Kafka-Jahr in Meran
„Franz Kafka, Beamter, Prag“ im Hotel Emma
Im Herbst 2020 von Veronika Rieder
Mit diesem knappen Eintrag bestätigt die „Burggräfler Zeitung“ am 8.4.1920 Kafkas Ankunft in Meran. Als Schriftsteller kannten ihn damals nur wenige Freunde und Bekannte. Sein Brotberuf war der eines Juristen in der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, deren Vorgesetzte seine Arbeit schätzten.
Welches Meran sah Franz Kafka im April 1920? Nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs, der italienischen Besetzung im November 1918 und der späteren Annexion war die Bevölkerung ausgelaugt, die Wirtschaft lag am Boden. Meran war nicht unmittelbar durch Kämpfe betroffen, aber ein Großteil der männlichen Bevölkerung stand als Soldat im Krieg, der Lebensmittelmangel wurde immer schlimmer – im Juli 1918 erhielt jeder Meraner pro Woche 22 dkg Fleisch und 16 g Butter sowie 300 g Mehl und 1.680 g Brot pro Kopf für je zwei Wochen. Der Kurbetrieb war zusammengebrochen. Viele Hotels, Pensionen und Sanatorien dienten als Lazarette, in einigen waren nach der Besetzung italienische Truppen einquartiert. Umso größer war die Leistung von Gemeinde, Wirtschaftstreibenden und provisorischer Verwaltung, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, Betriebe zu renovieren und mit bescheidenen Mitteln wieder für Meran zu werben. Bis 20.9.1920 trafen 1.930 Gäste ein, am 18.2.1921 erwartete man die 10.000ste Ankunft.
Warum fiel Kafkas Wahl ausgerechnet auf Meran? Natürlich war der Kurort vor dem Krieg in ganz Europa berühmt gewesen, aber der Grund ist viel nüchterner: Franz Kafka hatte auf Empfehlung seines Arztes einen sechswöchigen Aufenthalt in einem deutschen Bad buchen wollen, aber keine Einreisegenehmigung erhalten. Nach einigem Zögern entschied er sich für Meran. Über die Fahrt schreibt er seiner Schwester Ottla:
„Die Reise war sehr einfach. … Die Francs habe ich nicht gebraucht, es werden offenbar, wenn sich die Reisenden an ein bestimmtes System gewöhnt haben, sofort neue Systeme eingeführt, die weitere Karte war in österr. Kronen zu zahlen; ... Die Lire waren in Innsbruck ganz leicht zu wechseln.“ (Briefkopf Gasthof Emma, Meran, Pragserwildsee, Stempel Meran, 6.4.20)
Franz Kafka litt an TBC und erhielt immer wieder von seinem Arbeitgeber großzügige Krankenurlaube bewilligt. „... mehr oder minder fehlerhafte Lungen hat halb Westeuropa …“ schreibt Kafka im April 1920 an Frau Milena Jesenská. Da die Behandlung durch Antibiotika noch nicht bekannt war, bedeutete TBC für die allermeisten Erkrankten das Todesurteil. Der evangelische Friedhof Merans birgt zahlreiche Gräber verstorbener Kurgäste.
Die Ärzte empfahlen den geschwächten Patienten leichte Bewegung, ausreichende Ernährung – Kafka berichtet mehrfach in seinen Briefen vom Milchtrinken und von leichten Gewichtszunahmen – sowie Liegekuren. Dabei sollten die Kranken täglich etliche Stunden leicht bekleidet an der Sonne liegen. Die Loggien im Hotel Frau Emma und in der Pension Ottoburg waren dafür denkbar geeignet.
Dorthin war Kafka nach einigen Tagen Aufenthalt im Emma, einem der ersten Hotels in Meran, übersiedelt. Am „Emma“ rühmt er zwar „… die großen freien Räume, das Zimmer selbst, der Speisesaal, die Vorhalle, selbst wenn man Bekannte hat, ist man frei, unbedrückt, …“, aber als eher zurückgezogenem und sparsamem Menschen mit einigen auffallenden Essgewohnheiten behagte ihm die Pension Ottoburg mehr, obwohl er schreibt „... die kleine Pension hat dagegen etwas von einer Familiengruft, nein das ist falsch, etwas von einem Massengrab.“ Seine letzte Nachricht von dort ist eine am 28.6.1920 gestempelte Postkarte: