Muttersprache und Vaterland
Im Sommer 2021 von Dr. Luis Fuchs
Papst Franziskus schrieb unlängst dem Münchner Kardinal Marx einen Brief in seiner spanischen Muttersprache, worin er das Rücktrittsgesuch des Kardinals ablehnte. Der Text für den Kardinal wurde von der römischen Kurie ins Deutsche übersetzt. Das Oberhaupt Franziskus wollte dem Schreiben wohl einen besonders persönlichen Charakter verleihen, denn die offizielle Sprache der katholischen Kirche ist immer noch Latein.
Der im alltäglichen Sprachgebrauch verwendete Ausdruck „Muttersprache“ bedeutet, dass diese Sprache zu Hause gesprochen wurde und nicht in der Schule erlernt. Das Wort geht auf das lateinische „lingua materna“ zurück, ebenso wie das italienische „madrelingua“ und das französische „langue maternelle“. Es ist die Sprache, die in erster Linie innerhalb der Familie weitergegeben wird, und zwar meistens von der Mutter. Über Jahrtausende war die Arbeit und der Aufenthalt so eingeteilt, dass die Mutter für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig war, während der Vater außer Hauses der Arbeit nachging. Mit dem Wort „Mutter“ gebildete Zusammensetzungen enthalten durchwegs positive Merkmale, die wir der Mutter zuschreiben: Mutterboden, Mutterfreuden, Mutterhaus, Mutterkirche. Wortverbindungen mit „Vater“ sind dagegen rar. Am ehesten ist uns der Begriff „Vaterland“ vertraut; in Italien macht Verdis Gefangenenchor „Oh mia patria“ sogar der offiziellen Nationalhymne den Rang streitig.
In Gesellschaften, in denen Menschen mehrere Sprachen sprechen und Paare häufig gemischtsprachig sind, ist die Bezeichnung „Muttersprache“ nicht immer zutreffend. Es kann sich durchaus ergeben, dass ein Kind zunächst die Sprache des Vaters oder der Großeltern lernt, weil diese die ersten Bezugspersonen sind. Deshalb wird in der Linguistik der Ausdruck „Erstsprache“ bevorzugt, um die erste in der Kindheit erworbene Sprache zu bezeichnen.
Deutsch ist die Amtssprache in Deutschland, Österreich und Liechtenstein sowie eine der Amtssprachen in der Schweiz, in Belgien und Luxemburg wie auch in Südtirol. Innerhalb der EU ist Deutsch mit 83 Millionen Sprechern die verbreitetste Muttersprache und zugleich mit 63 Millionen nichtdeutschen Sprechern die zweitwichtigste Fremdsprache hinter Englisch. Auf die Anerkennung der Nationalsprachen im Schriftverkehr der EU legen alle Mitgliedstaaten großen Wert. Alle wichtigen Texte werden in die 24 Amtssprachen der Mitglieder übersetzt. Diese enorme Übersetzungsarbeit wird von etwa 5.000 Dolmetschern bewältigt.