Ein Löwe mit Doktortitel summa cum laude: Helmuth Köcher
Im Herbst 2011 von Gudrun Esser
Er liebt Wein, gute Küche, Frauen - kurz das Leben. Seine Vorfahren waren Tuchmacher, die sich 1880 in Untermais niederließen. Mit seinem Freund aus Kindertagen erfüllt er sich einen Traum, sie erfinden das Merano International WineFestival. Anfang dieses Jahres hat er nach einer schweren Herzoperation sein zweites Leben begonnen und will seitdem sein Pensum runterschrauben. Helmuth Köcher ist einer der Erfinder des WineFestivals. Den Doktor in Politologie hat er nebenbei absolviert, als er noch Amtsdirektor in der Gemeinde Meran war. Seinen Sinn für das Schöne hat er von der Urgroßmutter, das Organisationstalent von Vater Eduard Köcher, Hochdeutsch von der Mutter.
Köcher wächst in Untermais in der Harmoniestraße auf. Es sind die sechziger Jahre. Es ist eine ganze Rasselbande hauptsächlich italienischer Kinder, die sich dort nach der Schule trifft und gemeinsam spielt. Köchers Mutter stammt aus Bonn, daheim spricht man also hochdeutsch - jedenfalls mit der Mutter. Mit dem Vater wird südtirolerisch gesprochen, die Brüder Klaus und Helmuth wachsen dreisprachig auf. Denn in der Harmoniestraße wohnen damals überwiegend italienische Familien. Ein Freund soll später sein Geschäftspartner werden, obwohl sich die beiden eine lange Strecke des Lebens völlig aus den Augen verlieren: Johann Innerhofer. Bis zum Ende der Volksschule waren die beiden dicke Freunde - der Wein sollte sie später wieder verbinden. Helmuth Köcher inskribiert sich nach der Handelsschule in Padua, denn der gerechtigkeitsliebende Organisator will Rechtsanwalt werden. Der Vater, Gemeinderat in Meran und Gemeindesekretär in Gargazon, will den Sohn lieber auf sicherer Bahn wissen und schlägt ihm einen Arbeitsplatz in der Gemeinde Meran vor. Die Qualifikation bringt Helmuth mit, denn er ist einer der ersten, der die damals gerade eingeführte Zweisprachigkeitsprüfung absolviert. So beginnt Helmuth Köcher nur wenige Monate nach der Matura, im Datenverarbeitungszentrum der Gemeinde zu arbeiten. Zwischen Großrechnern und Lochkarten soll er nun die Gemeindedaten auf das neue System übertragen. Als die Stelle für den Amtsleiter des Sozialwesens ausgeschrieben wird, bewirbt er sich mit Erfolg. Der gerade Maturierte entscheidet eine Stunde vor Fälligkeit, sich für den Amtsleiterposten zu bewerben - es ist Highnoon, als seine Unterlagen beim damaligen Amtsleiter Flor eingehen. Kurzum, Helmuth Köcher gewinnt den Wettbewerb, denn wie so oft noch in seinem Leben, war das Glück mit ihm, die Fragen betreffen das Rechtswesen, ohnehin seine Leidenschaft. So ist er mit Anfang zwanzig plötzlich Chef von vierzig Mitarbeitern - fast jedenfalls, denn der Amtsantritt verzögert sich zunächst durch seine Einberufung zum Militär. Das ist Anfang der achtziger Jahre. Köcher engagiert sich für die Hilfe beim großen Erdbeben in Kampanien, seine Abteilung führt Projekte wie Essen auf Rädern ein, beginnt Kinderkrippen und Kindersommerferien am Meer zu organisieren. Köcher wird Verwaltungsratsmitglied in der Arbeitsgemeinschaft für Behinderte und Vizepräsident des Altersheims Eden und engagiert sich für immer mehr soziale Aktivitäten. Man bemerkt den jungen Mann. Eine Sache, die dem 1959 im Sternzeichen Löwe Geborenen noch heute gefällt. „Ich war schon immer und gerne ein kreativer Geburtshelfer!“
