Interview mit Selma Mahlknecht
Im Frühling 2017 von Eva Pföstl
Die in den letzten Jahren bereits mehrfach ausgezeichnete Vinschger Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin hat kürzlich mit ihrem Essay „Per aspera ad astra“ den zweiten Preis des elften „Bund“-Essay-Wettbewerbs in der Schweiz gewonnen. Anlass genug für den Meraner Stadtanzeiger, die junge Autorin um ein Interview zu bitten.
Meraner Stadtanzeiger (MS): Frau Mahlknecht, woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Selma Mahlknecht: Ich denke, mir geht es wie vielen anderen Menschen auch. Inspirationen gibt es überall: Unsere eigenen Leben und Erfahrungen, aber auch der tägliche Nachrichtenstrom, Musik oder Bücher, die ich gelesen habe, genauso Orte, an denen ich gewesen bin, oder alltägliche Dinge und zufällige Begegnungen. Schreiben ist meine Art, über etwas nachzudenken.
MS: „Stell dir vor, es ist Schule, und alle gehen hin”, lautete das Thema des diesjährigen „Bund“-Essay-Wettbewerbs. Sie haben mit Ihrem Essay „Per aspera ad astra“ den zweiten Preis gewonnen. Was wollten Sie mit diesem Text vermitteln?
S. Mahlknecht: In meinem Text ging es darum, was man in der „idealen“ Schule lernen sollte. Eine Art Meister spricht zu uns und treibt uns zu Eigenständigkeit und Selbsterkenntnis an. Wir leben heute in einer Welt der „Service-Mentalität“, d.h. immer und überall werden wir betreut. Wir erhalten mittlerweile sogar auf unseren Smartphones Werbung, die auf unsere persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Der Umgang mit digitalen Medien ist besonders bei der jungen Generation selbstverständlich in den Alltag einbaut. Sich selbst darzustellen, sei es über Statusmeldungen, Fotos oder Filme, ist unabdingbar für jeden, der dazugehören möchte. Hinter der scheinbaren Freiheit der Selbstentfaltung verbirgt sich ein beträchtlicher sozialer Druck, der auf dem Einzelnen lastet. Ständig verfügbar zu sein und möglichst viele „Likes“ und „Herzchen“ anzusammeln, gehört zu den Spielregeln. Wer sich ihnen entzieht oder nicht mithalten kann, fällt sehr rasch aus der eingeschworenen Gemeinschaft. Gerade deswegen brauchen wir mehr denn je eine „Lebensschule“, die konfrontiert, provoziert und zur Eigenständigkeit erzieht, auch wenn es manchmal schwierig erscheint. Denn „Per aspera ad astra“, eine lateinische Redewendung, bedeutet: „Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen“ oder „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“.
MS: Auch in Ihrem Roman „Luba und andere Kleinigkeiten” reflektiert und kommentiert die Hauptdarstellerin den Zustand der Welt ebenso wie ihre eigene Rolle als junge Frau, trifft auf besondere Mitmenschen und wächst an ihren Schwächen.
S. Mahlknecht: In Lubas Denken wechseln sich Wunschträume und Selbstzweifel ab, Angst und Verwirrung, Frustration und Verantwortungsbewusstsein. Sie denkt über die Lebenswege ihrer Freunde, Mitschüler und Interviewpartner nach und versucht daraus Lehren zu ziehen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Luba fällt immer sehr schnell sehr harte Urteile. Sie wägt nicht ab, verhält sich nicht erst einmal abwartend, sie „weiß“ sofort, was sie von etwas oder jemandem halten soll. Doch ebenso schnell findet sie dann heraus, dass ihr erstes Urteil überstürzt und voreilig war, und zu ihrer Beschämung darf sie sich dann im Zurückrudern üben. Mir war wichtig, in diesem Roman darzustellen, dass auch unser Leben besser wird, je besser wir uns selbst kennen.
MS: In diesem Roman geht es aber auch um das Erwachsenwerden. Was verbinden Sie mit diesem Prozess?
S. Mahlknecht: Erwachsenwerden ist ein extrem langwieriger und schwieriger Prozess. Menschen werden heute später erwachsen als in früheren Generationen. Heute ist man mit zwanzig noch nicht erwachsen und viele fühlen sich sogar mit dreißig noch nicht erwachsen. Ich bin jetzt 38 Jahre alt und in bestimmten Situationen fühle ich mich auch noch nicht richtig erwachsen. Früher wollten die jungen Leute so schnell wie möglich erwachsen werden, da Macht, Würde und Prestige erst mit dem Alter kamen. Heute wird der Spielraum für das Jugendalter weiter ausgedehnt. Junge Leute haben mehr Chancen und mehr Freiheiten als ihre Eltern. Es gibt ein gewachsenes Selbstbewusstsein, sich den eigenen Lebensweg zu wählen.
MS: Wie sehen Sie in der heutigen Zeit die Rolle der Frau?
S. Mahlknecht: Ich bemerke immer öfter, dass junge Frauen Gleichberechtigung und Emanzipation für selbstverständlich halten. Die Situation der Frauenrechte ist heutzutage jedoch mehr denn je fragil – teilweise sind Frauenrechte sogar in Gefahr.
MS: Sie unterrichten in Samedan (Schweiz) die Fächer Deutsch, Theater- und Medienkompetenz. Wo besteht Handlungsbedarf?
S. Mahlknecht: Es fehlt immer mehr Zeit zum Lesen. Lesekompetenz ist wichtig, auch in unserer digitalen Welt. Es kann nicht sein, dass Kernkompetenzen der Schulen, wie z. B. der Deutschunterricht, immer stärker in den Hintergrund gedrängt werden. Kulturtechniken sind unverhandelbar!