Auszeichnung für Georg Kaser
Ein Meraner mit Weltruf
Im Herbst 2020 von Eva Pföstl
Der Meraner Georg Kaser, der am Innsbrucker Institut für Atmosphähren- und Kryosphärenwissenchaften forscht, hätte eine weitere Ehrung eigentlich nicht nötig. Er zählt zu den international renommierten Gletscher- und Klimaforschern und wurde u. a. 2018 für seine außergewöhnliche wissenschaftliche Leistung mit der höchsten Auszeichnung, welche die Republik Österreich für in Wissenschaft oder Kunst tätige Personen zu vergeben hat - dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse - geehrt. In Anerkennung seiner grundlegenden Forschungen und seiner überzeugenden Vermittlung der Erkenntnisse in der Öffentlichkeit führt der Rotary Club Meran den Reigen der Ehrungen für Georg Kaser weiter und verleiht ihm den Rotary-Preis 2020. Mit dieser Auszeichnung wird ein Lehrer und Forscher geehrt, der sich mit großem, anhaltendem Einsatz für den Schutz des Klimas weit über die Landesgrenzen hinaus engagiert und es versteht, die Erkenntnisse und seine Forschung in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
Die Leidenschaft für Gebirge kombiniert mit alpinistischen Fähigkeiten haben es Georg Kaser ermöglicht, Erfahrungen in der alpinen Forschung zu sammeln und bald nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums der Meteorologie, Geophysik und Geographie an der Uni Innsbruck eigenständige Forschungsprojekte zu entwickeln und zu leiten. Durch diese Projekte wurde er schon bald zu einem der führenden Experten in der alpinen und tropischen Glaziologie. Sein wissenschaftliches Engagement hat sich dabei nicht nur auf die reine Forschungsarbeit beschränkt. Er hat sich auch in verschiedenen internationalen Gremien um die Weiterentwicklung der Wissenschaft, insbesondere in der Glaziologie aus der Sicht der Klimaforschung verdient gemacht. Kaser arbeitet zurzeit zum dritten Mal als Leitautor und Editor am Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) mit, dem Weltklimarat der Vereinten Nationen, dem 2007 gemeinsam mit Al Gore der Friedensnobelpreis verliehen wurde. 2017 wurde Kaser in die Österreichische Akademie der Wissenschaften gewählt. Neben seinen umfangreichen nationalen und internationalen Tätigkeiten ist Kaser auch ein exzellenter Lehrer und ein unermüdlicher Advokat für einen verantwortungsvollen Umgang jedes einzelnen mit unserer Umwelt.
Wir haben Georg Kaser um ein Interview gebeten.
Herr Prof. Kaser, Sie zählen zu den einflussreichsten Klimaforschern der Welt. Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie 1973 anfingen, in Innsbruck zu studieren? Und woher rührt Ihr Interesse an der Klima- und Gletscherforschung?
Nach einer 1972 missglückten und dann 1973 leidlich geschafften Matura an der Gewerbeoberschule in Bozen wollte ich drei Dinge: keinen technischen Beruf ausüben, weg von Südtirol und bergsteigen. Da ist dann, aus heutiger Sicht nicht sehr spektakulär, die Universität Innsbruck heraus gekommen. Nach ein paar Wochen hab ich dann entdeckt, dass die Innsbrucker Meteorologen Gletscher erforschen und alle drei Wünsche sind in Folge in Erfüllung gegangen. Die ersten 10 Jahre waren geprägt von viel Feldarbeit und großen Bergfahrten in den Alpen, den Anden, im Karakorum. Dann war es an der Zeit, die Gletscherforschung weit über die Feldarbeiten hinaus ernsthaft zu betreiben. Das war dann auch die Zeit, als sich die deskriptive Klimatologie zur erkenntnissuchenden Klimaforschung entwickelte.
Was fasziniert Sie am meisten an der Thematik?
Gletscher- und dann auch die Kombination mit Klimaforschung waren eher Zufall. Einmal dort gelandet, entsprachen sie dann meiner Neugier, Prozesse zu verstehen. Noch heute tu ich mich schwer, z.B. Mengen an Eisverlust im Kopf zu behalten, aber ich will wissen, wieso das Eis geschmolzen ist.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage zur Klimakrise ein? Ist es fünf vor zwölf oder schon eher zwölf?
