Fiakerdynastie Brusenbach
Im Herbst 2013 von Dr. Johannes Ortner
Der 80-jährige Franz Brusenbach aus Algund ist – wie man so schön sagt – ein Original: klein und drahtig, mit wachem Blick und eine nimmer versiegende Quelle an Anekdoten, Erinnerungen und Bonmots zur Geschichte der Kurstadt Meran. Aufstieg und Fall der Fiakerei Brusenbach sind eng mit der Belle Époque, den Wirren zweier Weltkriege und dem Beginn des Massentourismus verknüpft. Über ihn und seine Fiakerei hat Carmen Tartarotti aus Schlanders im Jahre 1996 den Film Franz Brusenbach. Der Letzte Fiaker gedreht. ORF, ZDF und RAI (zuletzt 2013 anlässlich des Traubenfestes) besäßen, so Franz Brusenbach, meterweise Ton- und Filmmaterial über ihn.
Bis zum Ende seiner Tätigkeit als Fiaker im Jahre 1992 sah man ihn Posthorn blasend auf seinen Kutschen, gezogen von Zwei-, Vier- oder Fünfspännern, am Sandplatz stehen. 1992 wurden nämlich die Wirtschaftsgebäude am Pitsch-Toblhof beim neuen Meraner Krankenhaus abgerissen – und Franz Brusenbach fand keine neuen Stallungen für seine Pferde und den Fuhrpark. Dort, wo er bis dahin die Stallungen angemietet hatte, befindet sich heute der Landeplatz für Rettungshubschrauber. Das in dritter Generation bestehende Fiakerunternehmen musste zusperren.
Damals wollte Franz Brusenbach dem Land seine 65 Kutschen, Postkutschen und Stellwägen umfassende Sammlung zur Verfügung stellen, in der Hoffnung, dass das Land Südtirol ein Kutschenmuseum einrichtet. Im Gegenzug sollte das Land ihm sieben Pferdeboxen für seine letzten sieben Fiaker-Schimmel überlassen. Ein solcher Tausch, der mit einer Kunstsammlung später wie geschmiert lief, ist damals nicht zustande gekommen. “Meine 65 Gguutschn fressn di Holzwirm au!”, bedauert Franz Brusenbach – und das sei eine Schande im Museumsland Südtirol, denn die Fiakerei und das Kutschenwesen gehörten zur Verkehrsgeschichte und prägten das Städtebild des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entscheidend – bis das Automobil zu seinem Siegeszug antrat.
Allen Widrigkeiten zum Trotz unternahm seine Nichte Susi Debiasi einen neuen Anlauf: Die Pferde wurden in Stallungen in Hagen/Untermais untergebracht. Aber die Geschäfte laufen schleppend: alle zwei Jahre zum Kutscher-TÜV – und wenig Kundschaft. “Die Gäste rennen zum Bus, Tirol hinauf, Meran hinunter, umsteigen, Schenna hinauf. Die Leute haben's für eine gemächliche Kutschenfahrt heutzutage einfach zu eilig,” so Franz Brusenbach.
Was ist ein Fiaker?
Mit Fiaker wird eine zweispännige Lohnkutsche, aber auch der Kutscher selbst bezeichnet. Außerhalb Österreichs, Ungarns (fiáker), Kroatiens, Serbiens (fijaker) und Bayerns ist im deutschen Sprachraum noch die Bezeichnung Droschke verbreitet.
Das Wort Fiaker ist ein Lehnwort aus dem Französischen, da im 17. Jh. der Pferdehändler Nicolas Souvage in der Rue de Saint Fiacre einen Standplatz für Kutschenfahrten hatte. Diese Straße ist nach dem Hl. Fiacrius benannt, einem Einsiedler des 7. Jahrhunderts, der von Irland nach Frankreich gelangte und dessen Patrozinium am 30. August gefeiert wird. Er ist – wie könnte es anders sein – der Schutzpatron der Kutscher, Taxifahrer, Gärtner und Spängler.
Was ist eine Fiakerei?
Eine Fiakerei ist ein Fiaker-Unternehmen und diente dem Gäste-Transport in einer Zeit, als es noch keine Automobile gab – vergleichbar mit dem heutigen Taxidienst. Ein Fiaker-Unternehmen stellte zwei Kutscher an und besaß bis zu fünf Pferde. Heute wird die Fiakerei Brusenbach-Debiasi für Hochzeits-, Jubiläums-, Geburtstags-, Kinder- und Stadtrundfahrten gemietet oder bei Festlichkeiten wie dem Traubenfest eingesetzt.
