Die Sennerei Algund
Im Herbst 2016 von Dr. Johannes Ortner
Milch ‒ Butter ‒ Käse, so steht’s weiß auf blau seit über hundert Jahren auf dem Verkaufs- und Betriebsgebäude der Sennerei Algund. Die Verarbeitung einheimischer Milch zu geschmackvollen Molkereiprodukten haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kleinsten Sennerei Südtirols zu ihrer Hauptaufgabe gemacht. An einem klammen November-Nachmittag treffen wir, das Team des Meraner Stadtanzeigers, Stefan Haller, den Geschäftsführer und er erzählt vom Auf und Ab der Sennerei in den letzten Jahrzehnten.
Die Algunder Sennerei wurde 1899 gegründet. Es ist auch das Baujahr des Sennereigebäudes, das in den letzten 20 Jahren an die EU-Bestimmungen angepasst wurde. Damals bestand im Algunder Talboden noch eine Mischwirtschaft aus Obst- und Weinbau sowie Viehwirtschaft. Ab den 1970er-Jahren hat sich die Landwirtschaft hin zum ertragreicheren Obst- und Weinbau verlagert, im Tal stehen seitdem die Ställe leer oder wurden durch Pensionen ersetzt. Zugleich wurden aber die umliegenden Bergbauernhöfe mit Seilbahnen und Zufahrtsstraßen erschlossen, sodass die Milch von einem viel größeren Einzugsgebiet rasch vom Berg ins Tal und in die Sennerei transportiert werden konnte. Kleinere Dorfsennereien schlossen ihre Tore und die größeren „Mittelpunkt-Sennereien“ blieben übrig.
Bergbauernhöfe in Steillage liefern hochwertige Milch
Heute wird die Milch von den umliegenden Bergweilern in die Sennerei Algund geliefert. Beteiligt sind 52 Höfe aus Vellau, Tabland, Partschins, Rabland, dem Naturnser Sonnenberg, Aschbach und Quadrat, die zwischen 800 und 1.500 Meter Meereshöhe liegen. Sie liefern insgesamt 7.500 kg Milch am Tag, das sind 0,7 % der Südtiroler Gesamtproduktion, die sich auf insgesamt 1 Mio. kg täglich beläuft.
Bergbauern sind in der Regel Nebenerwerbsbauern: die Frau im Stall, der Mann bei der Erwerbsarbeit, diese Kombination gibt es öfter als man meint! Die kleinen Betriebe verzichten auf Silage, gefüttert wird naturnah mit Grünfutter oder Heu von den eigenen steilen Leiten. Der luftige Sonnenberg ist für die Heugewinnung geradezu ideal. Gehalten wird gerne das genügsame Grauvieh, es benötigt wenig Kraftfutter, ist geländetauglich und wird bis zu 15 Jahre alt. Will ein Bergbauer im Haupterwerb sein Auskommen mit dem Einkommen bestreiten, muss er heute fast 25 Stück Vieh halten und auf eine Tagesleistung von 500 kg Milch kommen!
„Es hat in den 1970er-Jahren auch Krisenjahre gegeben, als der Sennerei nur mehr 1.300 kg Milch pro Tag zugeliefert wurde, da war der Betrieb am Rande der Schließung“, so Stefan Haller, „uns schlossen sich aber bald die Partschinser an und 1996 die Bauern des Naturnser Sonnenbergs ‒ und somit steht der Betrieb heute auf tragfähigem Boden“.
Verglichen mit anderen Alpengegenden geht es den Milchbauern in Südtirol einigermaßen gut: der Auszahlungspreis beträgt 57,52 Cent/kg, bei Bioqualität 64 Cent/kg und die Ziegenmilch wird mit 70 Cent/kg entlohnt. Je mehr Fett und Eiweiß, desto höher der Auszahlungspreis!
