Ein Pionier des Zusammenlebens in Südtirol
Im Winter 2019 von Philipp Rossi
Aldo Mazza kam von der kampanischen Küstenstadt Salerno Ende der 1960er-Jahre, als hierzulande der ethnische Konflikt noch heftig brodelte, nach Meran, wo er seit nun fast fünfzig Jahren lebt. In der Passerstadt gründete Mazza, der auch Italienisch als Zweitsprache in den deutschen Schulen unterrichtete, 1987 die Sprachschule und das Verlagshaus Alphabeta. 2017 wurde der Kulturschaffende für seine Verdienste um das Zusammenleben in Südtirol mit dem Ehrenzeichen des Landes Tirol ausgezeichnet.
Im Interview mit der Meraner Stadtanzeiger erzählt Aldo Mazza über seinen schwierigen Eintritt in die Südtiroler Welt, über die ethnischen Spannungen in Südtirol und über mögliche Lösungen des Konflikts.
MS: Sie sind 1968 wegen der Liebe zu einer deutschsprachigen Frau nach Meran gekommen. Wie sind Sie aufgenommen worden?
Aldo Mazza: Der Empfang war, gelinde gesagt, nicht sehr herzlich. Eine gemischte Ehe war damals noch ein Skandal. Aufgrund der Reaktionen hätte ich damals eigentlich sagen müssen: Auf Wiedersehen, hier gibt es keinen Platz für mich.
MS: Und was hat Sie bewogen, in Südtirol zu bleiben?
Aldo Mazza: Erstens die Liebe zu meiner Frau und zweitens habe ich versucht, zu verstehen, warum zum Beispiel die Familie meiner Frau so negativ auf mich reagiert und habe mich intensiv mit der Geschichte Südtirols befasst. Dies hat mir ermöglicht, die Haltung, die mir gegenüber eingenommen wurde, zwar nicht akzeptieren zu können, aber zumindest zu verstehen, warum es so war. Und dann habe ich Alexander Langer kennengelernt, der die feste Überzeugung vertrat, dass verschiedene Kulturen, auch wenn sie geschichtlich belastet sind, zusammen etwas aufbauen können. Dieser Ansatz von Langer hat mich sehr fasziniert und hat Südtirol für mich interessant gemacht.
MS: Wo gab es am meisten Probleme innerhalb der Familie?
Aldo Mazza: In meiner Familie habe ich im Kleinen das erlebt, was die Südtiroler Gesellschaft in den vergangenen fünfzig Jahren durchgemacht hat. Daheim stießen zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle aufeinander. Am deutlichsten kamen die Unterschiede zu Weihnachten zum Vorschein: Während meine Frau das traditionelle deutsche Weihnachtsfest mit einer Fülle an Dekorationen und einer besinnlichen Stimmung gewohnt war, bestand der Heilige Abend für mich im Wesentlichen in einem guten Fischessen, bei dem die ganze Familie zusammenkam. Im Laufe der Zeit haben wir die Hürden mit Kreativität gemeistert, indem wir beispielsweise die jeweiligen Bräuche und Gewohnheiten kombinierten. Es ging also darum, eine Synthese zu finden, eine Übereinkunft, bei der es keine Gewinner und keine Verlierer gibt. Und dieser Versuch, ein solches Gleichgewicht zu finden, wurde dann auch zu meiner Arbeit, zuerst noch als Lehrer, später mit Alphabeta.
MS: Und so haben beide Kulturen in Ihrer Familie überlebt?
Aldo Mazza: Ja, ich bin mit dem Ergebnis wirklich sehr zufrieden. Ich bin kein Tiroler geworden, meine Frau keine Italienerin, keine Verräterin. Unsere Kinder sind beides, Deutsche und Italiener und noch mehr. Und so leben verschiedene Kulturen mit Leichtigkeit zusammen, ohne strenge Regeln.
MS: Sie haben 2017 als erster italienischsprachiger Südtiroler das Ehrenzeichen des Landes Tirol erhalten. Hätten Sie sich das jemals träumen lassen?
Aldo Mazza: Nein, absolut nicht. Diese Anerkennung, die ich natürlich sehr ernst genommen habe und worüber ich mich sehr gefreut habe, kam völlig unerwartet. Ich sehe sie als Symbol für ein Südtirol, das inzwischen gewachsen und gereift ist und das die Präsenz der beiden Kulturen als Vielfalt, als etwas Positives sieht. Vor zehn Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen.
MS: Hat Südtirol also das Problem des ethnischen Zusammenlebens überwunden?
Aldo Mazza: Es hat sich viel verändert seit ich nach Meran gekommen bin. Heute haben wir auch dank unseres Autonomiestatutes ein geregeltes Zusammenleben, einen breiten Wohlstand, es gibt keine Gewalt. Die deutschsprachigen Südtiroler konnten sich, auch dank der Zugeständnisse Italiens, als Volksgruppe weiterentwickeln. Heute kann jedoch kein deutschsprachiger Südtiroler mehr mit gutem Gewissens sagen: Ich habe Angst, meine Sprache zu verlieren. Das ist einfach nicht mehr glaubwürdig. Freilich muss eine Minderheit immer wachsam bleiben, wenn es darum geht, das eigene Fortbestehen zu sichern, das bedeutet jedoch nicht, in ständiger Zukunftsangst leben zu müssen. Die italienische Sprachgruppe fühlt sich großteils frustriert und nach fast einem Jahrhundert immer noch nicht in Südtirol beheimatet. Den Italienern täte es gut, mehr Kontakte zum Territorium zu pflegen. Dies bedeutet freilich nicht, „deutsch“ zu werden und die eigene Identität zu verlieren. Wir haben es geschafft von einem Gegeneinander zu einem entspannten Nebeneinander zu kommen. Doch ein Miteinander haben wir noch nicht erreicht.