Die Kirche braucht eine neue Sprache
Im Herbst 2019 von Eva Pföstl
Reinhard Demetz, wohnhaft in Meran, wurde heuer mit dem Ehrenkreuz des Landes Tirol ausgezeichnet. Demetz, 83 Jahre alt, war bis zum Jahr 2000 Direktor und Verwalter des Bildungshauses Lichtenburg/Nals. Heute ist er geistlicher Assistent des Bildungshauses Lichtenburg/Nals und Aushilfskraft in der Seelsorgeeinheit Schenna. Er ist ein Freund der klaren Worte. Und damit verschont er niemanden. Auch nicht die Kirchenführung.
Die scharfe Kritik von Reinhard Demetz an seiner katholischen Kirche hat in Südtirol Aufsehen erregt. Mit offenen Worten fordert der ehemalige Direktor der Lichtenburg in Nals die zuständigen Verantwortlichen auf, sich einer Reform zu unterziehen und sich mit der Frage zu befassen, wie die Kirchenführung mit der eigenen Zukunft umgehen will. Die Kirche braucht eine neue Sprache, ist sein Credo, ansonsten wird sich die Krise des Glaubens weiter verstärken. Reinhard Demetz geht es darum, transparente und gerechte Strukturen zu schaffen, an denen alle Gläubigen beteiligt sind. Dazu gehören eine zeitgemäße Sexualmoral, die Abschaffung des Pflichtzölibats, die Gleichberechtigung von Frauen, die Stärkung des Ehrenamtes mit entsprechender Spesenvergütung. Die Liste ließe sich fortsetzen, erzählt er im Gespräch.
Meraner Stadtanzeiger (MS): An welchem Punkt steht die katholische Kirche aus Ihrer Sicht heute?
R. Demetz: Die Kirche steht vor einem Umbruch, vor großen Reformen. Sowohl Strukturen als auch Inhalte müssen sich ändern. Wichtig ist es dabei, dass Reformen nicht nur Neues schaffen, sondern dazu dienen, den Grundauftrag der Kirche, d.h. die Weitergabe des Glaubens, besser zu machen.
MS: Welcher Reformstau wäre dringend zu lösen?
R. Demetz: Die Krise der Kirche wurzelt auch in einer Entfremdung ihrer Sprache von den einfachen Gläubigen. Salbungsvolle Worte und publikumswirksame Events nützen wenig oder nichts. Theologische Erkenntnisse müssen übersetzbar und für jedermann verstehbar sein. Ansonsten wird sich die gegenwärtige Krise des Glaubens nur noch weiter verstärken und die Kirche weiter an Relevanz in der Gesellschaft verlieren. Das Kirchenvolk braucht Antworten auf Fragen, welche die Menschen heute tatsächlich beschäftigen, und nicht auf Fragen, die man der Kirchengemeinde gutmeinend unterstellt.
MS: Was muss sich ändern?
R. Demetz: Notwendig wäre, z.B. was Kirchensprache betrifft, eine neue Wort- und Begriffswahl für überlieferte Glaubenswahrheiten, damit die Ohren unserer Zeit sie verstehen. Der bekannte Theologe Hubertus Halbfas meint in einer Streitschrift dazu: „Die Vermittlung des christlichen Glaubens in den Formeln der Tradition hat ihre Haltbarkeitsgrenze überschritten.“ (aus „Kurskorrektur“ von H. Halbfas, Patmosverlag, 2018). Und wenn es schon keine Priesterinnen geben darf, dann wenigstens Diakoninnen. Außerdem eine sachgerechte Einstellung zur Sexualität: Beziehung und Sexualität gehören zum Wesen des Menschseins. Auch wäre die Abschaffung des „Pflicht“-Zölibats längst überfällig. Stichwort Missbrauch: Der Pflichtzölibat ist sicher nicht alleinige Ursache für sexuellen Missbrauch, aber jedenfalls ein erheblicher Risikofaktor und „Mit-Grund“. Wer immer verhindert, dass das Thema Sexualität offen angegangen wird, schafft eine Moral des Verschweigens und Vertuschens – eine Moral, deren bittere Konsequenzen seit Langem die Zeitungsspalten füllen.
MS: Aber der Pflichtzölibat ist doch für viele ein wichtiger Identitätsmarker der Kirche?
