Auf der Suche nach der Wahrheit
Jürgen Todenhöfer über seinen Besuch im Zentrum des IS-Regimes
Im Winter 2017 von Dr. Martina Reinstadler
Der bekannte Publizist und Buchautor Jürgen Todenhöfer reiste, gemeinsam mit seinem Sohn Frederic und einem Begleiter, zehn Tage durch das Gebiet des Islamischen Staates. In seinem Buch „Inside IS“ berichtet er ausführlich über seine Erlebnisse und Eindrücke aus dem Zentrum des Kalifats. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Buches erschien der gleichnamige Dokumentarfilm. Der Film bietet erschreckende und direkte Einblicke in die Welt der Kämpfer, Anführer und Propagandisten des Islamischen Staates. Todenhöfer war vor Kurzem im Freizeitzentrum von Sulden zu Gast.
Bei der Filmvorführung erzählte er über seine lebensgefährliche Reise, sprach über die Terrororganisation IS, deren Strategie und Ziele. Ein Mann, auf der Suche nach der Wahrheit.
Meraner Stadtanzeiger: Herr Todenhöfer, was war Ihre Motivation für diese Reise?
Jürgen Todenhöfer: Ich wollte das Phänomen IS verstehen. Wenn man seinen Feind besiegen will, dann sollte man ihn auch kennen. Gemeinsam mit meinem Sohn habe ich im Internet recherchiert und mithilfe der sozialen Netzwerke Kontakt mit deutschen IS-Kämpfern im Mittleren Osten aufgenommen. Mit ihnen habe ich dann via Skype intensive Gespräche geführt. Sieben Monate lang habe ich mit mir gerungen ob diese Reise überhaupt verantwortbar ist.
MS: Sie haben daraufhin zehn Tage mit IS-Kämpfern verbracht. Welche Ziele verfolgt der IS?
J. Todenhöfer: Die IS-Terroristen verfolgen vier Ziele: die Schaffung eines großen Islamischen Staates, die Gründung der schlagkräftigsten Terror-Organisation der Welt, die Provokation des Westens und die Spaltung unserer Gesellschaft. Denn durch die vielen Anschläge wollen sie einen Keil durch unsere westliche Gesellschaft treiben.
Der IS predigt nicht den Islam, sondern seine private Sharia. Der IS ist ein Gegenprogramm des Islams. Denn diese Religion verbietet die Tötung von Zivilisten, Frauen, Kindern und alten Menschen.
MS: Wie können die Probleme im Mittleren Osten gelöst werden?
J. Todenhöfer: Dort ist unter anderem mit Schuld des Westens so viel kaputt gegangen, dass es sich nur ganz schwer wieder reparieren lässt. Ich glaube, dass man den IS nicht besiegen kann, so wie es die US-geführte 60-Mächte-Koalition versucht und einfach alle Städte bombardiert, die vom IS terrorisiert werden. Im Ramadi steht zum Beispiel kein einziges Haus mehr. Eine Sunnitische Stadt nach der anderen wird von den Amerikanern bombardiert.
Ich möchte anhand dieses Beispiels erklären, wie der Kampf dort stattfindet: Vor Ramadi standen ungefähr 30.000 Soldaten, geführt von den Amerikanern, der Irakischen Armee, den Iranern usw. Die Stadt wurde so lange bombardiert, bis kein einziges Haus mehr existierte. Dabei sind 8.000 oder vielleicht 10.000 Menschen gestorben. Junge Leute aus Ramadi haben ihre Familien und Häuser verloren und wollen sich rächen. Diese treten schlussendlich dem IS bei. So wächst die Zahl der Terroristen weiter und weiter. In Ramadi selbst gab es 2.000 IS-Kämpfer. Von den 2.000 Kämpfern in der Schlussschlacht sind 1.850 Leute entkommen. Das heißt, man hat eine ganze Stadt platt gemacht und dabei 150 Terroristen ausgeschaltet. Zusätzlich gibt es jetzt aber noch einmal 1.000 oder 1.500 neue Terroristen, die sich rächen wollen.
MS: Wie bewerten Sie somit die Strategie des Westens?
J. Todenhöfer: Als der Afghanistan-Krieg gestartet wurde, gab es ein paar Hundert Terroristen im Hindukusch. Heute gibt es über 100.000. Mit jedem Land und jeder Stadt, die bombardiert wird, steigt die Anzahl der Terroristen.
In Mosul leben eine Million Zivilisten. Gerade stehen 100.000 Soldaten mit Panzern, Raketenwerfern und schwerster Artillerie vor der Stadt. In Mosul selbst gibt es noch 3.000 IS-Kämpfer. Normale Soldaten haben eine ganz andere Art von Krieg gelernt als diese Killer. IS-Soldaten sind Guerillas, die im Straßenkampfstil kämpfen. Sie schicken einfach Autos los, welche die Panzer in die Luft sprengen. In der Region Mosul gibt es bereits 15.000 Tote in den letzten zwei Jahren. Die Millionenstadt mit ihrer großen kulturellen Tradition wird schon bald nicht mehr existieren. Von den 3.000 IS-Leuten werden vielleicht 1.000 ausgeschaltet sein, die anderen werden fliehen und der Krieg wird weitergehen. Es wird neue Terroristen geben und der Krieg wird sich über die ganze Welt verbreiten. Die IS-Kämpfer werden zwar ihren Staat verlieren, aber die Terrororganisation wird weiter bestehen und für ihre Ideologie kämpfen. Deshalb ist die Strategie des Westens völlig falsch.
MS: Haben Sie einen Lösungsvorschlag?
J. Todenhöfer: Es gibt Leute, die Interesse am Krieg haben. Seit Beginn des Antiterrorkrieges vor 15 Jahren haben sich die Aktienkurse der großen amerikanischen Firmen verdoppelt. Die Aktienkurse der US-Rüstungsindustrie haben sich sogar versiebenfacht. Ich frage mich manchmal, ob die Führung der Vereinigten Staaten den IS wirklich total ausschalten will. Diese Bosse der Rüstungsfirmen werden sich nämlich immer für eine kriegerische Lösung aussprechen. Nicht umsonst heißt es „kauft Aktien, wenn die Kanonen donnern“. Der Fehler in dieser Konstruktion liegt darin, dass diese Rüstungsfirmen privat sind. Wir sollten irgendwann die Forderung erheben, dass die Rüstungsindustrie, vor allem in Amerika, verstaatlicht wird.
MS: Wie kann der Terrorismus bekämpft werden?
J. Todenhöfer: Die sunnitischen Araber, die nach dem Sturz von Saddam Hussein verdrängt wurden, wären bereit, gegen den IS zu kämpfen. Sie haben der amerikanischen Regierung sogar ein Angebot gemacht, den IS zu erledigen. Das Weiße Haus und der Sicherheitsberater von Obama hat der Führung dieser 10 Millionen Sunniten nicht einmal einen Termin gegeben.