Von gespannten Sehnen, Takt- und Fingerspitzengefühl
Im Chirurgiezentrum St. Anna ist Dr. Martin Kinigadner der Experte für künstliche Schultergelenke und deren operativen Einsatz. Dr. Kinigadner verfügt über eine langjährige Erfahrung, hat seine Ausbildung am Krankenhaus Sterzing durchlaufen und wurde danach Teil des Chirurgenteams in der Abteilung für Traumatologie der Universitätsklinik von Innsbruck. Hier legt er nicht weniger als acht Jahre lang seinen Fokus auf die Schulter, weil dieses Gelenk ihn mehr fasziniert als alle anderen. Es sei, sagt Dr. Kinigadner, ein echtes Wunder der Natur. Seine in Innsbruck gesammelte Erfahrung kommt ihm zugute, als er die Chirurgieabteilung einer renommierten Klinik in Peschiera aufbaut. Dort ist er zehn Jahre lang tätig, bevor es ihn aus familiären Gründen wieder zurück nach Südtirol, genauer nach Meran zieht. In der Privatklinik St. Anna hat er wesentlichen Anteil am Aufbau des Chirurgiezentrums. Wir haben Dr. Kinigadner um ein Gespräch gebeten.
MS: Sie sind Orthopäde – am liebsten operieren Sie das Schultergelenk. Wie kam es dazu?
M. Kinigadner: Das menschliche Schultergelenk ist für mich von allen Gelenken die Krönung der Schöpfung: maximaler Bewegungsumfang, keine Bänder und nur von Muskel geführt. Das fasziniert mich.
MS: Aber es ist auch gerade die Schulter, die oft für heftige Schmerzen verantwortlich zeichnet …
M. Kinigadner: Ja sicher. Zwar weniger aufgrund einer Knorpelschädigung und Arthrose, sondern meist wegen einer Störung der Muskulatur in der Sehnenhaube, auch Rotatorenmanschette genannt. Bei Läsionen dieser Manschette kommt es zu quälenden Nachtschmerzen und Bewegungseinschränkung in der Schulter.
MS: Und bei diesen Problemen operieren Sie dann immer?
M. Kinigadner: Nein! Wir wägen bei der Therapientscheidung jedes Mal individuell ab, welche Behandlung angezeigt ist. Oft hilft einfache Schonung, manchmal eine Infiltration, eventuell kombiniert mit einer gezielten Physiotherapie; manchmal stellt eine chirurgische Behandlung die beste Lösung dar. Ich denke hier zum Beispiel an einen frischen Sehnenriss infolge eines Unfalles, der sicherlich mit einer Naht der Sehne am effizientesten und langfristig am besten geheilt werden kann.
Grundsätzlich gilt: Je länger die Beschwerden schon vorbestehen und je abgenutzter die Gewebeläsion an der Sehnenhaube ist, desto eher empfiehlt es sich, auf die Operation zu verzichten und den Funktionsverlust durch gezielten Muskelaufbau zu kompensieren, dann verschwinden auch die Schmerzen.
MS: Also muss nicht jedes Loch in der Sehnenhaube operativ verschlossen werden?
M. Kinigadner: Im Vordergrund steht immer die Schmerzbekämpfung. Gelingt diese, kann der Körper lernen, den Oberarmkopf mit den verbleibenden intakten Muskeln in der Gelenkspfanne zu stabilisieren und zu bewegen. Viele Risse können somit auch ein Leben lang symptomlos und unbemerkt bleiben.
MS: Zurück zum operativen Therapieansatz. Können Sie uns diesen kurz beschreiben?
M. Kinigadner: Die Naht der Sehne wird gewebeschonend minimalinvasiv mit einer Arthroskopie (Gelenkspiegelung) über drei kleine Hautinzisionen durchgeführt. Mit einer Kamera kann das gesamte Gelenk inspiziert, die Sehnenstümpfe mobilisiert und geglättet werden. Dann wird das erhaltene Sehnengewebe mittels speziellem Fadenanker am Knochen refixiert. Das alles dauert ca. 1 Stunde, der Klinikaufenthalt einen Tag, doch die Nachbehandlung mindestens 2-3 Monate. Also ist die Operation nur der Beginn einer langen, intensiven Behandlung.
MS: Das klingt recht aufwändig und kompliziert!
M. Kinigadner: Ist es in der Tat auch. Durch ein optimales Zusammenspiel zwischen Operateur, Assistenz-Anästhesist und Operationschwester sowie die Verwendung der neuesten Instrumententechnik können Operationszeit und Risiken für den Patienten reduziert werden. Anschließend folgt ein spezielles Reha-Programm durch eine(n) erfahrene(n) Physiotherapeut/-in.
MS: Welche Risiken bestehen bei einer solchen Schulteroperation?
M. Kinigadner: Neben dem allgemeinen Risiko eines Blutverlustes oder einer Infektion kann es zum erneuten Reißen der Sehnen oder selten zu einer Schultersteifigkeit in der Rehaphase kommen. Manchmal gelingt es bei der Operation nicht, die Sehnenränder bis zu ihrem Ansatz zu ziehen. Dann bleibt die Option, das verletzte Gewebe zu entfernen und die Knochenränder zu glätten, um eine mechanische Irritation im engen Zwischenraum unter dem knöchernen Schulterdach zu verhindern. Die volle Kraftentwicklung wird dadurch aber nie wieder erreicht.
MS: In ihrer Freizeit, Herr Doktor Kinigadner, spielen Sie leidenschaftlich Gitarre. Ist das der ideale Ausgleich zum stressigen Berufsalltag?
M. Kinigadner: Ich mache meinen Job gerne und würde somit mein Hobby weniger als Stressausgleich als vielmehr als Spaß an der Musik bezeichnen. Jedenfalls braucht es immer Training, Fingerspitzengefühl und gespannte Saiten ...