Das Weihnachtslied „Stille Nacht“ hat in Meran eine besondere Tradition
Im Winter 2018 von Dr. Luis Fuchs
Am Heiligen Abend des Jahres 1818 wurde das weltweit bekannte Lied komponiert und uraufgeführt. In der Meraner Pfarrkirche erklang das Lied 1918 zum 100-Jahre-Jubiläum in einer Originalbearbeitung des Komponisten. Geleitet wurde der Pfarrchor damals von Franz Xaver Gruber, dem Enkel des Liedkomponisten. Er wirkte von 1903 bis 1921 als Chordirektor des Meraner Stadtpfarrchores und war auch Präses des Katholischen Gesellenvereins.
Entstehung des Liedes am Heiligen Abend 1818 in Oberndorf
Die ausführliche Geschichte über die Entstehung und Verbreitung des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ verdanken wir diesem namensgleichen Enkel des Komponisten. Der Bericht darüber wurde 1905 unter dem Titel „Wie das Weihnachtslied 'Stille Nacht, heilige Nacht' entstanden“ im „Burggräfler“ veröffentlicht. „Es war am 24. Dezember 1818, als der damalige Hilfspriester Josef Mohr bei der Pfarre Sankt Nicola in Oberndorf (an der Salzach) dem den Organistendienst vertretenden Franz Gruber ein Gedicht überreichte mit dem Ersuchen, eine hierauf passende Melodie für 2 Solo-Stimmen samt Chor für Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen. Letztgenannter überbrachte am nämlichen Abend noch diesem musikkundigen Geistlichen seine einfache Komposition, welche sogleich in der Hl. Nacht mit allem Beifall produziert wurde.“
Zillertaler Sänger trugen das Weihnachtslied in die Welt hinaus
Dass das Lied nicht in Vergessenheit geriet, war einem einfachen Zufall zu verdanken. Nachdem die Orgel von St. Nikolaus in Oberndorf unbrauchbar geworden war, wurde im Jahr 1824 der bekannte „Orgelmacher“ Karl Mauracher aus Fügen im Zillertal gerufen. Er lernte das Lied kennen, es gefiel ihm, und er nahm es mit nach Tirol. Zillertaler Sänger, besonders die Geschwister Straßer und die Rainer-Sänger trugen es auf Tourneen durch Europa in ihren Konzerten vor. Anfang der Vierzigerjahre war das Lied bereits in Niedersachsen allgemein bekannt und zum Lieblingslied des kunstsinnigen Königs Wilhelm IV. von Preußen geworden, der es sich alljährlich während der Weihnachtszeit vom Berliner Domchor im königlichen Schlosse vorsingen ließ. Das Lied fand beinahe weltweite Verbreitung; in Hammerfest wurde es als „evangelisches Volkslied“ aufgenommen und in den Kirchen Nordamerikas fand es als „Choral of Salzburg“ Eingang. Mit der Verbreitung geriet der Ursprung des Liedes allerdings ganz in Vergessenheit, sodass die Komposition sogar dem Michael Haydn zugeschrieben wurde.
Im 1. Weltkrieg wurde „Stille Nacht“ auch an der Front gesungen
Wenn auch im 1. Weltkrieg die Wirren und das Völkermorden die Welt in ihren Grundfesten erschütterten, so stimmten Soldaten an mancher Front das Lied von der stillen, heiligen Nacht an. Franz Peterlechner, der sich einige Winter im „Filipinum“ aufhielt, veröffentlichte im Werk „Stille Nacht, heilige Nacht, Die Geschichte eines Volksliedes“ einige Feldpostbriefe von Soldaten an der Front. „Ein unvergesslicher Weihnachtsabend im Felde war es gewiss jedem, als auf einmal in die finstere Nacht hinein das weihevolle Lied 'Stille Nacht' erklang“, schrieb ein Soldat. All die Kriegsgräuel waren bei der Feldmesse am Weihnachtsabend vergessen, „wo der Sternenhimmel der erhabendste Dom war und die ringsum ragenden Dolomitenfelsen als die herrlichsten Säulen erschienen.“
In Meran wurde 1918 das 100-Jahre-Jubiläum vom Enkel des Komponisten festlich begangen
Nach Beendigung der Kampfhandlungen und Unterzeichnung des Waffenstillstandes im November 1918 konnte sich die Bevölkerung Merans endlich wieder auf ein friedvolles Weihnachtsfest einstimmen. Der „Burggräfler“ lud am 21. Dezember zu den Feierlichkeiten ein: „In der heurigen Weihnacht begeht das Mohr-Gruber'sche Weihnachtslied 'Stille Nacht' seinen 100. Geburtstag. Unser Pfarrchor bringt es in der Hl. Nacht nach der Christmette in einer Originalbearbeitung zur Aufführung, die unser Chordirektor Gruber, ein Enkel des Komponisten Franz Gruber sen., leitet.“ In derselben Zeitung kündigte der Chordirektor Gruber an: „Wieder ein St. Nikolaus-Gotteshaus wird die Stätte der Jahrhundertfeier sein, unsere liebe Pfarrkirche in Meran, in der das Lied in Originalbearbeitung des Komponisten für 2 Solostimmen, Chor, Streichquartett und 2 Hörner zur Jubelaufführung gelangen wird.“ Gruber bezog sich hier auf eine Bearbeitung des Liedes, die von seinem Großvater im Jahr 1845 erstellt worden war. Zur Darbietung des Liedes vermerkte der „Burggräfler“ am 28. Dezember: „Lautlose Stille herrschte unter den Andächtigen, alles war Ohr und Herz für das ewig schöne, stimmungsvolle Liedchen, das hier eine so prächtige Wiedergabe erfuhr.“ Die Zeitung berichtete weiters von einer denkwürdigen Aufführung in der überfüllten Pfarrkirche, Kriegselend und Hungersnot hätten die Gläubigen nicht vom Kirchgang zur Christmette abgehalten. Diese am Hl. Abend 1918 vom Pfarrchor St. Nikolaus gesungene „Hornfassung“ wird im „Österreichischen Musiklexikon“, herausgegeben vom „Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen“, als die musikalisch überzeugendste Version des Komponisten hervorgehoben. Zwar ist sie nicht in Meran entstanden, doch die Bezeichnung „Meraner Fassung“ ist dafür bei den Sängern des Stadtpfarrchores durchwegs geläufig.