Interview mit Werner Masten
Im Herbst 2011 von Gudrun Esser
Meraner Stadtanzeiger: Herr Masten, als Sie 1969 Meran verlassen haben, gab es noch sechs Kinos, nun sind Sie vor nicht allzu langer Zeit zurückgekommen und mussten feststellen, dass es kein Kino mehr in Meran gibt. Das Kinosterben ist aber erwiesenermaßen nicht nur ein meranspezifisches Phänomen, die Zuschauerzahlen sind doch mehr oder weniger weltweit rückläufig. Braucht es also überhaupt noch ein öffentliches Kino, hat doch bald jeder einen Riesenbildschirm oder einen Beamer inklusive einem Home Cinema System zu Hause stehen, versorgt mit Video-on-Demand und kostengünstigen Downloads aus dem Internet?
Werner Masten: Darauf kann es als Antwort nur ein großgeschriebenes, lautes und mit Ausrufezeichen versehenes „JA!!!!“ geben. Kino erfüllt doch von jeher die Funktion eines sozialen und kulturellen Brennpunkts. Es ist eine zwischenmenschliche Kontaktbörse, ein Ort der Begegnung und des Gedankenaustausches, ein Ort des - in unserem „digitalisierten“ und dadurch „vereinsamten“ Leben - Gemeinschaftserlebnisses, nicht nur intellektueller, sondern vor allem emotionaler Prägung. Kino kann nicht nur Selbsterfahrung, Bewusstseinsbildung und Bewusstseinserweiterung sein, sondern auch das Bedürfnis nach Unterhaltung, nach Vergnügen. Der Zuschauer kann in eine imaginäre Phantasiewelt eintauchen und in dieser „Traumwelt“ Entspannung vom Alltagsstress finden etc., und zwar nicht einsam und allein vor dem Fernsehschirm, sondern gemeinsam mit Mitmenschen lachen und weinen, und ist so nicht der Vereinsamung und der in unserer Gesellschaft immer weiter fortschreitenden Isolierung ausgesetzt.
Stadtanzeiger: Sie sind vor einem Jahr vom Filmklub als eine Art Botschafter für das Belangen „Kino“ in Meran eingesetzt worden. Was ist seitdem geschehen?
Werner Masten: Nichts! Jedenfalls von Seiten derer, die infolge ihrer politischen Position im Besitz der für die fälligen Entscheidungen erforderlichen Machtbefugnisse sind. Aus verwaltungstechnischen Motiven (das Lachen darüber kann einem nur im Hals stecken bleiben) haben wir trotz wiederholter Anfragen und Gesuche bis zum heutigen Tag nicht die Erlaubnis erhalten, das Aristonkino, das vom Schulamt für die horrende Mietsumme von über 130.000 Euro unserer Steuergelder pro Jahr als Aula Magna für zwei Oberschulen zweckentfremdet wurde, auch nur für fünf Minuten zu besichtigen, nur um festzustellen, ob es überhaupt als Kino in Frage kommen würde oder eben nicht.
Stadtanzeiger: Und warum gerade das Aristonkino und z.B. nicht eine Wiederbelebung des Apollokinos?
Werner Masten: Abgesehen von der Lage, Größe und Atmosphäre in allererster Linie aus Kostengründen. Man braucht sich doch nur die Schlagzeilen der Wirtschaftsseiten der letzten Monate vor Augen führen: Eine Horrormeldung jagt die andere, dementsprechend ist sicher auch die Haushaltslage der Gemeinden angespannt und wird immer angespannter. Meran wird da bestimmt keine Ausnahme sein. Daher sollten wir realistischer- und fairerweise auch die kostengünstigste Variante ins Auge fassen und das ist meiner Meinung nach das Aristonkino, zumindest ungesehen. Natürlich kann es sein, dass ich meine Meinung nach Besichtigung der Lokalität, zu der es leider bis jetzt aus fadenscheinigen Gründen nicht gekommen ist, ändern muss.
Stadtanzeiger: In Meran wird jedoch im Bürgersaal und in der Mairania Programmkino angeboten. Ist das nicht eine Alternative für das herkömmliche, kommerzielle Kino?
Werner Masten: Erstens haben wir ja gar kein Kino, also kann von Alternative keine Rede sein. Zweitens hat die Filmgeschichte hinreichend gezeigt, wohin das gewagte Unterfangen, das immer auch ein wenig den bitteren Beigeschmack einer gewissen intellektuellen Arroganz hat, Kommerz und Kunst als absolute Qualitätskriterien bei der Bewertung von Filmen anzuwenden, geführt hat: Die deutsche Filmindustrie wurde in den 60er-Jahren auch vom „kunstlastigen Autorenfilm“ in die Knie gezwungen, der europäische Film fristet als Wirtschaftsfaktor schon seit Langem sein Dasein mehr oder weniger als Nischenprodukt und spielt international höchstens noch in den Feuilletons eine Rolle. Film, das Massenmedium des 20. Jahrhunderts schlechthin und fester Bestandteil der Populärkultur, findet jetzt hauptsächlich in Bollywood (Indien), in Hollywood und in Nollywood (Lagos, Nigeria) statt und nicht mehr in Cinecittà oder in Babelsberg.
Aber zurück zu Meran: Wie ich im Rahmen des „Runden Tisches“ von den Verantwortlichen der Meraner Filmclubs, deren Anstrengungen mehr als ehrenwert und löblich sind, bedauerlicherweise erfahren habe, werden ihre Vorstellungen in der Regel von höchstens 50 bis 60 Leuten besucht. Ich glaube nicht, dass sich dieses geringe Publikumsinteresse auf die Programmauswahl zurückführen lässt, sondern in erster Linie auf die Räumlichkeiten und die Abwesenheit jedweder Kinoatmosphäre. In irgendeinem Bürgersaal oder Mehrzwecksaal nur eine Leinwand runterzulassen und einen Projektor anzuschalten, macht aus ihm noch lange kein Kino. Wo bleibt da das Feierliche, das Geheimnisvolle, die Erinnerungen aus Kindheitstagen, das An- und Ausgehen gedämpfter Lichtquellen, der kinospezifische Geruch und die vertrauten Geräusche, das kollektive Ansteigen der Spannung im Saal, wenn der Leinwandvorhang aufgeht, und vor allem der nicht vom Kopf der/des vor einem sitzenden Frau/Mannes verhinderte freie Blick auf die Leinwand?
Stadtanzeiger: Sie haben recherchiert, dass jede verkaufte Kinokarte mit einem finanziellen Verlust von 57 Cent pro Karte verbunden ist. Das Geschäft wird mit dem Angebot der Bar, mit Popkornverkauf und ähnlichem gemacht. Also müsste man, wenn man ein Kinoprojekt ernsthaft umsetzen will, auch an die Struktur drum herum denken?
Werner Masten: Ich habe mich da auf eine Studie in Deutschland bezogen, die eben diese Zahlen nennt. Wir (die wir das Projekt „Ein Kino für Meran“ anstoßen wollen) sollten diese Realitäten zur Kenntnis nehmen und uns nicht der falschen Hoffnung hingeben, dass hinter irgendeiner Ecke ein Investor, Unternehmer oder Kinokettenbetreiber nur darauf wartet, sein Geld in ein Kino für Meran zu stecken. Der einzig gangbare Weg, den ich auch aufgrund der augenblicklichen und erst recht der zukünftigen wirtschaftlichen Lage sehe, ist der eines kommunalen Kinos, also ein von der Gemeindeverwaltung finanziell unterstütztes Kino als nichtkommerzielle Kultureinrichtung.