Nach dunkler Nacht ... Morgenröte und gute Nachrichten.
Rudi Ladurner inszeniert die „Orestie“ des Aischylos im Theater in der Altstadt
Im Herbst 2012 von Dr. Ferruccio Delle Cave
Auf weiter Flur gibt es in unserem Lande wohl niemanden, der sich an so große Theaterbrocken wie Aischylos‘ „Orestie“ heranwagt. Rudolf Ladurner ist es als einem der ganz wenigen zu verdanken, dass sich das „Theater in der Altstadt“ des gewaltigen Menschheitsthemas annimmt, eines Themas, das Schuld und Sühne, Verbrechen und Gewalt, Tod und Leben, ja die Geburt demokratischer Grundlagen in Politik und Rechtsprechung in drei abendfüllenden Stücken vereint. Dass wir freilich nicht wie im Athen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts an drei aufeinanderfolgenden Abenden den hochpathetischen Jamben des Aischylos lauschen können, ist selbstredend, auch, dass Rudolf Ladurner mit acht Akteuren auskommen muss. Den beiden zu Beginn auftretenden Wächtern wird auch die Rolle des Chores zugedacht! Die Textfassung stammt aus der Übertragung des altgriechischen Originals von 458 v. Ch. durch Peter Stein. Rudolf Ladurner hat sich mit dieser Fassung auseinandergesetzt und eine spielbare Grundlage von eineinhalb Stunden geschaffen. Die drei Stücke entsprechen in Meran drei Szenen, die vor einer für das Geschehen sich wunderbar eignenden Bühne aus zwei schweren, sich öffnenden und schließenden Palasttüren die hochdramatische Fabel entspinnen.
„Agamemnon“, der Tragödie erster Teil, beginnt in einem über die Theaterstufen herabschreitenden heimgekehrten König von staatstragendem Ernst, ein wunderbares Bild größter Anspannung und zugleich dramaturgischer Breitenwirkung; unten wartet seine Gattin Klytaimnestra und umgarnt ihn mit einem schmeichelhaften Begrüßungsritual, das dem Ritus des Gattenmordes im Palast hinter den schweren Türen vorausgeht; eine Szene, die per se die gesamte Wucht antiker Schicksalsverknüpfung auskostet und von zwei herausragenden Schauspielerfiguren, Thomas Hochkofler und Patrizia Pfeifer, in gemessener und eindringlicher Diktion getragen wird. Die von Klytaimnestra blutig zu begreifende „Morgenröte“ endet auf der Blutbahn der Atriden und gebiert neues Grauen. Die mitgeschleppte Kassandra, von Andrea Haller eindringlich gespielt, sieht das Unheil voraus, wird aber mit ihrem Sklavenhalter Agamemnon in den Tod gestürzt. Bühnenbild und dramatische Spannung erreichen hier ihren Höhepunkt.
Der zweite Teil „Choephoren“ (die Opfernden am Grab) wird durch einen verjüngten Hochkofler als Orest, Theo Hendrich als Aigisthos und Kathrìn Janach als Elektra bestritten. Die Spannung lässt hier ein wenig nach, auf der Bühne geht es hektischer zu, aber auch hier ist das großartige Finale mit dem Doppelmord des Orest an Aigisthos und Klythaimnestra vorprogrammiert und vom Regisseur bühnenwirksam ins Halbrund des Altstadttheaters eingepflanzt: Theo Hendrich als Aigisthos spielt mit selten zuvor gesehener Leidenschaft und Ausdrucksstärke, die freilich dann im genial vollzogenen Wechsel zu den abschließenden „Eumeniden“ einem aalglatten modernen Geschäftsmann Apollo weichen muss. Ja, die abschließende Gerichtsversammlung sieht den beeindruckenden Auftritt der Erinnyen vor, die in Johanna Porcheddu einen kongenialen Gegenpart gefunden haben, auch sie eine absolut souverän agierende „antike“ Figur in einem zeitgeschichtlich bewusst aktualisierten Geschehen, das in der bürgernahen Wahlschummelei – das Publikum wird in die Abstimmung aktiv miteinbezogen! – durch das Machtwort der Göttin Athena (Andrea Haller) cool und gönnerisch zum Guten gewendet wird. Alle sind glücklich, Athen hat seine demokratische Struktur aus der Laune einer geschäftstüchtigen Athene entdeckt.