Die Kunst des Zuhörens
Im Herbst 2022 von Dr. Luis Fuchs
„Wir hören eigentlich so gut wie nie zu. Ohne zuzuhören werden wir die anderen aber nie wirklich verstehen.“ An diesem Grundgedanken hat Massimo Cacciari letzthin sein Referat im Bozner Cristallo-Theater ausgerichtet. Der renommierte Philosoph und ehemalige Bürgermeister von Venedig referierte zum Thema „Die Dringlichkeit des Zuhörens“. Ohne den anderen zuzuhören, sei kein Frieden möglich, mahnte der Philosoph.
Wer hat nicht die Erfahrung gemacht, dass seine Gedanken und Gefühle kein Gehör fanden? Wir tragen doch alle die Sehnsucht in uns, gehört und verstanden zu werden. Einander vorbehaltlos und offen zuhören, wie kann das gelingen? Bereits der Gründer des Benediktinerordens Benedikt von Nursia gab im 6. Jahrhundert hierfür das Patentrezept vor: „Schweige und höre. Neige deines Herzens Ohr. Suche den Frieden.“ Dem Hören war bereits in der Heiligen Schrift eine besondere Bedeutung beigemessen worden, denn über tausendmal ist davon die Rede. Auf die Methode „Einfühlsam Zuhören“ (engl. „Compassionate Listening“) setzt die Amerikanerin Andrea Cohen. Die Kommunikationstrainerin ist überzeugt: Jeder von uns kann in seinem Alltag Friedensräume schaffen und zum Friedensstifter werden, indem wir einander einfühlsam zuhören und das Vertrauen stärken.
Im Vergleich zu den vier anderen Sinnesorganen ist der Gehörsinn zu wahren Spitzenleistungen fähig. Bereits im Mutterleib beginnen die Ohren Laute zu vernehmen; das Baby hört den Herzschlag der Mutter. Im Verlauf des Lebens sind die Ohren 24 Stunden am Tag im Einsatz, also ständig auf Empfang. Sie versorgen das Gehirn mit lebenswichtigen Informationen aus der Umwelt. Unser Gehör warnt uns vor nahenden Gefahren. Einst waren es Raubtiere, heute ist es vorwiegend der Straßenverkehr. Im Unterschied zu den Augen nehmen die Ohren auch im Schlaf Alarmsignale wahr. Das Gehör nützt uns auch bei der Orientierung. Die Geräuschquelle wird blitzschnell vom Gehirn geortet, sodass wir sofort erkennen, ob ein Ton von links oder von rechts herkommt. Unser Hörsinn ist also äußerst leistungsfähig und von den fünf Sinnen der differenzierteste. Das Ohr kann ca. zehn Oktaven wahrnehmen und bis zu 400.000 Töne unterscheiden. Hubert von Goisern traut unserem Hörsinn unglaubliche Fähigkeiten zu, wenn er in seinem Song die Frage stellt: „Heast as nit, wia die Zeit vergeht?“