Interview mit Landesrat Philipp Achammer
Im Sommer 2017 von Eva Pföstl
Die Stadt Meran feiert ihr 700-Jahr-Jubiläum. Grund genug, dass der Meraner Stadtanzeiger unseren Landesrat für Deutsche Bildung und Kultur und für Integration um ein Interview bat.
Meraner Stadtanzeiger (MS): Wie sehen Sie als Landesrat die „kulturelle“ Entwicklung der Stadt Meran?
Ph. Achammer: Ich denke, Meran hat sehr gut daran getan, in den vergangenen Jahrzehnten einen besonderen Fokus auf die Kultur zu richten und sich als Kulturstadt zu positionieren. Das vielfältige Angebot, die professionelle Umsetzung und die positive Resonanz geben den Meranern recht. Quer über alle Kultursparten hinweg, bei Theater, Musik, Kunst, Museen, aber auch in der alternativen Szene weiß Meran mit einem erstklassigen und über die Stadt hinaus überzeugenden Angebot zu begeistern. Für die Zukunft gilt es sicherlich, noch mehr die Synergien zu nutzen und das kulturelle Angebot gebündelt zu präsentieren, damit man gemeinsam noch stärker punktet.
MS: Die Stadt Meran feiert heuer ihre 700 Jahre. Dabei geht es nicht nur um “Vergangenheitsbewältigung”, sondern insbesondere auch um die Frage einer nachhaltigen Stadtentwicklung, besonders auch im Bereich Bildung, Kultur und Integration. Welche Rahmenbedingungen bietet diesbezüglich Ihre politische Agenda?
Ph. Achammer: Bildung, Kultur und Integration sind Schlüsselressorts, wenn es darum geht, eine Gesellschaft zu formen und nachhaltig zu prägen! Unser Bildungssystem ist geprägt vom ständigen Bemühen, unseren Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Ausbildung für die Anforderungen der heutigen Arbeitswelt zu gewähren und sie zu offenen und kritischen Menschen zu machen, die eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Die Kultur hingegen trägt ganz wesentlich zum Reifen und Weiterentwickeln einer Gesellschaft bei und darf deshalb nie als Luxus gesehen werden. Damit sie sich entfalten kann, braucht sie ein starkes Lobbying. Mit dem neuen Landeskulturgesetz haben wir eine gesetzliche Vereinfachung erreicht, ein breiteres Spektrum an Förderinstrumenten und Förderungsberechtigten geschaffen und die Planungssicherheit für Kulturschaffende erhöht. Die Integration neuer Mitbürger schließlich ist eine Schlüsselfrage unserer Zeit. Damit Integration und somit ein friedliches Zusammenleben unter neuen Voraussetzungen gelingen kann, braucht es ein Wechselspiel des Forderns und Förderns. Mit der Integrationsvereinbarung haben wir die Grundsätze der Integration definiert, nun wollen wir auch noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Bemühungen zur Integration an Sozialleistungen gekoppelt werden kann. Ich denke, Meran ist mit seinen vielfältigen Angeboten sehr gut aufgestellt und kann bei den vorgegebenen Rahmenbedingungen seine Position als Stadt der Bildung, Kultur und Begegnung festigen und ausbauen.
MS: Für viele ist Meran bereits „DIE“ Südtiroler Kultur- und Literaturstadt. Empfinden Sie das auch so? Was sieht Ihr Budget für die Stadt Meran vor?
Ph. Achammer: Aus dem von mir verwalteten Kulturbudget erhalten Meraner Vereine und Initiativen jährlich rund 1,3 Mio. Euro an Beiträgen. Darunter fallen die ordentlichen Tätigkeiten, kulturelle Projekte oder Investitionen, Publikationen, Bildungstätigkeit sowie die Förderung einzelner Künstler. Zusätzlich gibt es Mittel für die Bibliotheken, die Weiterbildung und Jugendarbeit. Betrachtet man über die blanken Zahlen hinaus Vielfalt und Charakter der Projekte und Initiativen, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass Kultur eine Strahlkraft in Meran und für Meran entfaltet, die weit über Südtirol hinaus reicht. 2017 werden die Beiträge aufgrund verschiedener Initiativen zum Stadtjubiläum im Übrigen erkennbar höher sein.
MS: Im Bezirk Burggrafenamt hat Meran eine starke Mittelpunktsfunktion übernommen. Die prägende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rolle in Südtirol wurde gefestigt, ebenso das friedliche Zusammenleben der Sprachgruppen und Kulturen. Welchen Beitrag kann die Schule dazu leisten?