Es ist high noon. Die kommenden fünf bis maximal zehn Jahre werden die letzten sein, in denen wir den Klimawandel noch stoppen können. Dann wird sich der Klimawandel verselbständigen und wir werden nur mehr (instinktiv, wie in Notsituationen üblich) reagieren können.
In der Corona-Krise sind sich die Regierungen einig, dass Leben um jeden Preis gerettet werden muss. Das wirft die Frage nach der Parallele zur Klimakrise auf. Wenn Staaten die Corona-Krise stemmen können, warum nicht auch die Klimakrise?
Das Virus Sars‐CoV‐2 wird, auch individuell, als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen. Die globale Erwärmung mit all ihren Folgen erfolgt dagegen schleichend. Ob und wie die Staaten die Covid-19 Krise in all ihren Facetten stemmen werden, werden wir wohl erst in ein paar Jahren wissen. Aber wir sehen große Bemühungen, auch wenn die Gefahr für die Gesundheit letztendlich von virologisch-pharmazeutischen Forschungsergebnissen gebannt werden wird. Gegen die Notwendigkeit, unser globales Gesellschafts- und Wirtschaftssystem derart zu ändern, dass der Klimawandel gestoppt wird, sind Maskentragen und physische (bitte ja nicht soziale!) Distanz verhaltenstechnische Nichtigkeiten. Dabei könnte eine gesellschaftliche Transformation nicht nur der großen globalen Bedrohung durch den Klimawandel, aber auch dem Kollaps von Ökosystemen, dem Artensterben und der sozialen Ungerechtigkeit Einhalt gebieten.
Macht es Ihnen in Bezug auf den Klimaschutz Hoffnung, dass die Politik weltweit seit der Bekämpfung von Corona auf die Wissenschaft hört?
Es war spannend zu sehen, wie Entscheidungsträger weltweit früher oder später Wissenschaftler um Rat gebeten haben. Das hat ganz kurz auch für die Klimaproblematik Hoffnung aufkeimen lassen. Allerdings wurde auch das Wesen der Wissenschaft offenbar, aber von breiten Bevölkerungsschichten missverstanden. Wissenschaft schafft nicht ultimatives Wissen, sondern sich dauernd weiter entwickelnden Erkenntnisgewinn. Abgesehen von Beobachtungen braucht wissenschaftliche Forschung meist fünf und mehr Jahre, um neue Erkenntnisse im Sinne von „Verstehen“ zu etablieren. Sars‐CoV‐2 hatte zu Beginn der Ausbreitung über China hinaus noch nicht einmal einen Namen und dann haben sich die Berichte aus den Forschungslabors natürlich überschlagen und oft stündlich widersprochen. Wer den Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisfindung nicht versteht, lehnt Forschungsergebnisse schnell ab. In der Klimaforschung ist der Zusammenhang zwischen Treibhausgaskonzentrationen und Klimaerwärmung schon seit weit mehr als 120 Jahren bekannt und bis heute nicht widerlegt. Man hätte schon vor 40 und mehr Jahren den Erkenntnissen über den Klimawandel folgen können. Ich fürchte, dass das Image der Wissenschaft durch Covid-19 nicht besser geworden ist.
Erstmals seit 25 Jahren findet 2020 keine Uno-Klimakonferenz statt - und das gerade jetzt, wo die Regelungen des Weltklimavertrags erstmals greifen. Befürchten Sie, dass die Corona-Pause diese Dynamik stoppen wird?
Nein, denn die sogenannten Uno-Klimakonferenzen haben eine ganz eigene Agenda und eigene Mechanismen. Abgesehen vom Verfassen des Kyoto Protokolls 1997 und dem lange schon überfälligen Folgeabkommen von Paris 2015, haben die jährlichen COPs (Conferences of Parties) des UNFCCC (United Nation Framework Convention on Climate Change) die Aufgabe, die internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen für das Umsetzen von Abkommen zu regeln. Das ist und bleibt zwischen 196 nationalen Regierungen ein mühseliger Prozess. Ich meine eher, dass die COPs nicht mehr zeitgemäß sind. Wenn die Regelwerke je stehen sollten, wird es für das Stoppen des Klimawandels zu spät sein. Die Weltgemeinschaft muss sehr schnell weit über die in Paris gemachten Versprechen an Emissionsreduktionen hinausgehen, um die Paris-Ziele zu erreichen. Dennoch, ohne die 25 Jahre UNFCCC wäre die globale Klimapolitik in einem noch viel jämmerlicheren Zustand, als sie es heute ist.
