Bedrohtes Weltwunder
Im Winter 2021 von Dr. Luis Fuchs
Geht die Rede von den Weltwundern, fällt einem zwar die Zahl Sieben ein, doch von den einzelnen antiken Bauwerken kommen einem vielleicht die Pyramiden von Gizeh oder der Koloss von Rhodos in den Sinn. Der Schriftsteller Antipatros von Sidon beschrieb im 2. Jh. v. Chr. in einem Reiseführer des Mittelmeerraums und Vorderasiens “Die sieben Sehenswürdigkeiten der bewohnten Erde“. Angeführt sind darin die imposanten Bauwerke in der Umgebung des Verfassers: die Pyramiden von Gizeh, die Hängenden Gärten der Semiramis zu Babylon, der Koloss von Rhodos, das Mausoleum in Halikarnassos, der Leuchtturm auf der Insel Pharos vor Alexandrien, der Tempel der Artemis von Ephesos, die Zeus-Statue des Phidias von Olympia. Von diesen Weltwundern existieren heute nur noch die Pyramiden von Gizeh; die restlichen wurden durch Erdbeben, Kriege und Umwelteinflüsse zerstört. Erwähnenswert ist, dass es in Südtirol sogar ein achtes Weltwunder gibt: Im Hof des Klosters Neustift befindet sich ein Ziehbrunnen, der unter der Bezeichnung „Wunderbrunnen“ bekannt ist. Im Fries des achteckigen Pagodendaches sind eben diese sieben Weltwunder dargestellt, und um die Zahl aufzurunden, prangt dort als achtes Wunder die Klosteranlage selbst. Da gibt es noch ein Unterlandler Bonmot. Montaner machen gerne auf ihr eigenartiges Weltwunder aufmerksam, indem sie lapidar feststellen: Schaut man von Montan hinab, sieht man „auer“.
Unter der Schirmherrschaft der UNESCO wurden im Jahr 2007 in Lissabon „sieben neue Weltwunder“ vorgestellt. Hierzu zählen beispielsweise das Kolosseum in Rom, die Chinesische Mauer und das Mausoleum Taj Mahal.
Ein unbekannter Verfasser hat uns eine bemerkenswerte Geschichte über Weltwunder aufgezeichnet. Einer Schulklasse wurde die Aufgabe gestellt, sieben Weltwunder ihrer Wahl zu notieren. Als Ergebnis wurde folgende Rangliste erstellt: Pyramiden von Gizeh, Taj Mahal, Grand Canyon, Panamakanal, Empire State Building, Dom St. Peter im Vatikan, Große Mauer von China. Beim Einsammeln der Ergebnisse bemerkte die Lehrerin, dass eine Schülerin noch am Arbeiten war. Die Schülerin erklärte, sie habe noch keine Entscheidung treffen können, da es ja so viele Wunder gebe. Die Lehrerin ersuchte sie, ihre Vorstellungen trotzdem vorzutragen. Nach kurzem Zögern erklärte sie: „Für mich sind das die sieben Weltwunder: Sehen, Hören, sich Berühren, Riechen, Fühlen, Lachen … und Lieben.“ Im Klassenraum blieb es ganz still. Wir würden vieles im Alltag als selbstverständlich betrachten, es gar nicht bewusst wahrnehmen, und gerade daraus bestünden die Wunder des Lebens, meinte die Lehrerin, beeindruckt von der ungewöhnlichen Sichtweise dieser Schülerin.