„Ich muss als ‚Anbrunzmensch‘ herhalten und das muss man aushalten.“
Im Sommer 2018 von Philipp Rossi
Meraner Stadtanzeiger: Herr Rösch, Sie sind seit 2015 Bürgermeister. Macht’s immer noch Spaß?
Paul Rösch: Spaß ist vielleicht in diesem Zusammenhang ein eigenartiges Wort. Bürgermeister zu sein macht mir wahnsinnig viel Freude, Ideen umzusetzen und für Meran so etwas wie „Lebenswürde“ zu gestalten. Freilich muss ich aber manchmal, wenn etwas nicht klappt, als „Anbrunzmensch“ bzw. Sündenbock herhalten.
MS: Wie zukunftsorientiert ist Meran?
Paul Rösch: Eine der Stärken Merans liegt in der Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. In der Geschichte unserer Stadt ist dies beispielsweise geschehen, als das Penizillin erfunden wurde und Meran daraufhin die Terrainkur entwickelte, um den Kurtourismus nicht zu verlieren. Nach dem 1. Weltkrieg musste sich Meran neu erfinden, genauso wie nach dem 2. Weltkrieg. Ich glaube, es liegt in der DNA von Meran, zukunftsorientiert zu sein.
MS: Wie sehr soll Meran in Ihrer Vision noch wachsen?
Paul Rösch: Was das Wachstum der Stadt angeht, sollten wir vorsichtig sein. Wir haben jetzt schon mit dem Problem der Überfüllung der Kindergärten und Schulen zu kämpfen, zu dessen Lösung das neue Schulzentrum in Untermais wesentlich beitragen wird. Daher wollen wir grundsätzlich keine neuen Wohnbauzonen mehr ausweisen.
MS: Hat Meran mit seinen mittlerweile über 40.000 Einwohnern seine Maximalkapazität erreicht?
Paul Rösch: Wir müssen uns gut überlegen, welche Stadtgröße wir imstande sind zu verkraften. Bevor wir eine Wohnbauzone ausweisen, müssen wir schon über einen klaren Plan bezüglich der nötigen Infrastrukturen und Dienstleistungen für die Bevölkerung, die sich ansiedeln wird, verfügen, und nicht erst, wie es leider oft Brauch ist, im Nachhinein daran denken.
MS: Stichwort Verkehr. Welche Entwicklungen stehen der Stadt bevor?
Paul Rösch: Ing. Stefano Ciurnelli hat erst vor kurzem seine Vorschläge zu einem neuen Verkehrsplan für die Stadt präsentiert. Darüber bin ich sehr glücklich. Nicht nur in Meran, sondern landesweit hat sich ein neues Bewusstsein dafür entwickelt, dass wir in Sachen Verkehr eine Grenze erreicht haben. Bereits in unserem Koalitionspapier haben wir festgelegt, dass in Meran an erster Stelle der Fußgänger, dann der Radfahrer und zum Schluss der Autofahrer steht. Dies hat uns viel Kritik eingebracht. Wir hatten die Vision, aufgrund des Lärmschutzes überall die Begrenzung 30 km/h einzuführen. Der Druck war aber zu groß, und wir mussten auf
40 km/h zurückgehen. Wir werden nun die Vorschläge, die Ing. Ciurnelli ausgearbeitet hat, den verschiedenen Interessenvertretern und allen Bürgerinnen und Bürgern unterbreiten und deren Rückmeldungen miteinbeziehen.
MS: Die Stadt wartet jedoch immer noch auf die Umfahrungsstraße ins Passeiertal.
Paul Rösch: Derzeit laufen noch Gerichtsprozesse, deren Ausgang wir abwarten müssen. Der Druck aus dem Passeiertal ist sehr groß, aber mir scheint, im Passeiertal macht man sich wenig Gedanken, wie die Gäste ins Tal kommen und wie sie sich dort fortbewegen.
