Meraner Frauen von gestern und heute
Martha und Katharina vom Ottmanngut
Im Winter 2022 von Sarah Trevisiol
Das Ottmanngut ist kein gewöhnliches Hotel, sondern ein Familienhaus mit gelebter Historie. Heute von Martin Kirchlechner und seiner Lebensgefährtin Katharina Flöss geführt, verhüllt das bürgerliche Landhaus mit den antiken Biedermeiermöbeln und den prunkvollen Gartenanlagen die Geschichte einer außerordentlichen Frau – Martha Kirchlechner. Sie hat durch ihr Schaffen, ihre Liebe zum Detail, das kulinarischen Können und die herzliche Fürsorge für die Gäste gezeigt, was Frauen auch alleine im Tourismus schaffen können. Mit Stolz berichten der Großenkel und seine Lebensgefährtin Katharina Flöss von Marthas Willenskraft und Stärke: „Sie war mit Herz und Blut dabei, kein Aufwand war ihr zu groß und die Zufriedenheit der Gäste war für sie oberstes Gebot.“
Martha Knoll Kirchlechner war eine Quereinsteigerin, sie wuchs zwar in einer Gastwirtfamilie unter den Meraner Lauben auf, war aber lange als Zahnarztassistentin tätig, bevor sie 1973 mit ihrem Mann Josef Kirchlechner den Familiensitz in eine florierende Pension verwandelte. Das Ottmanngut wurde bereits im Jahre 1850 von der Familie Kirchlechner gekauft, anschließend verpachtet und während der Kriegsjahre als Lazarett verwendet. Auch mit spärlichen Mitteln haben Martha und Josef es geschafft, das Familienhaus wieder aufblühen zu lassen und sowohl Gäste als auch Familienangehörige im stilvollen Ambiente zu vereinen. Martha kochte, dekorierte die Zimmer und betreute die Gäste, mit denen sie oft sogar jahrelangen Briefverkehr führte. Mit ihrer offenen und sozialen Art unterhielt sie sich stundenlang mit Menschen aus aller Welt, die ihr von den erlebten Abenteuern erzählten – noch heute fragen Gäste nach ihr, die vor Jahren auch nur wenige Tage im Ottmanngut verbracht haben.
Selbst nach dem tödlichen Bergunfall ihres jüngeren Sohnes und dem Tod ihres Mannes verlor Martha nicht ihre Willenskraft und nahm die Pension ab 1983 bis zu ihrem 82sten Lebensjahr selbst in die Hand. Sie kochte dreimal täglich, kümmerte sich sowohl um die Gäste als auch um den Erhalt des Hauses und die Zusammenführung der Großfamilie. „Ich glaube für Martha bot der Tourismussektor eine Chance auf Selbstverwirklichung: Sie blühte darin auf, erhielt Anerkennung von Gästen und Familie und war finanziell eigenständig“, so Katharina Flöss. Sie ist genau wie Martha eine Quereinsteigerin, die vorher als Lehrkraft, aber auch im Kompetenzzentrum für Tourismus MGM und im Innovationsprojekt BASIS gearbeitet hat. Mit ihrem Studium in Ökonomie und Sozialwissenschaften und dem frisch gegründeten Netzwerk Tourisma, welches sie mit den ehemaligen Kolleginnen Elisabeth Rass und Karin Tscholl vor einem Jahr gegründet hat, ist sie ein Gewinn für den Familienbetrieb. „Ich bin nach wie vor beeindruckt, wie Martha so lange Zeit alles alleine geleitet hat, ohne auf die Familie zu verzichten. Für mich ist es heute wichtig, zu verstehen, wie ich mir genügend Auszeit mit meinem Kind und meinem Partner gönnen kann, Arbeit vom Privatleben trenne, Arbeitsrollen klar definiere und mir meine Rente garantiere. Damals gab es noch nicht all die Freiheiten und Absicherungen für Frauen. Martha arbeitete viel, es gab wenige Auszeiten. Der Arbeitsplatz war Marthas Zuhause, selbst das Zimmermädchen brachte ihr Baby mit zur Arbeit und Martha schwang es in den Schlaf.“ erzählt sie.