Coronavirus-Pandemie und Sozialgenossenschaften
Im Gespräch mit Monika Thomaser
Im Sommer 2020 von Eva Pföstl
Die Coronavirus-Pandemie wirkt sich auf uns alle aus und betrifft alle Aspekte unseres Lebens. Besonders schwer trifft sie aber die Menschen am Rande unserer Gesellschaft: psychisch Kranke, Süchtige, Menschen mit Behinderung, Obdachlose, Migranten, Menschen in schwierigen Lebenslagen. Wir haben Monika Thomaser, Leiterin der Sozialgenossenschaft Albatros um ein schriftliches Interview gebeten, um mit ihr über die aktuelle Situation und die neuen Herausforderungen im Bereich der Sozialgenossenschaften zu sprechen.
MS: Das Coronavirus hat unser Leben verändert. Wie haben Sie persönlich diese Ausnahmesituation wahrgenommen?
M. Thomaser: Als die Schule und der Kindergarten geschlossen wurden und meine Kinder zu Hause bleiben mussten, ist mir bewusst geworden, dass da etwas Größeres auf uns zurollt. Dementsprechend groß waren auch meine Angst und Unsicherheit. Die Angst um die Gesundheit meiner Familie und die Unsicherheit, welche Auswirkungen dieses Virus für Albatros haben wird. Das Coronavirus hat unseren Familienalltag ganz schön durcheinandergebracht. Die Zeit der sozialen Distanzierung war nicht leicht, ein Tagesplan aus smartworking, homeschooling, home-Kindergarten, Spiel und Bewegung hat uns aber geholfen, diese außergewöhnliche Zeit zu meistern. So langsam wagen wir wieder erste soziale Kontakte und genießen diese Momente ganz besonders.
MS: Schauen wir auf Ihren beruflichen Alltag, wie sind Sie als Direktorin einer erfolgreichen Sozialgenossenschaft mit dieser Krise umgegangen? Welches waren die größten Herausforderungen?
M. Thomaser: Eine der größten Herausforderungen war sicherlich die Entscheidung, den Betrieb zu schließen. Wir hatten bereits vor dem Lockdown in mehreren Krisensitzungen beschlossen, einzelne Dienste einzustellen und die Mitarbeiter, die zur Risikogruppe gehören, zu deren eigenem Schutz zu Hause zu lassen. Als dann die Schließung verordnet wurde, ist mir ehrlich gesagt ein Stein vom Herzen gefallen. Die Entscheidung wurde uns sozusagen abgenommen. Es war eine notwendige Verschnaufpause, um die Situation in Ruhe analysieren und die Arbeit neu organisieren zu können. Wir haben unsere Mitarbeiter in Lohnausgleich versetzt. Die Lohnausgleichskasse haben wir vorgestreckt und zu 100 % integriert. Unsere Mitarbeiter hatten keine finanziellen Einbußen und regelmässig ihren Lohn erhalten. Volle Löhne und der Erhalt aller Arbeitsplätze war und ist für uns nach wie vor oberstes Ziel in dieser Krise. Wir haben glücklicherweise die notwendigen Reserven, da wir in den vergangenen Jahren sehr gut und vor allem mit Bedacht gewirtschaftet haben.
MS: Wie sind Ihre Mitarbeiter mit dieser Situation umgegangen?
M. Thomaser: Ich denke, die Tatsache, dass wir alles unternommen haben, um unsere Mitarbeiter zu schützen und gleichzeitig den vollen Lohn pünktlich bezahlt haben, hat ein unglaubliches Gefühl der Sicherheit vermittelt. Die Mitarbeiter wussten, ihre finanzielle Existenz ist nicht bedroht und sie hatten somit den Kopf frei, um den eigenen Alltag, der für viele nicht einfach ist, zu bewältigen. Und nun, da wir den Betrieb wieder langsam hochfahren, gilt es, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Das heißt, unsere gewohnten Arbeits- und Verhaltensmuster mussten wir ablegen und glauben Sie mir, das ist bei 70 unterschiedlichen Köpfen nicht einfach. Ich staune aber, wie rasch sich alle an die neue Situation angepasst haben. Sie zeigen Verantwortung und sind sehr darauf bedacht, sich und die anderen zu schützen. Nach dieser langen Zeit der sozialen Isolation sind alle froh, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Für viele unserer Mitarbeiter hat die Arbeit einen wichtigen sozialen Stellenwert, ist der Arbeitsplatz viel mehr als nur ein Arbeitsplatz.
MS: Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Sozialgenossenschaft?
M. Thomaser: Wir werden finanzielle Einbußen haben, keine Frage. Wie groß der Schaden sein wird, kann ich noch nicht abwägen. Die wahren Auswirkungen werden wir erst im nächsten Jahr zu spüren bekommen, nämlich dann, wenn die Liquidität der Menschen futsch ist, da Kredite zurückbezahlt werden müssen, das Arbeitslosengeld nicht mehr greift, die Arbeitslosigkeit steigt, die Menschen sich überschuldet haben. Wir werden in Zukunft noch bedachter wirtschaften, umdenken und uns die Frage stellen müssen, brauchen wir das alles, wo können wir Ressourcen bündeln. Wir haben unsere Arbeitsabläufe neu definieren müssen. Die Mitarbeiter müssen sich nun vielfach selbst organisieren, Arbeitseinsätze selbst planen und Eigenverantwortung übernehmen. Das sind für Arbeiter komplett neue Erfahrungen. Hier entdecken wir derzeit viele verborgene Fähigkeiten und Kompetenzen. Wollen wir der Krise auch etwas Positives abgewinnen, so stelle ich fest, dass der Zusammenhalt gewachsen, der Umgang respektvoller geworden ist. Es gibt auch eine gewisse Entschleunigung, die Arbeit ist etwas in den Hintergrund gerückt, andere Werte sind nun wichtiger. Und das tut uns allen gut.
MS: Auf welche neuen Herausforderungen stellt sich Albatros für die Zukunft ein?
M. Thomaser: Diese Krise wirkt sich auf uns alle aus und betrifft alle Aspekte unseres Lebens. Besonders schwer trifft sie aber die Menschen am Rande unserer Gesellschaft: psychisch Kranke, Süchtige, Menschen mit Behinderung, Obdachlose, Migranten, Menschen in schwierigen Lebenslagen. Immer mehr Menschen werden in die Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Isolation abrutschen. Der Bedarf an sogenannten geschützten Arbeitsplätzen, wie wir sie bieten, wird steigen. Doch es wird nicht Platz für alle geben. Wo liegen die Prioritäten, wer hat Vorrang? Solche Fragen werden wir uns künftig bei der Auswahl der Projekte stellen müssen. Immer unter der Voraussetzung, dass wir ausreichend Arbeit haben. Und da bin ich bei unseren potenziellen öffentlichen Auftraggebern. Die bisherige Vergabepolitik muss endlich überdacht werden. Ziel einer Ausschreibung darf nicht die maximale Kosteneinsparung sein, sondern die Förderung der einheimischen, sozialen, klein- und mittelständischen Unternehmen, welche sichere Arbeitsplätze – insbesondere für sozial Schwache – vor Ort bieten. Öffentliche Körperschaften müssen in dieser Krise mehr denn je Verantwortung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht übernehmen.
MS: Was lehrt uns diese Erfahrung in der Krise über die Zeit der Einschränkungen hinaus?
M. Thomaser: Wir ertragen mehr als wir glauben und brauchen weniger als wir haben. Einzig unsere Mitmenschen, auf die können wir auf keinen Fall verzichten.