R. Demetz: Viele, die noch am Zwangszölibat festhalten, tun immer noch so, als handle es sich um eine Tradition von Anfang an, an welcher die Kirche unbedingt festhalten müsse. Dabei gibt es weder einen Auftrag Christi, noch ein göttliches Gebot, noch eine apostolische Anordnung, die den Zölibat für Priester verbindlich vorschreiben.
Hat man vergessen, was Paulus schon in den 50er-Jahren an Timotheus schrieb?: „Der Bischof muss ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern und besonnen… er soll ein guter Familienvater sein…“ (1 Tim 3,2-4). Das zweite Laterankonzil 1139 verbietet zwar die Heirat von Klerikern, vom Ausschluss verheirateter Männer von den Weihen steht jedoch nichts. De facto kümmerten sich nachweislich noch jahrzehntelang Priester – zwar nicht verheiratete, aber sehr wohl mit Frau und Kindern – um die Seelsorge und Eucharistiefeier für ihre Christengemeinden. Unumstößlich ist der Zölibat erst seit 100 Jahren, denn erst 1917 wurde die Weihe im kirchlichen Gesetzbuch, dem Codex Juris Canonici, zum Ehehindernis und die Ehe zum Weihehindernis erklärt. Fortan durfte, wer verheiratet war, nicht Priester werden, und wer Priester war, durfte keine Ehe mehr schließen. Selbst das zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) erachtet den (Pflicht-)Zölibat lediglich als „angemessen“, aber nicht als wesentlich für den priesterlichen Dienst. Priesterweihe sollte man in Zukunft auch für sogenannte „viri probati“ (gemeint sind im Dorf bewährte, eventuell auch verheiratete Männer) möglich machen. Und warum soll man z.B. den heute verheirateten Diakonen den Empfang der Priesterweihe nicht möglich machen? Nebenher bemerkt: Jesus hat keine Priester „geweiht“, er hat Menschen für die Weitergabe seiner Frohbotschaft „beauftragt“. Und der erste „Papst“ (Petrus) war übrigens auch verheiratet, hat doch Jesus dessen kranke Schwiegermutter geheilt, wie wir in der Bibel lesen können. Verheiratet waren auch mehrere Apostel.
MS: Was muss sich außerdem noch ändern?
R. Demetz: Wir brauchen dringend mehr Frauen mit Entscheidungsbefugnissen in unserer Kirche. Zum einen geht es um eine neue Gesinnung des Miteinander und um den Abbau uralter Vorbehalte gegen Frauen, zum anderen um die Einbeziehung der weiblichen Hälfte der Getauften in Entscheidungsprozesse der Kirche auf allen Ebenen: Pfarrei, Diözese, Heiliger Stuhl. Wenn Jesus heute zur Welt käme, würde er sicher Frauen einstellen. Wer gibt denn den Glauben weiter? Es sind die Mütter, die Großmütter, die Kindergärtnerinnen, die vielen Katechetinnen! Daher sollen Frauen Mitsprache und auch Entscheidungsbefugnis erhalten. Auch sollen Frauen die Möglichkeit haben, wenigstens zu Diakoninnen geweiht bzw. berufen zu werden. Warum schöpft man nicht aus dem Reservoir der ca. 500 Frauen (und Männer), welche in Brixen das volle Theologiestudium absolviert haben? Über „Frauenpriestertum“ sollte man wenigstens sachlich diskutieren können – leider ist das heute aufgrund einer Anordnung Papst Johannes Paul II. untersagt! Für die Weitergabe des Glaubens, in Predigt und Messfeier, bräuchte es meines Erachtens dazu „beauftragte” Personen, mit menschlicher Reife, Begeisterung für die Sache Jesu und genügend biblisch/theologischer Kompetenz... sowohl Geweihte als auch Nicht-Geweihte, Männer oder Frauen, ledige oder verheiratete.
MS: Ausgegrenzt werden ja auch Geschiedene bei der Kommunion und Homosexuelle bei der Ehe. Was ist mit denen?
R. Demetz: Auch wenn Menschen an der Ehe scheitern, so bleiben sie doch weiterhin vollwertiger Teil der christlichen Gemeinde. Ich glaube, dass Gott auch zu viel mehr Formen der Zweisamkeit sein wohlwollendes JA sagt, als uns in unserer verurteilenden Kurzsichtigkeit lieb ist.