Fernwärme im Aufwind
Im Winter 2017 von Helmuth Tschigg
Alles begann mit einem ganz anderen Ziel: Die Firma Zipperle brauchte vor 10 Jahren für die zunehmende Produktion eine größere Dampfmenge. Eine neue Anlage wäre allerdings nur für die Sommer- und Herbstmonate notwendig gewesen, dann aber ab Mitte November bis in den Mai nicht mehr gebraucht worden. Also hat sich ein findiger Betriebsleiter der Firma Zipperle eine Lösung ausgedacht, nämlich die überschüssige Kapazität der neuen Heizanlage in den Wintermonaten für die Beheizung von Wohnungen einzusetzen. Anfangs dachte man hauptsächlich an das St.-Vigilplatz-Viertel, wo große Wohnblöcke noch mit veralteten Schwerölheizungen versorgt wurden.
So entstand eine Zusammenarbeit mit den Etschwerken, und dort, wo heute noch die Zentrale des Meraner Fernwärmenetzes steht, wurde eine Heizzentrale errichtet.
Das Herzstück dieser ersten Heizanlage ist ein amerikanischer Turbinenmotor, ähnlich dem in einem Düsenflugzeug. Nur mit dem Unterschied, dass dieser eine dreifache Nutzung hat:
- Der mit Erdgas betriebene Verbrennungsmotor treibt Flügelräder an, welche über ihre eigene Achse die Kraft, mit 15.000 Umdrehungen pro Minute, über ein Getriebe auf einen Stromgenerator übertragen. Der so gewonnene Strom wird teilweise von der Firma Zipperle gebraucht, der Rest wird ins nationale Stromnetz eingespeist.
- Die heißen Abgase (760 °C) erhitzen im Dampfgenerator das Wasser auf 186 °C, dabei entsteht heißer Dampf, den die Firma Zipperle zum Erhitzen, Pasteurisieren und Verdampfen von Beeren und Obst braucht.
- Weil die austretenden Gase noch immer 173 °C heiß sind, werden sie in weiteren Wärmetauschern zum Aufheizen des Fernwärmewassers auf 85 °C eingesetzt.
Danach ist das austretende Rauchgas nur noch 90 °C warm. In den Wintermonaten, wenn überall die Heizungen laufen, wird die ganze Heizkraft dieser speziellen Anlage für die Fernwärme eingespeist.
Doch schon bald war dafür die Kapazität des Turbinenmotors erschöpft. Es mussten zwei Heizkessel mit Pufferspeichern dazu gebaut werden, die eigentlich nur für den Einsatz bei einem Ausfall oder bei Revisionsarbeiten an der Turbine vorgesehen gewesen wären.
Der Komfort und die Erweiterung
Die problemlosen Anschlüsse, die guten Steuerungsmöglichkeiten und die effiziente zentrale Überwachung der Fernwärmeanschlüsse sprachen sich bald herum. So war die Verlegung neuer Leitungen in Untermais, außerhalb des Vigilviertels, bald eine logische Folge. Es kamen folgende Straßen und Stadtviertel dazu: Romstraße, Matteottistraße, Piavestraße, Petrarcastraße, Leopardistraße, Carduccistraße (mit Anschlüssen zum Theaterplatz, zur Freiheitsstraße und zum Rennweg). Bald darauf folgten Leitungen für die Goethestraße, Otto-Huber-Straße, Alfieristraße und die Zonen bis in das Gemeindegebiet von Algund. Die Stadtverwaltung von Meran schloss laufend die eigenen Immobilien an das Fernwärmenetz an, z.B. das Stadttheater, Gemeindegebäude wie Schulen und Kindergärten.
Als die Zentrale neben Zipperle voll ausgelastet war, suchte man nach anderen kombinierbaren Heizanlagen und kam dabei zuerst auf die Thermenanlage und dann auf die Meranarena. Es folgte ein Sicherheitskessel beim städtischen Bauhof. Überall stehen hochmoderne, effiziente „Wärmelieferanten“, die sich im Bedarfsfalle automatisch dazu- oder abschalten.
