HGV nimmt zu pauschalen Vorwürfen Stellung – nicht für alle Missstände verantwortlich

17. Juni 2022

HGV nimmt zu pauschalen Vorwürfen Stellung – nicht für alle Missstände verantwortlich

HGV lud zu Medienkonferenz – Prof. Dr. Bausch nahm zu Tourismus und Verkehr Stellung

 

Bozen – Die pauschalen Vorwürfe an den Tourismus hat der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) zum Anlass genommen, um im Rahmen einer Medienkonferenz dazu Stellung zu nehmen und aufzuzeigen, was der Verband und die Branche in puncto nachhaltigeres Handeln unternimmt. HGV-Präsident Manfred Pinzger sagte dabei unmissverständlich: „Der Tourismus hat seine Kehrseiten. Der Sektor ist aber nicht für quasi alle Probleme, Missstände und strukturellen Mängel im Land verantwortlich.“

 

Sein Statement leitete HGV-Präsident Manfred Pinzger mit einem Rückblick und Ausblick auf die Urlaubssaison ein. Nach zwei Jahren der Pandemie hat die Reisefreudigkeit wieder zugenommen, auch jene der Fernreisen. Trotzdem wird laut der staatlichen Confcommercio der Tourismus erst im Jahr 2023 das Niveau an Ankünften, Nächtigungen und Umsätzen des Jahres 2019 erreichen.

Mehrere Entwicklungen können laut Pinzger den Aufschwung im Tourismus einbremsen. Zum einen sind dies die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die hohen Strom- und Energiepreise, die hohe Inflationsrate und der allgemeine Mitarbeitermangel, mit dem aber alle Branchen zu kämpfen haben.

„Obwohl es gelungen ist, im Juni 2022 rund 31.500 Mitarbeitende im Hotel- und Gastgewerbe zu beschäftigen und damit immerhin rund 2.400 Mitarbeitende mehr als zum selben Zeitraum des Jahres 2019, bleibt es weiterhin schwierig, dass die Betriebe die notwendige Anzahl an Mitarbeitenden rechtzeitig zur Hauptsaison beschäftigen können“, weiß Pinzger.

Die Herausforderung besteht nun darin, dass der Tourismus weiterhin seine tragende Rolle als Wirtschaftssektor wahrnehmen kann. Die durch den Tourismus ausgelöste Bruttowertschöpfung in Südtirol sind laut Satellitenkonto Tourismus 16,2 Prozent, die direkt, indirekt und induziert auf den Tourismus zurückzuführen sind. „Der Tourismus ist somit eine Säule der Südtiroler Wirtschaft, von dem viele andere Sektoren profitieren und dadurch viele Infrastrukturen und Events entstanden sind und entstehen, die auch von den Einheimischen genutzt werden“, betonte Pinzger vor den Medienvertretern.

 

HGV erwartet objektive und sachliche Debatte 

Dass der Tourismus auch seine Kehrseite hat, ist unbestritten. Schon vor der Corona-Pandemie hat auch in Südtirol eine Diskussion über Grenzen im Tourismus eingesetzt. „Dieser öffentlichen Diskussion stellt sich der HGV gerne, wenn die Debatte objektiv und sachlich geführt wird. Diese von uns gewünschte Art der Debatte vermissen wir dann, wenn suggeriert wird, dass der Tourismus in Südtirol pauschal für quasi alle Missstände und strukturellen Mängel im Land verantwortlich wäre“, unterstrich Pinzger. In dieser öffentlichen Diskussion muss es auch um den Ressourcenverbrauch in allen anderen Sektoren und in den Privathaushalten gehen.

 

Verkehr verursachen alle

Ein immer wieder geäußerter Vorwurf ist die hohe Verkehrsbelastung durch den Tourismus in Südtirol. Dass der Tourismus Verkehr mit sich bringt, ist klar. Pinzger: „Der Tourismus allein kann aber nicht für die Verkehrsbelastung insgesamt verantwortlich gemacht werden. Es gibt viele weitere Verkehrsverursacher: Transitverkehr, Binnentransporte, Pendler, Freizeitverkehr usw. Alle sind angehalten, das eigene Mobilitätsverhalten zu hinterfragen und zu optimieren. Sämtliche Verkehrsstaus, ohne Verweis auf die Ursachen, dem Tourismus in die Schuhe zu schieben, greift zu kurz.“

 

