Gefährliches Naiftal
Geschichten rund um ein Marterle auf Labers bei Meran
Im Herbst 2019 von Dr. Walter Egger
Die steil abfallenden Berglehnen des Naiftales, das sich schluchtartig von Mais bei Meran gegen den Ifinger hinaufzieht, waren immer schon Schauplatz tödlicher Unfälle. Seit jeher setzten die abschüssigen, von Felswänden unterbrochenen Waldungen speziell die Holzarbeiter lebensbedrohenden Gefahren aus. Auch Streu- und Pechsammler früherer Zeiten waren nicht minder bedroht. Verschiedene Steige führten hier auf kürzestem Wege – mit entsprechend hohem Gefälle – von Labers nach Hafling. Den Steilheitsgrad betont nicht zuletzt der bildhafte Flurname „Katzenleiter“, wie sich ein markierter Wandersteig zwischen Labers und Hafling heute noch nennt. Diese Steige und Wege haben Opfer gefordert. Das schroffe Gelände wurde so manchem unvorsichtigen Wanderer oder späten Heimkehrer in der Dunkelheit oder bei Eis und Schnee zum Verhängnis. Davon zeugen noch vereinzelte Gedenktafeln aus Holz, sogenannte Marterlen, die zum besinnlichen Innehalten anregen. Bei den „Pillelen“ nannten die Laberser eine kritische Stelle im Wald, wo bis vor nicht allzu langer Zeit drei an einem Baum befestigte „Bildelen“ an verunglückte Personen erinnerten. Eines dieser Marterlen ist Mitte Juni wieder angebracht worden. Der mittlerweile verstorbene Maler Karl Götsch hatte es restauriert und in seiner Werkstatt zum Abholen hergerichtet. Da der unbekannte Auftraggeber aber nicht erschienen ist, hat an seiner Stelle der Heimatpflegeverein Obermais dafür gesorgt, dass die Gedenktafel wieder ungefähr an den Ort zurückkehrt, wo am 26. August 1875 der Bauer Josef Gögele, Kleinhanser in Labers, durch einen tragischen Sturz sein Leben verlor. Die genaue Absturzstelle ist nicht mehr bekannt.
Unfallhergang
Die Meraner Zeitung berichtet, dass Josef Gögele, vormals Besitzer, nun Pächter des Kleinhanshofes in Labers, mit seinen Knechten im Naiftal Holzfällerarbeiten verrichtete, als ein junger Knecht sich mit der Axt in den Fuß hackte, sodass er blutend vom Bauern nach Hause geführt werden musste. Auf dem abwärtsgehenden Heimweg, wenige Meter von einem Abgrund entfernt, entfiel dem durch den Blutverlust geschwächten Knecht ein kleines Holzgeschirr (= Bütterle, Pitterle), wie es gewöhnlich von den Arbeitern mit einem Trunk „Piccolowein“ (= Leps) zur Waldarbeit mitgenommen wurde. Der Bauer wollte es noch auffangen, glitt aber aus und stürzte über eine haushohe Felsenwand in die Tiefe. Der Knecht schleppte sich noch allein so weit, bis er Hilfe fand, doch als diese, der Bruder des Bauern, an die Unglücksstelle kam, war Gögele schon verschieden. „Das auf der Brust getragene Skapulier um die Hände gewickelt, den Blick zum Himmel gerichtet, lag er entseelt da“, so beschrieb die Zeitung die Auffindung des so plötzlichen aus dem Leben gerissenen Bauern, Ehegatten und Familienvaters.
Wer war Josef Gögele?
Der verunglückte Bauer war ein Schwaigersohn. Sein Vater hatte 1814 den Schwaigerhof übernommen und in der Folge Maria Tratter geehelicht, die ihm drei Söhne gebar: Johann, Josef und Alois. Der 1818 geborene zweite Sohn erhielt den Namen Josef nach dem gleichnamigen Vater und seinem aus Schenna/Verdins stammenden Großvater, der den Schwaigerhof 1802 von Peter Trenkwalder erworben hatte. Nach der Übergabe des Schwaigerhofes an den ältesten Sohn Johann kauften die abtretenden Eltern 1848 das Schlossgut Labers, auch Kleinhansgut genannt, um es zwei Jahre später ihrem zweitältesten Sohn Josef zu überlassen.