Dieser „faire“ Preis ist wichtig für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft, denn Auszahlungspreise von unter 20 Cent wie in manchen Gegenden in Deutschland sind skandalös und das Aus für eine kleinstrukturierte tiergerechte Landwirtschaft. Turbokühe mit 40-50 kg Milchleistung am Tag haben ihren Preis: sie werden nur 4-5 Jahre alt und benötigen einen ungeheuren Input an Kraftfutter.
Senner für eine Stunde
Stefan Haller führt uns zu einer Almhütte neben dem Sennereigebäude, die als Didaktikraum dient, denn der Zugang zum Produktionsbereich ist aufgrund strenger EU-Hygienebestimmungen für Gruppen in Straßenkleidung untersagt.
In der Mitte des Raums befindet sich ein achteckiger Tisch, an dem sich bis zu 16 Besucher an einem Arbeitsplatz zu schaffen machen können. Jetzt wird gekast! Auf die Innenfläche eines Käsekessels wird ein Lehrfilm projiziert und unter der fachkundigen Anleitung von Edith Haller stellen wir einen Algunder Frischkäse her. Die 38˚C warme, nicht homogenisierte Milch steht griffbereit, daneben eine Plastikkanüle mit perfekt dosiertem Lab, das in die Milch eingerührt wird. Nun wird die Milch mittels natürlichem Lab eine Viertel Stunde lang „dick gelegt“, damit die Milch gerinnt. In der Zwischenzeit erfahren wir Wissenswertes über das Kälberlab, den Verdauungsapparat der Rinder, den Stolz gehörnten Grauviehs, und lernen, dass man zur Herstellung von Graukas kein Lab benötigt und dass deutschem und holländischem Billigkäse gentechnisch verändertes Lab zugesetzt wird. Wie in Südtirol üblich, sind auch die Milchprodukte der Algunder Sennerei absolut gentechnikfrei.
Die Milch stockt!
Nach und nach entsteht auf der Milchoberfläche die sogenannte Gallerte, die mit einer Käseharfe (oder einem Messer) vorsichtig geteilt wird, bei Frischkäse in kirschgroße Stücke, bei Schnittkäse in Erbsengröße und bei Hartkäse in Weizengröße: der Käsebruch! Dabei sondert sich eine eiweißreiche grünliche Flüssigkeit ab: das Kaswåsser oder Kawåsser, zu deutsch Molke, im Ahrntal auch Jutte genannt. Milch besteht ja zu 86 % aus Wasser: aus 500 kg Milch entstehen 50 kg Käse, dabei fallen 450 Liter Molke an! Kuh- und Ziegenmolke wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in der aufstrebenden Kurstadt Meran als Zaubertrank zur Genesung von Rheuma und Verdauungsproblemen eingesetzt. Damals wurden zwischen April und Juni des Morgens frische Molken gegen Marken in eigenen Molkebechern ausgegeben. Heute noch werden Molkebäder in der Therme Meran angeboten und zum Brotbacken an Stelle des Wassers verwendet. Den Bauern diente das fettarme Kawåsser freilich als Schweinefutter.
Der Betrieb
Die Sennerei Algund verwaltet auch die Psairer Bio-Bergkäserei, die das Bio-Sortiment abdeckt, während in Algund nach konventionellen Kriterien produziert wird ‒ dabei bleibt die Algunder Sennerei in Südtirol die kleinste von 9 Milchhöfen (Burgeis, Meran, Bozen, Brixen, Sterzing, Bruneck, Toblach, Sexten).
Von den insgesamt 27 Angestellten arbeiten zehn in der Käseherstellung, fünf Personen arbeiten im Laden, vier im Magazin und zwei als Büroangestellte. Außerdem benötigt es zwei Milchsammelwagenfahrer. Die beiden Fahrer wechseln einander ab und haben jeden zweiten Sonntag frei, denn Kühe kennen bekanntlich keinen Sonntag. Im Vergleich zu den zig Kilometern, die Milchprodukte oft kreuz und quer durch die EU zurücklegen, handelt es sich um kurze Transportwege von der Milchsammelstelle am Berg bis zur Sennerei. Vier Mal monatlich kommt es zu einer stichprobenartigen Eingangsprüfung der Milchqualität.