Bei der Zusammenarbeit mit dem Siliziumwerk sind dann leider die Produktionsschließung und ein möglicher Konkurs dazwischengekommen, sodass keine Wärmerückgewinnung mehr stattfindet. Geblieben und in Funktion ist dort aber eine riesige Druckhalteanlage, die stets die Druckunterschiede der ganzen Meraner Fernheizung kompensiert.
Inzwischen gehen die Nachfragen nach Anschlüssen kontinuierlich weiter. Dort, wo die Hauptleitungen gelegt sind, kommen die Anrainer selbst und lassen sich anschließen.
Die Zusammenarbeit
Bei der Verlegung der isolierten Fernwärmerohre in der Stadt spielten viele Stellen zusammen, allen voran die Gemeindeverwaltung, die am umweltfreundlichen Heizsystem wegen der Luftverbesserung besonders interessiert war und zügig die Baugenehmigungen erteilte. Die Stadtwerke, die durch die bestehenden Infrastrukturen besonders betroffen waren, mussten überall mitplanen und mitreden: Ob Trinkwasser, Abwasser oder Stadtgas, alle diese unterirdischen Leitungen müssen berücksichtigt werden, wenn Grabungen erfolgen. Wo es ging, wurden auch Strukturen erneuert, die erst später hätten saniert werden sollen. Auch die Strom- und Telefonleitungen waren betroffen sowie die Straßenbeleuchtung. Dass wegen dieser Tätigkeiten die Straßen oft lang gesperrt waren, wurde von den Bürgern großzügig akzeptiert.
Die Luftqualität
Als Fernwärmekunde braucht man sich nicht mehr um Heizöl oder Gas zu kümmern, man braucht keinen Heizungsfachmann und keinen Kaminkehrer. Zu diesen praktischen Vorteilen kam nach einigen Jahren dazu, dass sich die Luftqualität in Meran im Allgemeinen stark verbesserte. Ob dies den abgeschalteten Schwerölheizungen, den besseren Autos oder der geringeren Anzahl von Holzheizungen zuzuschreiben ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Jedenfalls gibt es schon lange keine Feinstaubbelastungen mehr, die zu Fahrverboten geführt hätten. Dieser ökologische Effekt findet in der heutigen Zeit immer mehr Beachtung. Vielen Familien ist es heutzutage wichtiger, zu wissen, dass sie eine umweltschonende Heizung haben, als sich zu fragen, wie viel teurer oder billiger das jeweilige Heizen ist.
Die Lieferanten
Um die von den Meraner Familien gebrauchten Kalorien liefern zu können, stehen zurzeit fünf Produktionseinheiten zur Verfügung:
- die Kraftwärme-Koppelungsanlage COGE in Untermais neben Zipperle
- 2 Heizkessel und 4 Pufferspeicher auf dem Ex-Bosin-Areal, Brogliatistraße
- 2 Heizkessel und 2 Blockheizkraftwerke in der Therme Meran
- 1 Blockheizkraftwerk in der Schwimmhalle Meranarena, Gampenstraße
- 1 Sicherheitskessel am Bauhof, Goethestraße
Die Stoßzeiten
Eine Besonderheit sind die Pufferspeicher auf dem Ex-Bosin-Areal. Vielen sind die riesigen Behälter schon aufgefallen. Warum es diese braucht, ist leicht zu erklären. Das Meraner Fernwärmenetz hat zurzeit 382 Anschlüsse. Nachdem in einem Haus oft Dutzende Familien einen gemeinsamen Anschluss haben, kann man annehmen, dass jetzt schon ein Viertel der Meraner Bevölkerung an der Fernwärme hängt, also damit heizt und das Warmwasser aufbereitet. Und fast alle haben in der Nacht die Heizung ausgeschaltet oder wenigstens zurückgedreht. Um 5.30 Uhr früh wird die Heizung gestartet, und zwar auf Hochtouren, damit es schön warm ist, wenn man aus dem kuscheligen Bett steigt. Diese Praxis, in der Nacht abzuschalten, wird auch von der Stadtgemeinde gefördert, die es in Meran nur erlaubt, täglich 14 Stunden zu heizen. Aus heizungstechnischer Sicht und für die Bausubstanz der Gebäude ist diese Regelung bedenklich und wahrscheinlich nicht Heizkosten sparend.