Was müsste südtirol- und weltweit passieren, um den Klimawandel signifikant aufzuhalten?
Weltweit muss es gelingen, bis 2030 die Emissionen von Treibhausgasen um über 50 % gegenüber 2019 zu reduzieren und bis 2050 Nettonull erreichen. Wenige Restemissionen müssten durch „negative“ Emissionen neutralisiert werden. Länder wie Südtirol sollten eher gegen 70-80 % Reduktion bis 2030 gehen, da andere, ärmere, klimatisch ungünstigere und politisch instabilere Länder sich immens viel schwerer tun werden, ihr Soll zu erfüllen. Auch kann Südtirol dann beispielgebend sein und mit anderen Partnerregionen innerhalb der EU Druck aufbauen.
Liegt es schlussendlich an jedem und jeder Einzelnen oder ist der Kampf gegen den Klimawandel eine globalpolitische Frage?
Es müssen alle Register gezogen werden, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Wie schätzen Sie den Einfluss von Bewegungen wie Fridays for Future und Scientists for Future ein?
Fridays for Future ist eine phantastische Bewegung mit der unumstößlichen Legitimation der jungen Generation. Sie ist einer der Gründe, dass der Klimawandel im Herbst 2018 sehr plötzlich in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit geraten ist. Die Scientists for Future tun sich anhaltend schwer, ihre Rolle zu finden. Die Beratung der F4F erfolgt durch Klima- und Klimawandelfolgenforscher, da braucht es keine S4F. Andererseits haben die S4F nicht mehr Legitimation als jede andere Gruppierung. Aber alles, was hilft, die sich anbahnende gesellschaftliche Transformation einigermaßen kontrolliert und schadensarm zu schaffen, soll recht sein.
Wie gehen Sie mit Leuten um, die dem Klimawandel skeptisch gegenüberstehen?
Dafür ist keine Zeit mehr.
Sie haben in vielen Gebieten der Welt geforscht, sind aber auch fasziniert von den hiesigen Gletschern. Wie steht es aktuell um unsere Gletscher in den Alpen?
Das mittlere Klima der letzten 20 Jahre ist für unsere Gletscher bereits zu warm.
Ist es möglich, dass die Gletscher komplett verschwinden?
Die Ostalpen werden, wie andere kleinere Gebirge weltweit, bald ohne Gletscher sein, in den Westalpen könnten im derzeitigen Klima ein paar Reste überleben.
Welche Maßnahmen müssten jetzt sofort getroffen werden, damit das Schmelzen eingedämmt werden kann?
Wir müssten die globale Mitteltemperatur um 0,5 – 1 °C gegenüber heute zurückdrehen.
Gibt es Möglichkeiten, die Gletscher zu retten, die heute noch nicht realisierbar sind, aber mit fortschreitender Technik in Betracht gezogen werden könnten?
Geo-engineering im globalen Maßstab könnte die notwendigen Temperaturen vielleicht herstellen. Es wäre ein weiteres globales Experiment, dessen Auswirkungen z.B. auf die Niederschläge unabsehbar wären. Es wird da und dort versucht, mit technischem Schnee und Abdeckungen Gletscherteile wirtschaftlich nutzbar zu halten. Das kann eine Zeitlang gelingen, aber je kleiner Gletscher werden, umso mehr werden sie von den umliegenden Gesteinsflächen erwärmt. Es gibt eine Reihe von mehr oder weniger verrückten Ideen zur Rettung einiger Gletscher, aber keine würde die eigentlichen Probleme des Klimawandels lösen.
Zum Schluss noch: Was waren die Highlights Ihrer Karriere? Können Sie uns zwei, drei „Sternstunden“ nennen?
Nach 10 Jahren bergsteigenden Studierens das sich Einlassen auf echtes Forschen und unmittelbar darauf das Doktorat; das erste genehmigte Forschungsprojekt in der Cordillera Blanca, das wegen der Aktivitäten des Sendero Luminoso nie realisiert werden konnte; das Arbeiten im IPCC („Weltklimarat“).
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Eine sehr schnelle gesellschaftliche Transformation hin zu einer ökologisch nachhaltigen, wirtschaftlich stabileren und letztendlich sozial gerechteren Welt.
Herr Prof. Kaser, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!