Ph. Achammer: Bildung hat einen grundlegenden sozialen, kulturellen, aber auch ökonomischen Wert. Sie bereitet den Einzelnen darauf vor, in einer zunehmend komplexer werdenden Welt Orientierung zu finden und Verantwortung zu übernehmen. Wissen ist dabei neben der Beziehung die zentrale Ressource. Die heutigen Rahmenbedingungen bieten einen kapillaren Zugang zu Wissen, und die Bildungseinrichtungen vermitteln jungen Menschen die Fähigkeit, dieses Wissen zu erschließen. Damit sind auch für Meran als Schulstadt alle Voraussetzungen gegeben, diese Positionierung auch über die Bildung zu stärken.
MS: Gibt es Neuigkeiten zu den Platzproblemen in der Mittelschule Obermais?
Ph. Achammer: Es ist unser gemeinsames Bemühen mit der Stadtgemeinde Meran, hier eine Lösung zu finden. Mittelfristig wird die Schule im Maiense-Gebäude untergebracht, in Zukunft hingegen möglicherweise im Böhler-Schulkomplex.
MS: Was halten Sie vom Vorschlag des Senators Palermo bezüglich Errichtung einer zweisprachigen Schule?
Ph. Achammer: In einem mehrsprachigen Land wie Südtirol sollte Mehrsprachigkeit keine Ausnahme, sondern die Norm sein. Die Chancen, die sich unserem Land aufgrund seiner Mehrsprachigkeit bieten, müssen wir ergreifen: Denn die Mehrsprachigkeit ist ein Reichtum für unser Land, in erster Linie eine persönliche Qualifikation und ein bedeutender wirtschaftlicher Vorteil. Die deutsche Schule in Südtirol stellt sich deshalb bewusst der Herausforderung, die Förderung der Mehrsprachigkeit bei allen Bürgerinnen und Bürgern als eines ihrer vorrangigen Ziele zu setzen, ist sich jedoch bei aller Förderung der Mehrsprachigkeit stets bewusst, dass die deutsche Muttersprache für die Südtiroler von besonderer Bedeutung ist. Es gilt deshalb, die vielfältigen Spielräume für den Spracherwerb effektiv zu nutzen und nicht immerzu nach einem kaum definierten mehrsprachigen Modell zu rufen. Bereits heute ist innovatives Sprachenlernen auf vielfältige Weise möglich. In diesem Sinne werden wir unsere Politik zur Förderung der Mehrsprachigkeit konsequent fortsetzen, jedoch nicht auf unser eigenständiges Bildungssystem verzichten.
MS: Südtirols Schule steht laut PISA-Studie sehr gut da, wir liefern konstant gute Werte, die deutlich über dem OECD-Schnitt liegen. Allerdings gilt es, zu beachten, dass der OECD-Mittelwert über die Jahre immer niedriger wird, was bedeutet, dass die Kompetenzen insgesamt zurückgehen. Diesem Trend folgt auch die deutsche Schule, und das in allen drei Bereichen: Im Vergleich zum Jahr 2012 ist der Mittelwert in Naturwissenschaften um 8 Punkte gefallen, im Lesen um 5, während er in Mathematik um ganze 15 Punkte zurückgegangen ist und damit sogar unter dem Wert von 2006 liegt. Gibt Ihnen das zu denken? Schuld der digitalen Medien, der Eltern oder der Lehrer?
Ph. Achammer: Wir sollten zunächst nicht vergessen, dass es sich bei den PISA-Ergebnissen um einen Ausschnitt handelt, um die Erhebung eines Lern- und Leistungsstandes nämlich, der nur einen kleinen Teil des Unterrichts abbildet. Vieles, was einen guten Unterricht ausmacht, kommt nicht in dieser PISA-Studie zum Ausdruck, die sogenannten „soft skills“ etwa, Sozialkompetenzen, das Übernehmen von Eigen- und Gemeinschaftsverantwortung, das aufeinander Eingehen, oder etwa auch das Künstlerisch-Musische. Die künftigen Tests werden – so viel ist sicher – verstärkt auch auf weitere Kompetenzen Rücksicht nehmen und damit ein umfangreicheres Bild zeichnen. Deshalb sollte weniger der Durchschnittswert im Mittelpunkt der Betrachtung stehen als die Frage, ob uns Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit gelingt, ob sozioökonomische Nachteile kompensiert werden oder wie uns eine laufende Qualitätssicherung und Qualitätsbegleitung gelingen. Als Fazit kann man ohne Umschweife behaupten, dass Südtirols Schule sehr gut aufgestellt ist, weshalb wir Schule Vertrauen schenken, weiter in Bildung investieren und die Bedeutung einer guten Ausbildung hochhalten sollten. Unser Bildungssystem ist imstande, jungen Menschen Chancen zu verleihen. Genau darum geht es letztlich!