Alte Handwerkskunst
Ein Tag in der Obermaiser Federkielstickerei
Im Frühling 2018 von Eva Pföstl
Es ist gegen Mittag, als wir eintreffen. In der Federkielstickerei am Sissiweg in Obermais ist es ruhig, entspannt. Und dennoch kann man die Konzentration spüren, die in der Luft liegt. In der Werkstatt, die 2010 von Luis Thaler, einem gebürtigen Sarner mit 48-jähriger Berufserfahrung, gegründet wurde, entstehen nunmehr Unikate, die nicht nur Einheimische begeistern, sondern ihren Weg in die ganze Welt finden. Tradition und echtes Handwerk wird schließlich überall geschätzt. Aber alles der Reihe nach.
Luis Thaler, Sohn von Johann Thaler, stammt aus einer traditionsreichen Sarntaler Familie, die sich mittlerweile in der dritten Generation der „Federkielstickerei“ verschrieben hat. Gelernt hat Luis eigentlich den Beruf des Fotografen, als aber überraschend bei seinem Bruder, der die Werkstatt des Vaters übernommen hatte, Not am Mann war, sprang er ein. Und blieb! „Für mich war es völlig überraschend, wie geschmiert mir das Sticken von der Hand ging“, erzählt der Handwerker lachend. Noch als Angestellter fertigte er in seiner Freizeit „Extrawürste“ an. Mit neuen Ideen war er Vorreiter für andere und ist es immer noch. Die heute als allseits bekannte „Sarner Geldtasche“ hat er bereits 1972 entworfen. Diese Herrengeldtasche war, neben Handtaschen und Damengürteln, sein Startprodukt, als er 1974 im Sarntal seinen eigenen Betrieb gründete. Erst Anfang der 80er-Jahre wagte er sich an die Anfertigung verschiedener Arten von Trachtengürteln. Seine ersten Aufträge bekam er von den Musikkapellen, so z.B. von der Musikkapelle Unsere Liebe Frau in Schnals und Algund.
2010 beschloss Luis Thaler, einen Betrieb in Meran zu eröffnen. Heute sitzen drei Mitarbeiter in seiner Werkstatt und lassen sich nicht davon beirren, dass wir Fotos machen und neugierige Fragen stellen. „Ich versuche mein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben, und freue mich, dass die Kunst der Federkielstickerei erhalten bleibt“, erzählt er im Gespräch. War diese aufwändige Handarbeit früher meist nur ein Nebenerwerb für Bauern und Sattler, so ist sie heute ein anerkannter Beruf mit fünfjähriger Lehrzeit.
Aus Leder wird ein Kunstwerk
Die Federkielstickerei selbst blickt auf eine lange Vergangenheit zurück. Sie ist schon 200 Jahre alt und hat sich bis heute kaum verändert. Der Name des Kunsthandwerks leitet sich vom verwendeten Stickmaterial ab, dem Kiel der Pfauenfedern. Im 19. und 20. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Federkielstickerei zu. Vermehrt wurden Trachtenteile mit Federkielstickerei geschmückt. Trachtenzubehör und andere Ledergegenstände, wie etwa ein Pferdegeschirr, wurden dadurch aufgewertet und zu einem prunkvollen Statussymbol. Nur Wohlhabende konnten sich dieses zur Tracht getragene Schmuckstück leisten. „Eine in diesem Verfahren gefertigte Lederhose oder ein breiter Leibgurt konnten damals schon den Gegenwert eines Pferdes erreichen“, sagt Luis Thaler.
Die symbolträchtige Pfauenfeder
Die Schwanzfedern des männlichen Pfaus galten schon immer als Symbol für Schönheit und Reichtum, aber auch für Unsterblichkeit und Eitelkeit. „Wir müssen keinen Pfau rupfen, denn die Fäden stammen von Pfauenfedern, welche das Pfauenmännchen jedes Jahr im Sommer mit dem restlichen prächtigen Federstoß abwirft“, erklärt uns lachend Luis Thaler. „Ein Drittel der Federkiele, die ich verwende, kommen aus Südtirol und der Rest wird von Indien importiert. Unterschiede gibt es keinen zwischen importierten oder einheimischen Pfauenfedern“, so Luis Thaler.
In der Werkstatt stapeln sich in einer Ecke die grün-golden schillernden Pfauenfedern. Für den Federkielsticker sind es aber nicht die schillernden Federn, sondern der dicke weiße Kiel, die sogenannte „Rippe“, wie sie im Fachjargon heißt, der im Mittelpunkt des Interesses steht. Und hier liegen auch das eigentliche Geheimnis und die große Schwierigkeit dieser Handwerkskunst, nämlich das feine Aufspalten der Kiele in biegsame Fäden.
Das Geheimnis des Aufspaltens der Kiele
Luis‘ Vater hat sich bereits vor vielen Jahren mit viel Tüftelei für diese schwierige Arbeit des perfekten Aufspaltens eine eigene Vorrichtung gebaut. „Das Spalten der Federkiele ist der schwierigste Schritt dieses Handwerks – und auch das am besten gehütete Geheimnis. Rund vier bis sechs Fäden bekomme ich aus einem Kiel, doch nur, wenn ich konzentriert und genau arbeite. Denn schnell ist der Faden beim Schneiden gerissen und unbrauchbar“, erklärt uns Luis. Mit einer Schere entfernt er die feinen Federn vom Kiel. Eine ruhige, sichere Hand und Erfahrung sind gefragt, denn hauchdünn werden die Streifen aus dem Kiel geschnitten. Die so gewonnenen Fäden müssen aber noch vom Mark befreit werden, um schließlich elastisch genug für das Besticken des Leders zu sein.