Franz Lanthaler
Die Bilder meiner Kindheit tragen die Farben meines Dialektes.
Im Herbst 2022 von Eva Pföstl
Franz Lanthaler, der in Rabenstein in Moos in Passeier geboren ist und schon lange in Meran lebt, ist ein umfassend gebildeter Humanist mit einer unerschöpflichen Energie, wenn es um die Menschen in unserem Lande geht, und vor allem, wenn es um die Sprache geht, in all ihren Varietäten, Nuancen und Gebrauchsformen. Jahrzehntelang hat er sich mit der Erforschung der Sprache beschäftigt und das Anliegen der Förderung von Sprache, Sprachbewusstheit und Sprachkultur in unserer Heimat mit Herz und Hirn vertreten und es zugleich in Schule und Öffentlichkeit gelebt. In vielen Beiträgen und Büchern hat er sich mit der Sprachlandschaft Südtirols, der Mehrsprachigkeit oder den Umgang mit Sprache in der Schule befasst. In ganz besonderer Weise hat er sich unschätzbare wissenschaftliche Verdienste zur Sicherung der Spuren des Dialekts erworben. Wir haben Franz Lanthaler zum Gespräch getroffen.
MS: Herr Lanthaler, welche Farbe trägt Ihr Dialekt?
F. Lanthaler: Mein Dialekt hat sehr schöne Farben. Es sind die Farben von frischen Sägespänen auf Schnee, das helle Grün der ersten Fichtensprossen, der Glanz von fernem Firn in der untergehenden Sonne; die Farben und Bilder einer unverfälschten, unverbauten Natur eben.
MS: Warum ist Dialektforschung wichtig?
F. Lanthaler: Dialektforschung ist so wichtig wie jede Sprachforschung, denn ohne sprachliches Bewusstsein verlottert unsere Kultur. Erst die Dialektforschung hat vielen Leuten klar gemacht, dass der Dialekt, der ihre erste Sprache ist, auch eine vollwertige Sprache ist; dass sie nicht ein Kauderwelsch reden, sondern eine Sprache mit Regeln und Grammatik, welche zwar nicht festgeschrieben ist, aber in den Köpfen aller existiert, die sie sprechen.
MS: Wie ist eigentlich die sprachliche Vielfalt in Südtirol entstanden?
F. Lanthaler: Unsere sprachliche Vielfalt hat sich durch die Jahrhunderte herausgebildet. Zunächst durch die Vermischung der einwandernden Baiern mit den romanisierten Rätern, die das Land bereits bewohnten, dann durch die Abgeschiedenheit der einzelnen Täler in unserer Berglandschaft, und nicht zuletzt durch den Kontakt mit den romanischen Idiomen im Süden und Westen von uns. Die Entwicklung der Städte und die Herausbildung neuer Gesellschaftsschichten hat zu einer weiteren Differenzierung der Sprache geführt.
MS: Wer zum Thema Dialekt forscht, muss einen Blick weit zurück in die deutsche Sprachgeschichte werfen, um manche lautlichen Besonderheiten oder Wörter zu erklären. Kann man Dialekte als sprachliche Fossilien bezeichnen oder verändert sich der Dialekt in unserer mobilen und multikulturellen Gesellschaft?
F. Lanthaler: Das Besondere am Dialekt ist, dass er für beides steht: für Kontinuität, indem er sehr viel Altes bewahrt, aber auch für Veränderung, da er nicht wie die Standardsprache verschriftlicht und festgeschrieben wird. Sprache dient in erster Linie immer der Kommunikation zwischen den Menschen, und ein Fossil kann das nicht leisten. Aber, ja, im Dialekt bleibt uns vieles erhalten, was einmal die Lebenssituationen einer kleinen Region betraf. Die Hochsprache hat vieles davon abgelegt, weil sie alle Inhalte abdecken muss, die die gesamte Gesellschaft betreffen.
Oft wird jedoch vergessen, dass auch die Hochsprache vom Dialekt profitiert. Seit es ein Variantenwörterbuch gibt (2004), gehört auch das Wort Grammel zum Südtiroler Standard. Es kommt von it. gramola (Flachsbrechel) und ist im Dialekt dann für ein entsprechend umgebautes Gerät für die Brotgrammel verwendet worden und so ist uns das Wort erhalten geblieben.
Aber natürlich nimmt der Dialekt auch neue Wörter auf und passt sich den Gegebenheiten in der Gesellschaft an. So werden wir zwar sagen es schnaip(t), aber die Pisten hobm a Beschnaiungsonloge.
MS: Kann man den jungen Passeirer heute noch von einem jungen Meraner unterscheiden und die junge Frau aus dem Ahrntal von ihrer Alterskollegin aus dem Sarntal? Oder verschwinden die typischen Merkmale der Taldialekte zunehmend?
F. Lanthaler: Zwar ist es richtig, dass viele markante Dialektmerkmale verschwinden und dass die Jungen schon anders reden als die Alten, aber vieles erhält sich der Dialekt und man hört immer noch, woher die Leute kommen. Auch der junge Passeirer sagt immer noch Lampler, und nicht Lamplen oder Lamplan, und die Ahrntalerin sagt Muito, und nicht Muater. Und zu den Hausschuhen, die in Meran Påtschn heißen, sagt man im Pustertal Pfössn, im Sarntal Tåppar und im Passeier Tåttlin (das å steht für ein helles o).