„Ich war schon immer und gerne ein kreativer Geburtshelfer!“
Helmuth Köcher
Projekte kreieren, aufbauen und sie, sobald sie funktionieren, fließen lassen. „Diese Aufbauarbeit, die wir in der Gemeinde damals geleistet haben, hat mir natürlich bei der Organisation des WineFestivals geholfen.“
„Bis ich dreißig war, hatte ich keinen Bock auf Wein.“
Helmuth Köcher
Die Leidenschaft für den Wein keimt jedoch erst spät auf. Köcher entdeckt sie - bereits dreißigjährig - auf einer Fahrt nach Bordeaux. Denn: „Bis ich dreißig war, hatte ich keinen Bock auf Wein“, sagt heute der von der Weinwelt angesehene Fachmann. Kurz darauf trifft er seinen Volksschulfreund Johann Innerhofer wieder. Der verfügte bereits über einen ansehnlichen Weinkeller, in dem beide nicht nur gemeinsam Weine studierten, sondern auch Anfang der achtziger Jahre begannen, Weinverkostungen zu organisieren. Zunächst im ehemaligen Nörder, im Förstlerhof und anderen Restaurants. Nach und nach bildete sich ein Kreis, aus dem heraus sich die Idee Innerhofers entwickelte, eine Weinschule zu gründen. Die drei Herren ließen es aber nicht bei Gedanken beruhen. Hansi Innerhofer, der damalige Präsident, Vize Helmuth Köcher und Schriftführer und heute Weinjournalist Othmar Kiem verfeinerten ihre Ideen weiter. Im August 1992 wurde schließlich in der Untermaiser Rathausstube in der Matteottistraße ein Projekt mit Zukunftspotenzial geboren: eine besondere Weinverkostung mit hochkarätigen Produzenten im Hotel Palace. So organisierten die drei Weinfreunde eine gelungene Verkostung und damit den Auftakt zu einer der nobelsten Veranstaltungen in Meran, dem Merano WineFestival, mit sage und schreibe eintausend Besuchern. „Die Mittel waren gering, und Landesrat Bruno Hosp verglich unseren neu gegründeten Verein mit einem Briefmarkenverein“, erzählt Köcher sichtlich amüsiert und stolz auf seine aus heutiger Sicht richtige Vision. So gab es auf das Ansuchen der drei auch keinerlei finanzielle Unterstützung.
„Die Mittel waren gering, und Landesrat Bruno Hosp verglich unseren neu gegründeten Verein mit einem Briefmarkenverein.“
Helmuth Köcher
Das erste Weinfestival kostete damals zwar nicht mehr als fünf Millionen Lire, doch für den jungen Verein durchaus eine Stange Geld. Dass man mit diesem Budget arbeiten konnte, sei nur dem Einsatz vieler Freiwilliger und Hansi Innerhofer zu verdanken, der bereit gewesen war, die nötige Vorkasse zu leisten. Der Erfolg der ersten Veranstaltung habe unmittelbar viele Mitglieder gebracht, die mit einem Beitrag von einhunderttausend Lire in den „Gourmet Club“ eintraten. „Es war uns wichtig, die Veranstaltung außerhalb der Tourismussaison zu organisieren, denn wir wollten etwas für einheimische Weinliebhaber machen, nicht für Gäste.“ Der gelungene Auftakt ermutigte schließlich auch dazu, die Veranstaltung bereits ein Jahr später in das Kurhaus zu verlegen. Kurz darauf gründeten die drei eine Gesellschaft, die Gourmet Service GmbH, denn bereits 1993 verlangte man von den Produzenten Eintritt und wollte rechtlich in Ordnung sein. In dieser Zeit steigt auch Luciano Rappo anstelle von Othmar Kiem in das junge Unternehmen ein.
