Der alte Bürgermeister ist auch der neue Bürgermeister
Lesezeit: 6 minIm Herbst 2020 von Eva Pföstl
Meran hat einen neuen Bürgermeister – und es ist der alte! Paul Rösch hat Dario Dal Medico in der Stichwahl geschlagen. Mit 50,1 zu 49,9 Prozent, das sind genau 37 Stimmen Unterschied! Ein Gespräch mit dem neuen Bürgermeister über das Gestalten und Vermitteln, über Wünsche und darüber, was einen guten Bürgermeister ausmacht.
MS: Herr Rösch, was war das für ein Gefühl für Sie unmittelbar nachdem Sie mit 37 Stimmen die Stichwahl gewonnen haben?
P. Rösch: Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass mich die Auszählung nicht mitgenommen hätte. Schließlich war’s ein Krimi bis zur letzten Minute. Als das Ergebnis dann feststand, war da so etwas wie ein Mix aus Erleichterung und Freude. Freude auch für mein Team, das in den letzten Wochen extrem hart gearbeitet hat und bis zur letzten Minute gerannt ist.
MS: Wie zufrieden kann man mit einem Sieg sein, der so knapp errungen wurde?
P. Rösch: Dass es kein Erdrutschsieg werden würde, war von vornherein klar. Deshalb bin ich vor allem vor dem Hintergrund der Ausgangslage sehr zufrieden, die sich ja alles andere als einfach dargestellt hat. Ich bin zudem zufrieden, weil diesmal mehr Meranerinnen und Meraner überhaupt zur Stichwahl gegangen sind. Und nicht vergessen darf man auch, dass wir sowohl im ersten als auch im zweiten Wahlgang an Stimmen zugelegt haben. Man hat unsere Arbeit in den letzten fünf Jahren also nicht etwa abgestraft, sondern belohnt.
MS: Sie waren der erste „grüne“ Bürgermeister in Südtirol und eines Ihrer Hauptanliegen war/ist die Überwindung der ethnischen Grenzen. Hat Meran dies geschafft oder war diese Wahl doch auch eine ethnische Wahl?
P. Rösch: Wer das Wahlergebnis analysiert, wird zur vielleicht für viele überraschenden Feststellung kommen, dass es durchaus keine rein ethnische Wahl war. Insofern ist diese Wahl vielleicht auch zukunftsweisend. In jedem Fall aber arbeiten wir weiter daran, den ethnischen Aspekt, der die Politik in Meran so viele Jahre dominiert hat, in den Hintergrund zu drängen. Ich habe immer gesagt: Die Herausforderungen, denen wir als Stadt entgegengehen, haben keine Muttersprache.
MS: Sie haben im Wahlkampf immer wieder für eine „weltoffene Stadt“ plädiert. Was bedeutet das für Sie?
P. Rösch: Eine weltoffene Stadt ist eine, die über den Tellerrand hinausschaut, die sich wichtig, aber nicht zu wichtig nimmt, die den Vergleich sucht und schaut, was andere besser machen. Eine weltoffene Stadt ist zudem eine, die die Augen offenhält, um Herausforderungen, die auf sie zukommen, früh genug zu erkennen. Wir sind hier ja keine Insel der Seligen. Und schließlich ist eine weltoffene Stadt eine, die Vielfalt als Reichtum begreift und die Chancen nutzt, die mit ihr einhergehen.
MS: Wie soll die neue Stadtregierung zusammengesetzt werden?
P. Rösch: Diese Frage beschäftigt uns in den nächsten Wochen intensiv. Dann geht es um die Bildung einer tragfähigen Koalition, die sich dem Ziel verschreibt, unsere Stadt voranzubringen – und zwar ohne parteipolitische Schrebergärten zu pflegen. Klar ist: Eine von mir geführte Koalition folgt klaren Werten – Zusammenarbeit, Respekt, Toleranz, Transparenz, Mitbestimmung der Bevölkerung – und hat ein Ziel, nämlich weiter an einem Meran zu bauen, das sich in Richtung Nachhaltigkeit, Effizienz, Innovation und eines sozialen Ausgleichs bewegt.
MS: Welches Thema wollen Sie nun nach der Wiederwahl als Erstes anpacken?
P. Rösch: Es gibt drei Themen, die für mich Priorität haben. Erstens geht es um unseren Beitrag dazu, dass Meran so schnell und erfolgreich wie möglich aus der aktuellen Krise findet. Die zweite Priorität gilt weiterhin der Umsetzung unseres Mobilitätskonzepts, das die Stadt nachhaltig von Verkehr, Staus, Lärm und Abgasen entlastet. Und drittens hat uns dieser Sommer eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig es ist, die Stadt an die Folgen des Klimawandels anzupassen.