Im Gegensatz zu den Fiakereien beförderten Fuhrunternehmen Güter wie Getreide, Holzstämme, Sägemehl und Schotter. Seit dem Siegeszug der Eisenbahn wurden diese Dienste von Speditionsunternehmen übernommen.
Die Posthaltereien hingegen waren die Vorläufer der Autobusdienste. Die Post- und Tälerkutschen wurden in der Regel von zwei Pferden, im Falle von Alpenüberfahrten auch von fünf Pferden gezogen. Der Teissenwirt in St. Leonhard befuhr beispielsweise die Strecke Meran – St. Leonhard und retour, die Familie Berger von der Post in Gries bediente die Linie Bozen – Sarntal, die Familien Karner, Flora, Wunderer und Peer betrieben das Postwesen im Vinschgau. Um 7 Uhr früh wurde am Meraner Kornplatz abgefahren und mittels fünf Umspannpferden (fünfmaliger Pferdewechsel) kam die Post um 18 Uhr in Landeck an. Am 15.06.1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurde dieser „Express-Dienst“ mit Pferden eingestellt.
Wie hat alles angefangen?
Der Großvater von Franz Brusenbach stammte aus Landkron in Böhmen, wie übrigens auch die Konditorei-Dynastie König sowie der frühere Fiaker Otto Himmel in Obermais. Der Großvater Franz Brusenbach – der Vorname Franz besteht schon in vierter Generation – kam zuerst nach Igls bei Innsbruck und arbeitete im Grand Hotel Igler Hof als Hof- bzw. Lohnkutscher. Im Jahre 1900 zog es ihn auf einem Reise-Landauer (= ein zweitüriger Wagen, der vier Gästen Platz bietet) weiter in die Kurstadt Meran, eine Adresse, wo sich der europäische Hochadel die Klinke in die Hand gab. Dort heuerte er bei der damals größten Kutscherei Himmel in Obermais an. Seine Pferde standen im damaligen Habsburger Hof (heute Hotel Bellevue), wo er als Lohnkutscher arbeitete. Dazu muss man wissen, dass die großen Hotels wie der Habsburger Hof, Tiroler Hof (Auffinger, später Metropol), Bayrische Hof, Kaiserhof (zwischenzeitlich Excelsior) sowie der legendäre Meraner Hof Stallungen besaßen, wo die Lohnkutscher ihre Pferde unterstellten und in den „Kutscherkammerlen“ übernachteten. Wegen dieser Stallungen führten die Hotels den Zusatz „Hof“ im Namen! Bei Bedarf und gegen Lohn wurde der Gästetransport durchgeführt. Im Gegensatz zum Lohnkutscher, der einem heutigen Mietwagen-Unternehmer entspräche, stand der Fiaker an einem fixen Standplatz.
Bis zum 1. Weltkrieg besaß die Fiakerei Brusenbach 38 Pferde und zahlreiche Gespanne. Dann der Einschnitt des Ersten Weltkriegs: 1915 zog das Tiroler Kaiserregiment 32.000 Speditions-, Fiaker- und Bauernpferde und 39.000 Mann nach Galizien ab. 5.600 Soldaten kehren zurück – ohne ein einziges Pferd. Nach dem Krieg der mühsame Wiederaufbau – bald jedoch musste man erkennen: den „pferdelosen Kutschen“, dem Automobil, gehört die Zukunft.
Während der Großvater weiterhin mit Pferden fuhr, erwarb der Vater von Franz Brusenbach in Turin einen Fiat 506 Cabriolet und einen Fiat 507, den einen als Mietwagen in der Garage, den anderen als Taxi. Die erste Benzinsperre von 1934 zwang viele Automobil-Dienstleister in die Knie, zudem wurden 1935 alle Pferde für den Abessinien-Feldzug Mussolinis beschlagnahmt, mit der Folge, dass alle 18 Fiakerei-Unternehmen Merans (u. a. Himmel, Stief, Steiner, Platter, Fraccaro und Morandell – letzterer bestand noch bis 1957) aufgelöst wurden. Es folgten die mageren Kriegsjahre, in denen Brusenbachs mit Mehl und Holzbrügel „fuhrwerkten“.