Heute werden die Obstwiesen an der Etsch auf Marlinger Seite immer noch Granzen genannt. Altmda. di Grånz bzw. Graniz heißt ‘Grenze’. Das Wort ist in der Mundart nicht mehr geläufig, gebraucht wird für eine Grundstücksgrenze der Ausdruck ’s Mårch bzw. Mårk, ‘angrenzen’ heißt für gewöhnlich mårchn. Die Grenzwiesen zwischen Riffian,
Kuens und Schenna an der Passer heißen ebenfalls Granzen.
Auen, Leaser und Toaler
Die Obstwiesen zwischen dem früheren alten Bachbett der Etsch und dem schnurgeraden Lauf heutzutage, welche ja nun zu Meran gehören, sind di Auen bzw. di Leaser. Mda. und standarddeutsch Au bedeutet so viel wie ‘Land am Wasser’. Ein Auwald besteht typischerweise aus Erlen (= Bruchwald), Weiden und Pappeln und ist an die unmittelbare Nähe von Wasser gebunden. Übrigens ist iscla die genaue alpenromanische Entsprechung zu Au. Von diesem Wort leiten sich der Hof- und Familienname Nischl bzw. Nischler < *niscla < *in iscla (Schnals) ab, sowie die zahlreichen Flur- und Ortsnamen Ischgl (Lajener Ried, Glurns, Paznaun). Die Verkleinerungsform zu Au ist übrigens Aiele (Äuele) und kommt für Wiesennamen im Vinschgau vor. Der Auhof zwischen der Industriezone Untermais und der langen Straße hat seinen Namen von der ehemaligen Au erhalten.
Der Ausdruck Leaser ist Plural zu ’s Loas und bedeutet so viel wie ‘zugeloster Grundanteil’. Die in Folge der Etschmeliorierung frei gewordenen Schotterflächen und Auwälder, welche Gemeinbesitz waren, wurden den einzelnen Bauern zugeteilt. Eine einvernehmliche Zuweisung war aufgrund der unterschiedlichen Qualität des Geländes schwer möglich, also wurde gelost. Sehr oft heißen zugeloste Wald- und Auanteile Leaser (Losanteile), Toaler (Teiler) oder Sticker (Stücker).
Torgglwiesen
Es handelt sich um die (ehemaligen) Wiesen im Bereich des Gruberhofs, des Untermaiser Friedhofs, des Angerwegs, der Case popolari und der oberen Cadornastraße (Kasernen). Mundartlich Torggl bedeutet so viel wie ‘Weinpresse, Kelter’. Wie unser beliebtes Törggelen geht der Ausdruck auf das althochdeutsche torcula < lateinisch torcular ‘Steinpresse, Kelter’ < lateinisch torquere ‘drehen, pressen’ zurück. Anzunehmen ist also, dass sich im Bereich der Torgglwiesen eine oder mehrere solcher Torggeln befunden haben.
Die Bezeichnung torchelarius für einen Weinbauarbeiter ist übrigens für das 13. Jahrhundert verbürgt, für die Bozner Gegend ist im 17. Jahrhundert die Berufsbezeichnung weinpauarbeiter und torggler überliefert. Die Vorfahren der Träger des Familiennamens Torggler waren also in den Weinbergen anzutreffen.