MS: Was wollen Sie anders machen als in der ersten Legislaturperiode?
P. Rösch: Unsere zweite Amtszeit wird sich in der grundlegenden Ausrichtung nicht von der ersten unterscheiden. Die Werte, die uns tragen, sind dieselben, die Ziele sind dieselben und auch der Stil – mein Stil – bleibt derselbe, weil ja der Bürgermeister derselbe bleibt. Ich denke aber, dass sich die zweite Amtszeit insofern von der ersten unterscheiden wird, als dass wir in den letzten fünf Jahren sehr viel Grundlagenarbeit geleistet haben, von der wir nun profitieren. Auch deshalb ist es so wichtig, dass uns die Meranerinnen und Meraner diese zweite Amtszeit ermöglicht haben.
MS: Was möchten Sie auf jeden Fall in den nächsten fünf Jahren durchsetzen?
P. Rösch: Wenn ich 2025 zurückschaue, dann hoffe ich, mich darüber freuen zu können, dass wir die Mobilität der Zukunft in Meran aufgegleist haben. Ich möchte mich auch darüber freuen können, dass die Basisdemokratie, dass die unterschiedlichen Formen des direkten Austauschs mit der Bevölkerung dermaßen verankert sind, dass es kein Zurück mehr geben kann. Ich hoffe, dass wir bei den großen Zukunftsprojekten – Mobilitätszentrum, Kasernenareal, Kavernengarage – die entscheidenden Schritte gesetzt haben. Und ich würde mich freuen, wenn unsere – dann zehnjährige – Arbeit im Befinden unserer Stadt, im Miteinander der Menschen, im Klima und in der Kultur Spuren hinterlassen hat.
MS: Ihre Gegner werfen Ihnen oft vor, Sie seien zu wenig wirtschaftsfreundlich. Wie werden Sie auf diese Kritik in Zukunft reagieren?
P. Rösch: Wir hatten immer schon und haben weiterhin ein klares Konzept, die Wirtschaft in Meran zu fördern. Das geht über die „normale“ Wirtschaftspolitik hinaus, indem wir an der Qualität und Zukunftsfähigkeit des Standorts Meran arbeiten. Meran zu einer nachhaltigen Stadt zu machen, ist Wirtschaftspolitik, weil der Umbau Aufträge für unsere Betriebe generiert und zudem das Image der Stadt stärkt. Dasselbe gilt für die Förderung der kleinen Kreisläufe, eines sanften Tourismus und einer Entlastung der Stadt vom Verkehr. Wer kauft schon gern irgendwo ein, wo er riskiert, vom Auto überfahren zu werden?
MS: Was macht einen guten Bürgermeister aus?
P. Rösch: Ein guter Bürgermeister muss zuallererst zuhören können und das, was die Leute sagen, ernst nehmen. Darüber hinaus darf er sich nicht zu wichtig nehmen. Auf dem Bürgermeistersessel zu sitzen, macht nicht allwissend und nicht unfehlbar. Eine gehörige Portion Demut tut deshalb gut. Und eine gehörige Portion Humor auch.
MS: Wie reagierte Ihre Familie auf die Wiederwahl?
P. Rösch: 2015 habe ich meiner Frau und meiner Tochter viel zugemutet. Plötzlich war ich eine öffentliche Person und dazu gehört, dass man immer wieder einmal ordentlich auf die Löffel kriegt. Damit mussten wir alle erst lernen umzugehen. Mittlerweile habe ich daheim meine zwei größten Fans, aber auch meine zwei schärfsten Kritiker. Und vor allem zwei Menschen, die mich tagtäglich daran erinnern, dass es ein Leben außerhalb des Rathauses gibt. Dafür und für den Rückhalt bin ich unendlich dankbar.
MS: Als Bürgermeister werden Sie weiterhin viele Kontakte haben. Fürchten Sie sich vor einer Ansteckung mit dem neuen Virus?
P. Rösch: Wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Meranerinnen und Meraner auch. Ich versuche, mich und mein Gegenüber mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen zu schützen, trage Maske, halte Abstand, wasche mir die Hände. Und zugleich versuche ich, in dieser so außergewöhnlichen, so schwierigen Zeit auch, so viel wie möglich Normalität beizubehalten, denn so ernst wir die Pandemie auch nehmen müssen: Wir dürfen nicht vergessen zu leben.