Sommergespräch mit Dr. Herbert Heidegger
Im Sommer 2021 von Eva Pföstl
Die Corona-Pandemie stellt die Gesellschaft vor knifflige ethische Fragen. Dies gilt genauso für die Fragen zur aktiven Sterbehilfe. Wir haben Dr. Herbert Heidegger, Präsident des Landesethikkomitees, zu diesen Themen um ein Gespräch gebeten.
MS: Herr Dr. Heidegger, Sie sind Präsident des Ethikkomitees des Landes, ein Gremium das die Landesregierung zu ethischen Fragen im Gesundheitswesen berät. Haben Sie das Gefühl, dass die Politik auf Sie hört?
H. Heidegger: Aufgabe des Landesethikkomitees ist es unter anderem, Entscheidungsgremien wie z.B. die Landesregierung oder auch die Task Force bei ethischen Fragestellungen im Gesundheitswesen zu beraten. Mitglieder des Ethikkomitees werden immer wieder von verschiedenen Medien für Interviews und Stellungnahmen angefragt. In Covid-Zeiten sind wir immer wieder selbst initiativ geworden. Es gab in diesen Monaten auch Gespräche mit dem Gesundheitslandesrat. Aber es stimmt, in Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz werden Ethikräte häufiger durch Politik und Sanität in Entscheidungen eingebunden. Diese Kultur muss sich wohl bei uns erst entwickeln.
MS: Die Corona-Pandemie stellt die Gesellschaft vor knifflige ethische Fragen. Welche Fragen waren für Sie im Komitee besonders herausfordernd?
H. Heidegger: Besonders herausfordernde Themen waren z. B. die Triage-Entscheidungen, wo es darum geht, wie man knappe (Intensiv-) Betten, oder andere Ressourcen verteilt. Oder auch die gerechte Verteilung der Impfstoffe, oder die Frage, welchen Risiken man medizinisches Personal aussetzen darf. Nicht zu vergessen die Frage nach der Einschränkung von Grundrechten für die Bevölkerung.
Und jetzt die wichtige Frage, welche Auswirkungen die Pandemie auf unsere Gesellschaft hat. Damit eng verbunden ist das Thema: wie können wir unsere Gesellschaft wieder zusammenführen, nach all den Brüchen, die wir erlebt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine neue Phase der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft geben wird. Solidarität, Verantwortung und Fürsorge, das zeigt sich in dieser Pandemie, sind extrem wichtig. Es sind Dimensionen, mit denen wir unser Leben künftig besser denken und definieren müssen.
MS: Lässt sich ein allgemeines Impfobligatorium aus ethischer Sicht rechtfertigen?
H. Heidegger: Eine Impfpflicht ist grundsätzlich sehr heikel. Es ist ja eine Intervention am gesunden Menschen. Wir gehen ja von einem Menschenbild aus, das jeder Person eine selbstbestimmte Entscheidung über den eigenen Körper zuspricht. Und eine Impfpflicht widerspricht auch dem medizin-ethischen Prinzip der Patientenautonomie. Eine allgemeine Impfpflicht ist deshalb nicht zu unterstützen. Etwas anders stellt sich eine Impfpflicht für bestimmte Berufe dar. Für bestimmte Berufsgruppen kann man sich eine Impfpflicht vorstellen. Menschen, die eine selbstgewählt berufsbezogene Verantwortung haben, müssen sich mehr in die Pflicht nehmen lassen als andere. Das bedeutet aber auch, dass Nichtgeimpfte bestimmte Tätigkeiten künftig nicht mehr ausüben können. Man muss dann sagen: wir respektieren ihr Recht, sich nicht impfen zu lassen, aber sie müssen dann die Konsequenzen tragen, dass sie zum eigenen Schutz, zum Schutz anderer, bestimmte Aufgaben nicht mehr durchführen können.
MS: Nun zu einem anderen Thema: In Spanien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ist eine aktive Sterbehilfe legalisiert. In der Schweiz gibt es seit 1982 organisierte Suizidhilfe. Mit 1. Jänner 2022 gibt es auch in Österreich den Strafbestand „Hilfeleistung zum Selbstmord“ nicht mehr. Herr Dr. Heidegger, ist menschenwürdiges Sterben ein Recht?
H. Heidegger: Gerichte verschiedener Länder haben klargestellt: „aus der Würde des Menschen ergibt sich ein Recht, seinem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen und dafür die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen.“ Und die Würde des Menschen steht ganz am Anfang des Grundgesetzes und ist unantastbar. Diese Position betont besonders die Autonomie und den Respekt des eigenen Willens. Es gibt aber auch Argumente für den absoluten Lebensschutz und der Fürsorge bis zum Lebensende. Diese Position vertritt die Kirche und ist auch Teil der ärztlichen Tradition. Es geht schlussendlich um die Einstellung zum Wert des Lebens.
Die meisten Länder stellen die Autonomie über den absoluten Lebensschutz. Zur Klärung der „Hilfeleistung beim Selbstmord“ bedarf es klarer gesetzlicher Regeln. Dadurch gelingt es auch, die Freigabe der Tötung auf Verlangen zu verhindern. Diesen Weg muss Italien noch gehen. Das beinhaltet auch die Notwendigkeit, frühzeitig einen Dialog zwischen Ärzten, Pflegern und Patienten bezüglich der Wünsche, Sorgen und der Ängste in Bezug auf das Lebensende zu fördern. Dies erfordert entsprechende gesetzliche Schritte und eine Diskussion auch über den assistierten Suizid. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das in der Lage ist, die hochgradig unterschiedlichen Bedürfnisse, Ängste und Sorgen kranker Menschen und deren Familien wahr und ernst zu nehmen. Unbedingte Voraussetzung für Patientenautonomie ist die Anerkennung und Würdigung jedes einzelnen Menschen in seiner unverwechselbaren Individualität.