Der Marlinger Waal
260 Jahre Wasserwåsser zwischen der Töll und Lana
Im Frühling 2017 von Dr. Johannes Ortner
Mit rund 13 Kilometern Länge ist der Marlinger Waal nicht nur der längste Wasserwaal Südtirols ‒ er berührt auf seiner Strecke fünf Gemeinden ‒, sondern er führt auch durch eine ausgesprochen mannigfache Natur- und Kulturlandschaft, bedingt durch sonnen- und schattenexponierte Teilstücke. Im Frühling und im Herbst ist er ein beliebter Wanderweg, an dem viele Buschenschänke zum Verweilen einladen. Was gibt es Lieblicheres als an den Lebensadern der Burggräfler Landwirtschaft dem Murmeln und Plätschern des Wassers zu lauschen, unter Obstblüten den Tag zu verträumen und den Blick über das Meraner Becken schweifen zu lassen?
Neben der landwirtschaftlichen Nutzung zu Bewässerungszwecken sind die Waale (von alpenromanisch *aquāle „Wasserrinne“) auch für den Tourismus zu einem zentralen Anziehungspunkt geworden. Mit dem Happichler, dem Partschinser, dem Algunder, dem Kuenser, dem Riffianer sowie dem Schenner Waal wurden die großen Tragwaale des Burggrafenamts zur Meraner Waalrunde zusammengeschlossen. Zu jeder Jahreszeit ‒ besonders empfehlenswert an lauen Sommerabenden ‒ kann man auf den „Bedienungswegen“ des Waals ohne große Auf und Nieder dahinwandern: Waalwege eignen sich besonders für Senioren und Kinder. Und wenn der sonst so wandermüde Nachwuchs blühende Löwenzahnköpfe am rinnenden Wasser im Laufschritt begleitet ‒ dann wird das Exkursionsziel Waalweg zur Freude der Eltern zum Volltreffer!
...an der wöögen genombenen Wässer Wasser aus dem Marlinger Etschwahl...
(Marling, 14. Februar 1742, Schuldsobligationen der Marlinger und Tschermser Bauern gegenüber dem Karthäuserkloster)
Die Anlage des Marlinger Waals hängt eng mit dem Karthäuserkloster Allerengelberg zusammen, das 1326 in Karthaus/Schnals gegründet wurde. Zu seiner Ausstattung gehörten Weinhöfe im unteren Vinschgau, deren Erträge wohl nicht genügten, denn 1619 erwarb der Orden den Goidnerhof in Marling zum Preis von 7.500 Gulden. Neben Weingütern gehörten zum Hof auch Kornäcker, Wiesen und Weiden, die jedoch unter Trockenheit litten. Daraufhin bewog der Prior des Karthäuserordens, Michael III. Baych, im Jahre 1737 die Marlinger Gemeinde zum Bau eines Wasserwaals, den die Karthäuser zum Preis von 12.000 Gulden selbst errichten wollten. Diese Summe schien den Marlingern zu hoch, woraufhin sie den Bau in Eigenregie angingen, was die Arbeiten jedoch verzögerte. Gabriel von Froschauer, der Nachfolger Baychs, gelang 1756 die Vollendung des Waalbaus. Die Gesamtauslagen erreichten freilich 80.000 Gulden, was eine Versiebenfachung der veranschlagten Kosten von 1737 bedeutete. Zum Vergleich: Um 1735 kosteten 100 kg Weizen 3 Gulden, eine Maurerstunde 6 Kreuzer (1/10 Gulden). Wenn man eine Maurerstunde mit 30 € veranschlagt, verschlang der Marlinger Waal 24 Mio. €, das sind ca. die Kosten des anstehenden Küchelbergtunnels.
Die Karthäuser legten den Marlingern die Baukosten in Rechnung, die aber nur sehr langsam abgestottert wurden. Daher beschlossen die Deputierten Herren (= Interessentschaft) des Marlinger Etschwaals, mit dem Kloster und dessen capitalischem Begehren zu einer Abrechnung zu kommen, kurz ‒ es wurde ein Finanzierungsplan aufgestellt. In einem 1770 erstellten Anlaagsregister wurde der Restbetrag für das Kloster mit 4.878 Gulden und 2 Kreuzer festgelegt, verzinslicht an Georgi 1770. Für jede Wasserstunde wurde jedem der 185 Interessenten ein Betrag von 30 Kreuzern aufgebrummt, das entspricht 150 €/Wasserstunde auf vier Jahre. Das Kloster war jedoch selbst der größte Wassernutzer und musste laut Anlaagsregister sich selbst bezahlen. Die erfolgte Bezahlung wurde genauestens verbucht.
