Blockierte Erlebnisse lösen mit der EMDR-Methode
Im Winter 2016 von Dr. Dagmar Pavan
Hallo Frau Dr. Pavan,
ich heiße Richard und bin 56. Ich habe den Artikel von Frau Dr. Pircher in der letzten Ausgabe des Stadtanzeigers gelesen und bin neugierig geworden. Was ist denn die EMDR-Methode, die im Artikel zitiert wird? LG Richard H.
Pavan: Lieber Herr H.,
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, das auf deutsch wörtlich Augenbewegungs-Desensibilisierung und Wiederaufarbeitung bedeutet. So wie Sie bereits gelesen haben, ist EMDR eine Methode, die überaus erfolgreich als Hilfsmittel bei der Verarbeitung von traumatischen aber auch bei häufiger auftretenden negativen Erfahrungen, die emotiv belastend sind, eingesetzt wird.
Meistens wird Erlebtes verarbeitet und in bestimmten Zonen des Gehirns ad acta gelegt. Bei negativen oder gar traumatischen Erlebnissen kann es hingegen vorkommen, dass die Verarbeitung aufgrund der „Schmerzhaftigkeit, Unfassbarkeit, Komplexität“ scheitert, sich blockiert und das Erlebte mitsamt seiner negativen Gefühlen und Gedankengängen in unverarbeiteter Form in unserem neuronalen Netzwerk hängen bleibt. Jedesmal, wenn nun eine dem blockierten Erlebnis ähnliche Situation, Begebenheit, Empfindung oder ein Körpergefühl ins Netzwerk gelangt, wird das blockierte Erlebnis unkontrolliert hervorgerufen. Dadurch kann es zu allen denkbaren Störungen, Ängsten und Blockaden kommen: Das Leben steht ganz oder teilweise im Schatten des Erlebten.
Herr H.: Und wie funktioniert EMDR?
Diese psychotherapeutische Methode arbeitet mit bilateraler Stimulation der Gehirnhälften. Die Stimulation ergibt sich durch Augenbewegungen, bilaterale Tonanwendung oder kurze Berührungen, z.B. des Handrückens – das so genannte Tapping.
Der Ablauf der Therapie ist standardisiert und besteht in der Regel aus verschiedenen Behandlungsphasen. Es beginnt mit dem Erfassen der Vorgeschichte, der Symptome, der Aufklärung des Klienten und dem Herausarbeiten der belastenden Erlebnisse mit ihren affektiven, kognitiven und sensorischen Komponenten. Zur Bearbeitung der Erinnerung wird der Klient wiederholt angeleitet, kurzzeitig mit der belastenden Erinnerung in Kontakt zu treten, während gleichzeitig eine bilaterale Stimulation durchgeführt wird.
Durch die bilaterale Stimulation wird die blockierte Verarbeitung der belastenden Erinnerungen aktiviert und ihre zügige Verarbeitung ermöglicht. Nach vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen scheint EMDR nachweislich 40% weniger Behandlungsstunden zu benötigen als andere bewährte Verfahren (van Etten 1998). Die meisten Patienten erleben schon nach der ersten Sitzung eine entlastende Veränderung der Erinnerung. Auch die damit verbundene körperliche und seelische Erregung klingt deutlich ab, und negative Gedanken können positiv umformuliert werden.
Herr H.: Bei welchen Störungsbildern wird EMDR angewandt?
EMDR wurde anfänglich zur Behandlung traumatisierter Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung entwickelt. Es hat sich aber bald gezeigt, dass die Methode sich aber auch bei anderen Störungsbildern, die durch belastende Erlebnisse mit verursacht wurden, bewährt. Dazu gehören Anpassungsstörungen, psychosomatische Störungen, Trauer nach Verlusterlebnissen, akute Belastungsreaktionen, depressive Erkrankungen, Angststörungen, belastungsbedingte Verhaltensstörungen von Kindern und chronische komplexe Traumafolgestörungen nach schweren Belastungen in der Kindheit.
Neuere wissenschaftliche Studien zeigen, dass EMDR auch in der Behandlung von Phantomschmerzen oder zur Senkung der Rückfallneigung bei Alkoholkranken wirksam ist. (Bisson 2007, Sprang 2001, van der Kolk 2005, Schneider 2007, Hase 2008).
Nicht zu vergessen die Einsätze der EMDR Therapeuten in Notfallsituationen vor Ort bei Anschlägen, Erdbeben, Überschwemmungen, Flugzeugabstürzen.