CO2-Emissionen: 18 Prozent stimmt nicht 

Immer wieder wird behauptet, dass der Tourismus in Südtirol mit 18 Prozent zu den CO2-Emissionen beiträgt. Bei dieser Zahl wird stets auf die Eurac-Research-Studie Tourismus 2030 verwiesen. „Weder in der Studie von Eurac Research noch im Klimareport der Eurac steht geschrieben, dass der Tourismus für 18 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sei. Hier wird reine Stimmungsmache betrieben“, kritisierte Pinzger und verwies auf Zahlen des Umweltbundesamtes Deutschland. Demnach entfallen zwischen fünf und acht Prozent aller klimaschädlichen Emissionen weltweit auf den Tourismus. Das Terra Institute in Brixen geht ebenso von ähnlichen Werten aus. Der HGV fordert nun klare und belegbare Daten. Dies betrifft die CO2-Emissionen genauso wie die Verkehrsbelastung, den Ressourcenverbrauch usw. „Der HGV ist bereit, diese Zahlen zusammen mit der KlimaHaus Agentur und Eurac Research zu erheben, um ein umfassendes Südtirol spezifisches Bild zu erhalten“, kündigte Pinzger an.

 

Tourismus und Mobilität – Stellungnahme von Prof. Dr. Thomas Bausch

Im Rahmen der Medienkonferenz nahm Prof. Dr. Thomas Bausch, Direktor des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität an der Freien Universität Bozen, zur Verkehrsbelastung in Südtirol Stellung und stellte die Frage, ob an allem nur der Tourismus schuld sei. Bausch stellte eingangs fest, dass die Südtiroler Wirtschaft eine Erfolgsgeschichte sei: Seit 2002 ist die Wirtschaft um 82 Prozent gewachsen. Das heißt: 2022 sind ca. 80.000 mehr Menschen auf dem Weg zur Arbeit als 2002, mehr Güter müssen transportiert werden, die Menschen haben mehr Geld für Einkaufen, Freizeit und Mobilität. Mit Daten und Fakten, die sich aus diversen Verkehrszählungen ergeben, zeigte Bausch auf, dass die Grundlast im Südtiroler Verkehrsnetz und dessen Auslastung seit 2002 erheblich gewachsen ist.

Der Monat November weist fast keinen Tourismus in Südtirol auf (1,75 % der Übernachtungen). Im November ist das Verkehrsaufkommen seit 2002 auf der Pustertaler Straße um 46 Prozent bei St. Lorenzen, um 42 Prozent bei Bruneck Ost sowie auf der MEBO um 22 Prozent bei Vilpian gestiegen. Im verkehrsreichsten Monat August ist das Verkehrsaufkommen seit 2002 ähnlich gestiegen. Das Verkehrswachstum entspricht dabei dem Wachstum der Grundlast. „Die zusätzliche Belastung durch den Tourismus ist dagegen konstant geblieben oder nur geringfügig gestiegen“, folgerte Prof. Dr. Bausch. Somit lässt sich statistisch kein Zusammenhang zwischen dem Zuwachs der Übernachtungen im August und der touristisch erklärbaren Zusatzlast des Verkehrs im August im Pustertal oder der MEBO nachweisen. Bausch: „Dagegen ist er an touristischen Hotspots (z. B. Sellajoch) oder Zufahrtsrouten zu abseits gelegenen Tourismuszentren (z. B. Corvara via Gröden) überdeutlich.“ Bausch stellte bei der Medienkonferenz nüchtern fest: „Schreitet das Wachstum der durch die einheimische Wirtschaft und Bevölkerung generierten Grundlast im Verkehrssystem Südtirols wie bisher fort, so kommt das System schon bald auch ohne Tourismus an seine Belastungsgrenze. Selbst wenn der Tourismussektor seinen Anteil am Verkehr deutlich reduziert, wird es ohne eine Verkehrswende der Südtiroler Wirtschaft und Bevölkerung keine langfristig nachhaltige Lösung geben.“

 

Nachhaltiger Lebensraum Südtirol – Stellungnahme von IDM-Präsident Hansi Pichler

Das Land Südtirol verfolgt das Ziel, Südtirol zum nachhaltigsten Lebensraum in Europa zu machen. Der Wirtschaftsdienstleister IDM Südtirol auf Destinationsebene und der HGV auf Betriebsebene haben sich des Themas schon seit geraumer Zeit angenommen und verstehen ihre Aufgabe darin, zum einen die Destinationen und zum anderen die Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe auf ihrem Weg hin zu einem nachhaltigeren Handeln zu begleiten. IDM-Präsident Hansi Pichler stellte auf der HGV-Medienkonferenz Initiativen in puncto Nachhaltigkeit und nachhaltige Mobilität vor. Zunächst berichtete er von der Intensivierung der Kooperation mit den Bahnbetreibern Deutsche Bahn, Österreichische Bundesbahn und Trenitalia zur Förderung einer nachhaltigen Anreise. Laut Gästeumfrage nutzen acht Prozent der Gäste die Anreise nach Südtirol mit der Bahn, 89 Prozent den Pkw. Auf die Frage, ob eine autofreie Anreise nach Südtirol eine Alternative wäre, antworteten 48 Prozent der befragten Gäste mit „Ja“. Und 78 Prozent der befragten Gäste können sich vorstellen, in Südtirol auf ihr Auto zu verzichten. „Dies sind klare Vorgaben, die IDM Südtirol mit weiteren Partnern umsetzen wird“, betonte IDM-Präsident Pichler. Im Konkreten erwähnte er die Hotspots Pragser Wildsee, Drei Zinnen, die Dolomitenpässe und den Karersee. Dabei geht es um eine möglichst effiziente Besucherstromlenkung, damit die einzelnen Orte für Einheimischen und Urlaubsgäste eine neue Wertigkeit erhalten.

