Manfred A. Mayr, der Ortefinder
Im Winter 2022 von Eva Pföstl
Normalerweise gibt es in der weitläufigen Pobitzer-Passage unter den Meraner Lauben, von Gesprächslauten abgesehen, wenig zu hören. Seit 2020 ertönen jedoch pünktlich um zwölf Uhr ungewohnte Klänge, die sich im Wandel der Monate ändern. In den Ruhepausen erklingt im Stundentakt ein Ton. Schaut man sich neugierig um, beeindruckt die großformatige Installation „Carillon“, kreiert von Manfred Alois Mayr. Er hat im Auftrag von Ernst Pobitzer ein faszinierendes, programmierbares und live bespielbares Klang-Instrument kreiert und die Komponistin Manuela Kerer hat verschiedene Stücke dafür komponiert. Das neue Meraner Glockenspiel verknüpft Ton und Material: Über 10 Meter hoch beeindruckt das raumplastische Materialbild mit 41 Fundstücken aus Metall (Eisen, Aluminium, Rost, Nickel, Gold), die M. A. Mayr am Recyclinghof fand und zum Teil veredeln ließ, verbunden mit 42 Magnet-Hämmern, 1.000 Metern Kabel und einem Schaltkasten mit Zeituhr.
Manfred Alois Mayr gehört zu den wegweisenden Künstlerpersönlichkeiten in Südtirol.
Der „Kapplmayr“, wie er auch liebevoll genannt wird, da er nie ohne sein „Kappl“ aus dem Haus geht, ist in Schlanders aufgewachsen und lebt seit 2009 in Obermais. Von 1972 bis 1977 studierte er in Wien an der Akademie der Bildenden Künste Grafik und Malerei bei Prof Maximilian Melcher, wo er anschließend bis 1981 einen Lehrauftrag innehatte, den er fünf Jahre später zugunsten eines freischaffenden künstlerischen Arbeitens kündigte. Es folgte ein temporärer Arbeitsaufenthalt in Spanien und Berlin. Am Anfang des künstlerischen Werdegangs standen Grafik und Malerei. Ab den 1990er-Jahren erweiterte M. A. Mayr den Blick auf den gelebten Farbraum, auf die sinnliche Qualität von gestalteten Umgebungen, Situationen und Prozessen. Das malerische Beobachten wurde ersetzt durch eine umfassende fotografische Bestandsaufnahme von „anonymen Farbanstrichen“, Bauprozessen, Farbwerten und Farbphänomenen aus unterschiedlichsten alltäglichen Lebenszusammenhängen.
Heute wird der Künstler Manfred A. Mayr als Grenzgänger zwischen den traditionellen Kunstgattungen bezeichnet, denn er arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Architektur, Design und Skulptur. Er arbeitet ganz klein und ganz groß und er macht Kunst wunderbar greifbar. Triebfeder seines Kunstschaffens ist das Ausloten von Gestaltungsmöglichkeiten an Räumen und Architekturen bis hin zu autonomen Kunstobjekten oder einem Weinetikett. Besonders bekannt ist er für seine ortsbezogene Auseinandersetzung mit Architekturen, Räumen und Möblierungen des Alltags. „Ich bin ein Ortefinder“, sagt Manfred Alois Mayr. „Mich interessieren Nicht-Orte. Orte, von denen man sich nichts erwartet, die leicht übersehen werden und oft erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden. Aus diesen nichtprominenten Orten möchte ich etwas herausholen. Und genau solche Orte werden auch oft zu meiner Aufgabe, wenn ein Auftraggeber selbst merkt, da stimmt was noch nicht ganz, das kann mit den Mitteln der Architektur alleine nicht gelöst werden, da muss was passieren.“ Ein Nicht-Ort wird durch seine Intervention zum Ort.
Seine Projekte im In– und Ausland, in denen es um bauliche und kulturelle Kontexte geht, sieht der Künstler als Form „forschender Raumanthropologie”, denn sie gründen jeweils auf umfassenden Recherchen über die sozialen, historischen und kulturellen Hintergründe im Umfeld des jeweiligen Auftrags. Ein Beispiel ist die Fassadengestaltung „Terra Sigillata“ des Vorarlbergmuseums in Bregenz mit mehreren Tausend in Beton gegossenen „Blüten“ – Abdrücke von Böden der handelsüblichen PET-Flaschen, die aus einer glatten Sichtbetonfläche herauswachsen. Die Anbindung des Museums an die Gegenwart mittels einer Massenware aus Kunststoff ist eine naheliegende Idee und logische Abfolge seines gedanklichen Ansatzes, der Regionalität und Globalität verbindet. „Meine Aufgabe für den Entwurf eines Betonreliefs bestand darin, dem für die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger bedeutungsvollen Ort ein „Gesicht“ zu verleihen, das gleichermaßen vertraut wie identitätsstiftend wirken sollte. Ich stellte mir gleich die Frage: Was ist der Inhalt des Museums? In der archäologischen Abteilung faszinierten mich die Formvarianten der Ton- und Glasgefäße und insbesondere deren museale Präsentation. Die Kopfüber-Präsentation der Ton- und Keramikgefäße im Museum und die ebenfalls ausgestellte römische „Terra Sigillata“, ein schon damals serienmäßig hergestelltes, römisches Tafelgeschirr, gab mir den Link zu den serienmäßig hergestellten PET-Flaschen der Jetztzeit. Es war die Inizialzündung für ein Symbol oder Zeichen unserer Alltags- und Wegwerfkultur, was – vielleicht auch kritisch – außerhalb einer Elite wahrgenommen wird. Wieso eine Form erfinden, wenn sie uns die Geschichte der Vergangenheit und die Jetztzeit liefert? Es gibt Situationen, die finden mich!“, so Mayr.
Im Weingut Manincor am Kalterer See besprühte M. A. Mayr die Wand im Empfangsraum, die Teil des historischen Gutshofes war, mit Kupfervitriol. „In Manincor habe ich nach Farbspuren aus der Tradition des Weinguts und des Weinbaus gesucht. Im Vinschgau, im Burggrafenamt, im Überetsch, im Unteralnd oder Eisaktal – überall dort kann man anhand der Spuren des Kupfervitriols an Fassaden ablesen, wo an der Hauswand des Bauernhofes einst eine Rebe gewachsen ist, auch wenn die Rebe längst nicht mehr existiert. Mit Kalkmilch vermischt wird dieses Smaragdblau auf Kupferbasis teils auch heute noch zur Vorbeugung und Bekämpfung der Pilzerkrankungen im Weinbau eingesetzt. Das ist natürlich der Auslöser, wo ich sage, Hollawind, das ist die Farbe die im Kontext zur Kellerei Manincor passt. Noch dazu waren die Grafen Enzenberg die früheren Besitzer des Prettauer Kupferbergwerks im Ahrntal. Sie lieferten vielen Weinbauern das Kupfervitriol für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel. Das sind Geschichten die ich zusammentrage und die mich glücklich machen. Diese Verschränkungen von Geschichte, Farbe und Raum, stehen plötzlich ganz selbstverständlich in Zusammenhang mit dem Ort und dem leuchtenden Oxidgrün an der Wand“, erklärt Mayr.