Die Visionen der drei waren schon sehr bald sehr hoch gesteckt. In der Oberliga der Weinwelt - und das am besten tatsächlich weltweit - wollte man mitspielen. In gewisser Weise gelang das auch, denn bereits 1995 hatte das Festival bzw. der Verein einen Internetauftritt und gehörte damit zu den ersten Betrieben Südtirols, die sich derart global präsentierten.
Es ist für Köcher die Zeit der absoluten Hochform. Er gründet seine Familie, sein Sohn wird geboren, das „Kind Weinfestival“ funktioniert, seine Tätigkeit im Personalamt der Gemeinde bewältigt er gut und ist schließlich so beflügelt, dass er sich 1994 an der Universität Innsbruck inskribiert, um Politikwissenschaften zu studieren. „Ich habe in dieser Zeit vier Leben auf einmal gelebt!“, sagt er.
„Ich habe in dieser Zeit vier Leben auf einmal gelebt!“
Helmuth Köcher
Allerdings habe er auch die Möglichkeit genutzt, für sein Studium einen Teil der gesetzlich zulässigen Freistellungsstunden zu nutzen, jedoch bei Weitem nicht alle 150 Stunden. Denn meist nimmt Köcher Gemeindearbeit mit nach Hause. Zeit für die Familie blieb da kaum noch. Natürlich bedauere er das heute, sagt Köcher.
1996 ist es, wie in so vielen Geschichten, die das Leben erzählt, eine Frau, die die einstigen Volksschul- und Weinfreunde auseinander bringt. Innerhofer stellt Köcher vor die Wahl, ich oder du. Köcher entscheidet sich für das WineFestival und geht damit nicht nur eine neue Partnerschaft mit Rappo ein, sondern auch ein erhöhtes Risiko, denn das Gesicht des Festivals war bis dahin stets Hansi Innerhofer gewesen.
Der Erfolg des Festivals blieb, doch Köcher gerät in einen immer reißender werdenden Strudel von Ereignissen. 1999 ist für ihn der Beginn der schwarzen Phase. Denn ein namhafter Journalist zeigte ihn an. Er wollte Köcher nachweisen, dass er neben seiner Gemeindearbeit einer Zweitarbeit auf Kosten der Gemeinde nachgeht. Das WineFestival also gewissermaßen auf Kosten des Steuerzahlers organisiert. „Er hat mir unterstellt, dass ich das Festival auf Kosten von Gemeindestunden organisiert habe.“
„Ein Journalist hat mir unterstellt, dass ich das Festival auf Kosten von Gemeindestunden organisiert habe. “
Helmuth Köcher
So wurden sämtliche Unterlagen des Vereins gerichtlich beschlagnahmt. Dieser Verdacht sei auch von Mitarbeitern in der Gemeinde untermauert worden. Köcher vermutet, gerade weil er sich immer gegen die Zweitarbeit von Gemeindeangestellten eingesetzt und deshalb zuvor einige Gemeindemitarbeiter angeklagt hatte. Die Einsicht in die Gerichtsunterlagen war für Köcher ein Schock. „Die haben mich dargestellt wie einen Schwerverbrecher.“ Damals sei er Elternvertreter in der Schule seines Sohnes gewesen. Da habe man ihn abführen lassen, mitten aus einer Elternsitzung. Und immer noch sieht man dem 1,90 m großen Mann die Verletzung an, die ihm jene Erfahrung zugefügt hat.
Denn keiner habe ihm zugetraut, dass er die Organisation des Festivals zustande bringt, dennoch aber alle seine Stunden als Abteilungsleiter ableistete. Im Jahr 2000 fasste Köcher den Beschluss, aus dem Verein Gourmet auszutreten, denn die Gemeindearbeit hatte für ihn Vorrang, trotz der Vorwürfe auch von Seiten der Politik. Letztlich waren sämtliche Anschuldigungen haltlos, es gab kein Vergehen und die Untersuchungen wurden eingestellt. Köcher merkt an, dass sich bis heute niemand dafür entschuldigt hat.