Nachhaltigkeit wird bei IDM Südtirol in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht definiert. Gemäß dieser Grundausrichtung wird dieser Prozess nun in vier Pilotdestinationen umgesetzt. Schließlich verwies Pichler auf das Projekt Landwirtschaft – Tourismus, welches ebenso unter dem Fokus der Nachhaltigkeit steht und einen engen Schulterschluss zwischen Tourismus, Landwirtschaft und Bevölkerung bewirken soll. „Als IDM Südtirol stellen wir den Problemen nicht aus. Wir gehen sie konkret an, wenn auch die Umsetzung bisweilen etwas komplex ist und deshalb länger dauert“, sagte Pichler.

 

Vitalpina Hotels Südtirol als Best-Practice-Beispiel

Die Vitalpina Hotels Südtirol sind am 1. Januar 2021 als erste Kooperationsgruppe dem Klimaneutralitätsbündnis „turn to zero“ beigetreten. Der Schwerpunkt liegt in der Reduktion des CO2-Fußabdruckes. „In drei Jahren wollen wir als Gruppe klimaneutral arbeiten und somit Vorbildfunktion für den Alpenraum, für unsere Gäste und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein“, unterstrich Brigitte Zelger, Präsidentin der Vitalpina Hotels Südtirol, bei der Medienkonferenz des HGV. Reduktion allein reicht aber nicht. „Nachhaltigkeit ist ein sehr umfassender Begriff. Es geht dabei darum, sich sehr bewusst und achtsam zu entwickeln und die soziale Komponente stets im Blickfeld zu haben“, sagte Zelger. Gäste schätzen dieses Bemühen zusehends, weil sie auch einen möglichst nachhaltig gelebten Urlaub verbringen möchten.

 

HGV legt Beratungspaket Nachhaltigkeit auf

Um Gastbetriebe auf ihrem Weg hin zu einem nachhaltigeren Handeln begleiten und beraten zu können, hat der HGV zusammen mit dem Partner Terra Institute ein Beratungspaket zum Thema Nachhaltigkeit erstellt. Im Vordergrund stehen dabei die strategische Ausrichtung des Betriebes mit Aktionsplan und die Kommunikation an Gäste, Lieferanten und Mitarbeitende. Weitere Handlungsfelder in der Beratung zum Thema Nachhaltigkeit sind die Bereiche Ressourcenverbrauch, Abfall, Einkauf, Mitarbeiter, Bau, Mobilität und Kultur. Zudem wird mittels einer ausgereiften Software der CO2-Fußabdruck für die Betriebe im Zeitverlauf erfasst. „Nachhaltigkeit soll im Betrieb gelebt werden. Gemeinsam mit dem Terra Institute setzt der HGV betriebliche Nachhaltigkeitsprojekte um, bis hin zu anerkannten Nachhaltigkeitszertifikaten“, informierte HGV-Direktor Thomas Gruber. In diesem Prozess arbeitet der HGV eng im Netzwerk mit IDM Südtirol, Eurac Research und der KlimaHaus Agentur zusammen.

 

An der Medienkonferenz nahmen auch HGV-Vizepräsidentin Judith Rainer und HGV-Vizepräsident Klaus Berger sowie Landtagsabgeordneter Helmut Tauber teil. Tauber unterstrich in seinem Statement, dass die Gastbetriebe und mit ihnen der HGV und IDM Südtirol sich ihrer Verantwortung stellen. „Der Tourismus hat seinen Beitrag zum Wohlstand in Südtirol, zur Lebensqualität und zur Entwicklung der peripheren Täler und Ortschaften geleistet. Wir werden dies dank der vielen Tausend engagierten Gastwirtefamilien und einer gut ausgebildeten und motivierten Jugend weiterhin tun“, sagte Landtagsabgeordneter Helmut Tauber.


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