Haus der Ewigkeit
Der jüdische Friedhof in Meran
Im Herbst 2017 von Dr. Johannes Ortner
Vom Stadt- und Soldatenfriedhof durch eine Umfassungsmauer getrennt, verbirgt sich hinter dem Eisengitter mit dem Davidstern der jüdische Friedhof Merans. Er ist ein einzigartiges weit über Meran hinaus weisendes Denkmal, welches wie vielleicht nur der evangelische Friedhof die Glanzperiode einer k.u.k.-Kurstadt ersten Ranges widerspiegelt.
Joachim Innerhofer, Leiter des jüdischen Museums in Meran, kommt angeradelt und sperrt den Friedhof auf, der bis vor kurzem untertags frei zugänglich war. „In den letzten Jahren hatten wir leider unliebsame Vorkommnisse zu beklagen. Man hat den Friedhof für Parties mit Alkohol und Zigaretten missbraucht“. Hinzu kam ein antisemitischer Vorfall. „An das Eingangstor hat irgendjemand eine Gasflasche angebracht“, so Joachim Innerhofer, der seine Kippa aufsetzt und mich in den Friedhof bittet. Auch ich weiß, dass Männern der Zutritt zum Friedhof nur mit einer Kopfbedeckung gestattet ist.
900 Quadratmeter Erde
Man betritt einen Ort mit besonderer Ausstrahlung, einen nach jüdischer Anschauung „guten Ort“, einen Ort der Erinnerung und weniger der Trauer. Die meisten Gräber ‒ alle nach Osten ausgerichtet ‒ werden nicht streng in Beete gefasst. Gras und Hortensien wachsen unter schützenden Zypressen und Zedern, man ordnet mit gelassener Hand. „Jüdische Gräber werden nicht so übertrieben gepflegt wie es in der katholischen Tradition der Fall ist“, erklärt Innerhofer. Natürlich kommen nur mehr wenige Nachkommen, um sich der Verstorbenen zu erinnern. „Erst vor ein paar Wochen war die Familie Samuely zu Besuch. Eine Schwester ihrer Vorfahren, Sonja Samuely, ist 1921 als 22-jähriges Mädchen in einem See ertrunken“, weiß Joachim Innerhofer und weist auf ein Grab mit polnischer Inschrift.
Als Zeichen der Erinnerung werden kleine graue Steine auf den Grabstein gelegt. Dieses Ritual ist uralt und stammt aus einer Zeit als große Steine im Heiligen Land den in Leinen eingebundenen Leichnam beschwerten, um ihn vor dem nächtlichen Zugriff wilder Tiere zu schützen.
Beim Durchschreiten stehen wir vor einfachen aber auch stattlichen Gräbern wie z. B. jenes von Markus Steinsberg, dessen ritueller Name Mordechai Chaim lautete. „Große prunkvolle Gräber wie im Christentum waren im Judentum bis zum 19. Jahrhundert unüblich. Die Gräber sollten sich alle ähneln, denn Reichtum und Ansehen zu Lebzeiten sollen andere Tote nicht in den Schatten stellen“, so Innerhofer. Im Tod sind alle Menschen gleich.
Geschichte des jüdischen Friedhofs
Der jetzige jüdische Friedhof wurde 1908 eingeweiht, dank den unermüdlichen Bemühungen des damaligen Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde Friedrich Stransky. Der alte, 1873 errichtete „israelitische Friedhof“ war 1696 qm groß und befand sich in südlicher Verlängerung des alten katholischen und evangelischen Friedhofs (nun Marconipark) im Bereich zwischen der Stadtgärtnerei in der Innerhofer- und der Kinderkrippe in der Maiastraße.
Um in den 1870er-Jahren einen angemessenen Platz für einen jüdischen Friedhof zu finden, regte der Kurarzt Raphael Hausmann (siehe „Das besondere Grab“) den Frankfurter Baron Isaak Königswarter und dessen Gattin Lisette an, zum Andenken an ihren 1871 verstorbenen Sohn Emil eine Summe von 60.000 Gulden zu stiften. Mit dem Geld war die „Königswarter-Stiftung“ in der Lage ein Grundstück bei der heutigen Stadtgärtnerei zu erwerben. In der Folge wurden mit den Mitteln der Stiftung noch ein Sanatorium für mittellose Juden (1893) sowie gleich angrenzend, in der heutigen Schillerstraße, die Synagoge (1901) errichtet.
Bet Olam – Haus der Ewigkeit
„Aber gibt es im Judentum nicht die Unantastbarkeit der Totenruhe? Ein Grab müsste am selben Ort doch ewig weiterbestehen?“ Joachim Innerhofer pflichtet meiner Frage bei. „Es war in der Tat äußerst schwer, die Gräber nach der Aufgabe des alten Friedhofs umzubetten. Nach 1908 verstorbene Juden sind natürlich auf dem neuen Friedhof begraben worden“.
Mit den faschistischen Rassengesetzen von 1938 begann eine große – auch finanzielle – Not- und Zwangslage der jüdischen Gemeinde, die darin gipfelte, dass die Gemeinde Meran im März 1941 das Grundstück um 40.000 Lire erwarb. Mit dem Gewinn sollte wenigstens eine schonende Überführung der Grabsteine und Inschriften, die auf Geistesgrößen wie Moritz Lazarus oder Daniel Spitzer hinwiesen, ermöglicht werden. Unter „normalen“ Umständen wäre die Ruhestätte nie verkauft worden. In der Folge wurden die meisten Grabsteine des alten Friedhofs geraubt bzw. zerstört und die Gebeine in einem Massengrab im neuen Friedhof bestattet. Ein Gedenkstein von 1942 verzeichnet alle 670 auf dem alten Friedhof bestatteten Juden. Abschließend sei noch erwähnt, dass beim Bau des Thermenhotels vor gut 10 Jahren eine Granit-Grabplatte mit hebräischer Inschrift geborgen wurde. Sie befindet sich nun ebenfalls am Friedhof.
An der südlichen Begrenzungsmauer ist ein Teil des Friedhofs ohne Gräber. Bei der Projektierung hatte man natürlich gedacht, dass die jüdische Gemeinde (zur Blütezeit gehörten ihr 600 Mitglieder an) weiter wachsen würde. Niemand konnte sich das Verbrechen der Shoa ausmalen, das nur wenige Jahrzehnte später die moralischen Grundfesten Europas erschüttern und eben dieses Europa seiner geistig-kulturellen Substanz berauben sollte.