Wir treffen uns regelmäßig mit den Bürgermeistern für einen Austausch und mittlerweile herrscht eine gute Gesprächskultur. Wir brauchen Auffang-Parkplätze außerhalb der Stadt und diese müssen zum Teil auch die umliegenden Gemeinden errichten.
Bisher galt immer die nicht zutreffende Meinung, dass mit der Umfahrungsstraße die Meraner Verkehrsprobleme gelöst würden. Die neuen Erhebungen zeigen, dass das nur teilweise der Fall ist. Selbst zu Stoßzeiten beträgt der Durchzugsverkehr in Meran höchstens
25 % des Gesamtverkehrs. Dies bedeutet, dass die Fahrzeuge, die aus dem Passeiertal kommen und nicht nach Meran möchten, nur einen kleinen Teil des Stadtverkehrs ausmachen. Die Umfahrungsstraße ist Teil des Gesamtkonzeptes von Ing. Ciurnelli. Wir müssen aber auch weitere Maßnahmen einleiten, dann das allein wird unsere Probleme nicht lösen. Wir sind auf dem richtigen Weg und bereiten uns sehr gut vor.
MS: Einer der Vorschläge für den städtischen Verkehrsplan sieht vor, die obere Freiheitsstraße mit einem Elektrobus zu befahren. Wie stehen Sie dazu?
Paul Rösch: Die Freiheitsstraße ist ein unendlicher Zankapfel. Ganz sicher ist, dass die Freiheitsstraße nie mehr eine Durchfahrtsstraße wird. Einer von mehreren Vorschlägen für die Erreichbarkeit der Innenstadt sieht den Einsatz eines Elektrobusses durch die obere Freiheitsstraße vor. Der Elektrobus würde alle fünf Minuten in eine Richtung vorbeifahren. Diese Lösung wäre auch deutlich kostengünstiger als der Ist-Zustand. Auch andere Städte haben ähnliche Konzepte umgesetzt. Jedenfalls möchten wir die Meinung der Bevölkerung abwarten, ehe eine Entscheidung darüber getroffen wird. Dies ist wichtig: Direkte Demokratie ist zwar nicht einfach, aber zielführend. Ich möchte mich also noch nicht festlegen.
MS: Was passiert mit dem Kasernenareal?
Paul Rösch: Da die Gemeinde nicht die Eigentümerin der Fläche ist und folglich erst ein Abkommen mit dem Land unterzeichnet werden muss, das die Fläche vom Militär übernimmt, wird es frühestens 2020 zu einer endgültigen Lösung kommen. Es gibt viele Ideen. Bevor die Zielsetzung definiert wird, müssen die Kosten geklärt werden. Zudem müssen wir auf den konkreten Bedarf gemäß unserer Strategien achten, um nachhaltig planen zu können. Es gibt bereits genügend fertige Projekte verschiedener privater „Immobilienhaie“, die mit dem Areal Geld verdienen möchten, aber vielleicht nicht das langfristige Wohl der Stadt im Auge haben.
MS: Möchte Meran im akademischen Bereich aktiver werden?
Paul Rösch: Eine Stadt darf nicht auf einem einzigen Standbein stehen. Tourismus und Unternehmertum sind zwei wichtige Stützen der Meraner Wirtschaft. Gleichzeitig sollten wir mehr auf die Bereiche Ausbildung und Forschung setzen. Wir verfügen jetzt schon über einige exzellente Bildungsstätten. Dazu kommt zukünftig das Forschungszentrum von Alperia Research. Derzeit finden außerdem Gespräche statt, ob z. B. ein Standbein der EURAC in Meran angesiedelt werden könnte.
MS: Was geschieht gerade im Sozialbereich?
Paul Rösch: Die Gemeinde ist gerade dabei, den neuen Sozialplan auszuarbeiten. Dessen oberste Maxime sollte das „Gemeinwohl“ unserer Bevölkerung durch ein Miteinander, durch ein „WIR-Gefühl“ sein. Gleichzeitig wollen wir das Ehrenamt, welches in Meran stark verankert ist, unterstützen.