Der junge Schlossgutsbesitzer heiratete daraufhin Katharina Hölzl, eine Kripplertochter von Obermais. Von den zehn Kindern aus dieser Ehe überlebten ihn der Sohn Josef und die Töchter Katharina, Magdalena, Maria, Elisabeth und Anna.
Viele Jahre war Josef Gögele Mitglied des Gemeindeausschusses von Obermais und erfreute sich allgemeiner Achtung. Doch finanziell geriet er in immer größere Schwierigkeiten. Die Schuldenlast drückte schließlich so schwer, dass er sich gezwungen sah, das Schlossgut nach 25-jährigem Besitz zu veräußern. Mit Kauf- und Pachtvertrag vom 6. April 1875 ging Schloss Labers mit allen zugehörigen Gütern um 30.000 Gulden ins Eigentum von Frau Daria/Dorothea von Obonkhow geb. Baronin von Wrangel über; die Gattin des kaiserlich-russischen Rittmeisters a.D. Peter Obonkhow aus Russland weilte zu der Zeit als Kurgast in Obermais.
Josef Gögele behielt sich das Recht vor, sämtliche verkauften Liegenschaften für weitere zwei Jahre pachtmäßig zu nutzen. Doch nur vier Monate darauf fiel der nunmehrige Pächter dem tödlichen Unfall im Naiftal zum Opfer. Die rückgelassene Witwe und die sechs, teils minderjährigen Kinder standen plötzlich mittellos da. Über deren Schicksal ist derzeit nur bekannt, dass die Tochter Anna 1899 in Partschins gestorben ist.
Die Brüder Johann und Alois Gögele
Josefs älterer Bruder Johann übernahm 1846 von seinem Vater den Schwaigerhof, den er 22 Jahre bewirtschaftete und schließlich 1868 verkaufte, um dafür den Grieserhof in Obermais an sich zu bringen. Als junger Schwaigerbauer ehelichte er Maria Ladurner, eine Widmairtochter in Plars bei Algund. Er war eine der bekanntesten Persönlichkeiten in Mais. Mehrmals wurde er in den Gemeindeausschuss und von 1872 bis 1875 zum Vorsteher der Gemeinde Obermais gewählt. Die Popularität verdankte er nicht zuletzt seinem hervorragenden Ruf als Bauerndoktor und insbesondere als Spezialist im Blutstillen. Der „alte Grieser“ starb 1892 im Alter von 75 Jahren. Seine Tochter Maria verh. Pircher erbte den Hof.
Der jüngere Bruder Alois kaufte 1853 den benachbarten Metznerhof. Wie Josef vor ihm, heiratete auch er eine Kripplertochter, nämlich Barbara Hölzl. Als diese 1864 starb, verband sich der Witwer in zweiter Ehe mit Maria Wieser aus Völlan. Er verschied 1904 im hohen Alter von 84 Jahren. Den Hof hatte er zwei Jahre zuvor seinem mittlerweile 47-jährigen, gleichnamigen Sohn Alois, verehelicht mit Maria Gänsbacher aus Sarnthein, überschrieben. Der zweite Sohn Josef kam durch Heirat und Kauf 1907 in den Besitz des Hilberhofes in Obermais, während Johann, einziger Spross aus zweiter Ehe, 1898 den Karnerhof in Labers erwarb. Direkte Nachkommen des alten Metznerbauern leben gegenwärtig am Metzner-, Karner-, Kiendl - und Hilberhof.
Schloss Labers, auch Kleinhans genannt
Im 17. Jahrhundert befand sich Schloss Labers im Besitz der Familie Kleinhans aus Latsch im Vinschgau. Die Brüder Abraham und Adam Kleinhans hatten 1594 das Schlossanwesen erworben, das dann über 100 Jahre im Besitz dieser Familie verblieb. Seitdem wurde der Ansitz nach den Inhabern auch Schloss Kleinhans genannt. Die Erben verkauften das Gut schließlich 1699 an Johann Anton von Bombardi.