Da im Anlaagsregister auch Bauern aus Tscherms und der Lananer Vill aufscheinen, muss angenommen werden, dass der Marlinger Waal schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts seine Originallänge von heute aufwies!
Nicht sämtliche Auslagen konnten bezahlt werden, also wurde die Frist verlängert. Die Schulden sollten sich jedoch bald erübrigen, da im Jahre 1782 Joseph II. per Edikt alle Einsiedeleien und beschaulichen Klöster, darunter auch die Karthäuser, aufhob.
Die Wasserstunden wurden zunehmend günstiger und eine neue Einkehr auf der Töll erhöhte von 1837 an die Wassermenge des Tragwaals, zudem konnte man das überschüssige Wasser sogar verkaufen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es am Waal zu keinen außerordentlichen Instandsetzungsarbeiten, bis im Mai 1897 ein Mursturz von 18 Metern Breite den Waal verlegte und die Waal-Interessenten vor große Probleme stellte. Der Bezirkshauptmann von Meran beauftragte die Gemeindevorstehung von Marling in einem Protokoll zur Reparatur durch den Neubau einer gut gefugten und getheerten Holzkandelleitung auf Holzböcken. Das Jahr 1897 brachte schließlich große Umwälzungen: Mit dem Bau eines Stollens durch den Marlinger Berg durch die Etschwerke konnte man das Etschwasser direkt aus dem Sammelreservoir des E-Werks beziehen. Die ersten 800 Meter des felsdurchsetzten Waals bis zum Reservoir wurden aufgelassen, der Dienstweg auf Kunstbauten beibehalten. Die Wasserzufuhr wurde bei dieser Gelegenheit von 227 auf 303 Sekundenliter (zwischen 1. April und 11. November) erhöht.
Topografie und Verlauf
Die Einkehr des Marlinger Waals mit Holzwieren befand sich früher an der Brücke auf der Töll. Seitdem das Wasser dem Reservoir des E-Werks (1897) entnommen wird, ist der erste Abschnitt des Waalwegs ohne Begleitwaal. Allerdings ist der Weg durch felsdurchsetztes Gelände an teils senkrechten Wänden entlang der spektakulärste Abschnitt des Marlinger Waalwegs.
Beim Obermoar biegt das Gelände nach Süden, und der Weg führt von nun ab vornehmlich durch Obstwiesen und Weingüter. Vor uns breitet sich die Hangterrasse von Marling aus. Die meisten Wanderer nehmen von hier aus ihre Tour über den Waal in Angriff. Kioske, Schänken und Gaststätten laden zur Stärkung. Kurz vor der Waalrast durchquert der Waal den sogenannten Grotzen, den Hauptgraben südlich des Marlinger Ortskerns.
Im Bereich der Marlinger Mitterterz verläuft der Waal talein talaus entlang einer Vielzahl von Geländerücken und Gräben. Diese sind aus Moränenschutt aufgebaut, den die Eiszeitgletscher vor 10 bis 15.000 Jahren bei ihrem Rückzug hinterlassen haben. Besonders im Winter ist dieses besondere Landschaftsbild im Schein der Mittagssonne zu erkennen. Die Sonnenseiten der Moränenhügel sind mit Reben bewachsen, die Talsenken und Schattenseiten bilden Edelkastanienhaine, Obstwiesen und Hopfenbuchen-Niederwald. Eine Landschaft mit Wiedererkennungswert: daher wurde im Teil zwischen Waldschenke und Waalhorst ein Naturlehrpfad eingerichtet.
Einer dieser Moränenrücken wird mittels eines 50 Meter langen Lochs, des sogenannten Knappenlochs, durchstoßen. Das Konglomerat, in der Mundart Kåmpf, ist so fest, dass abgesehen vom Mündungsbereich kein stabilisierendes Mauerwerk vonnöten war!
Landschaftliche Glanzlichter bilden die zypressenumsäumte Schickenburg, der Lebenberger Gröben und die Querung der Weinleiten unter Schloss Lebenberg. Weiter geht es um den Guggenberger Bichl herum, vorbei am Tagfeiter Wetterkreuz, um das Geieregg sowie am Granitfels des Gutjahrknotts entlang.
Der Waal endet in der Lananer Vill, nachdem er den murträchtigen Raffeingröben mittels einer 10 Meter langen Holzwiere unterhalb des Glögglhofs überquert hat. Dort sammelt sich das Wasser in einem Verteilerbecken, das die Villner Interessenten zur Bewässerung ihrer Gründe benutzen.