Kulturgut „Unterer Untermaiser Mühlwaal“
Ein Waal ohne Waalweg
Im Frühling 2018 von Dr. Walter Egger
Stilles Frühlingserwachen: In den Waalen rinnt wieder das lebenspendende Wasser. In den letzten Wochen, noch bevor die weiß-rosa Blütenpracht in den Obstanlagen einsetzt, haben die „Waaler“ dafür gesorgt, dass die Rinnen der seit Allerheiligen unterbrochenen Wasserläufe rechtzeitig von Ablagerungen und Unrat geräumt und instandgesetzt wurden.
Einkehr
Zu den ältesten Waalen, die unsere Gegend in unterschiedlicher Höhenlage queren, zählt zweifelsohne der untere Untermaiser Mühlwaal, der mit 600 Sekundenlitern zu den wasserreichsten, aber mit 3 km Länge auch zu den kürzesten gehört. Während sein Namensbruder, der obere Untermaiser Mühlwaal, auf Schenner Gemeindegebiet hinter der Landesfischzucht von der Passer abgeleitet wird, befindet sich die Einkehr des unteren Mühlbaches unterhalb der Postbrücke, zentral im Meraner Stadtbereich. Der Einkehrkanal mit dem horizontalen Rechen zur Abwehr von Schwemmgut ist an der linksseitigen Ufermauer des Passerbettes nicht zu übersehen. Er speist sowohl den Untermaiser Mühlbach als auch den unterhalb der Passerterrassen bei der Theaterbrücke abzweigenden Greitenwaal. Der Kanal entstand in dieser Form erstmals 1906 anlässlich der Verbreiterung der Giselapromenade (= Kurpromenade) und der damit verbundenen Einengung des Flussbettes. Um von der Bezirkshauptmannschaft die Baugenehmigung zu erhalten, musste sich damals die Stadtgemeinde Meran verpflichten, nicht nur die rechte, sondern auch die linke Ufermauer auf die gleiche Höhe aufzumauern und die Wasserableitungen der bestehenden Waale so herzustellen, dass diese in keinerlei Weise erschwert würden. Da anfänglich die Bauausführung nicht den gestellten Bedingungen entsprach, musste die Stadtgemeinde nach Protesten der Untermaiser und auf Druck der Bezirkshauptmannschaft die Arbeiten an der Einkehr zweckentsprechend nachbessern.
Waalverlauf
Rund 50 Meter nach dem Rechen lenkt eine Schleuse, die heute per Funk gesteuert wird, den Großteil des gefassten Wassers in den Durchlass der Ufermauer. Durch eine Rohrleitung fällt es zunächst senkrecht in die Tiefe, unterquert den Thermentunnel und steigt auf der anderen Seite, am Beginn der Garibaldistraße, wieder empor. Die Strömung durch den im Jahr 2003 erbauten, sogenannten Siphon erfolgt mit Eigendruck nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren, wonach Flüssigkeiten in miteinander verbundenen Gefäßen sich allseits auf dem gleichen Niveau einpegeln.
Unterirdisch geht es gleich weiter links der Garibaldi-Allee entlang, unter der Petrarcastraße hindurch zur „Stamsermühle“, dann weiter durch die Harmoniestraße und Markthallengasse, an der Westgrenze der Untermaiser Grundschule, des Kindergartens und der Pfarrkirche vorbei, um endlich nach dem „Müllerhaus“ in der Etschmanngasse wieder ans Tageslicht zu kommen. Nur einzelne Bodenluken und Eisengitter verraten seinen, den Blicken der Passanten entzogenen Verlauf. Erst beim Untermaiser Friedhof, auf der Strecke von der Etschmanngasse bis zum Wiesenweg zeigt sich der Waal noch in seinem traditionellen, natürlichen Gerinne. Der kurze, ihn begleitende Steig erinnert an den Waalsteig, den der „Waalhirt“ einst regelmäßig zu begehen hatte, um den Wasserlauf zu beaufsichtigen.
Beim Pichlmair teilt sich der Mühlbach, hier zweigt der Angerwaal ab, der die Wohnsiedlung am Vigilplatz unterirdisch durchfließt und in den Auen endet, während der Mühlwaal im weiteren verrohrten Verlauf nahe der Romstraße die noch nicht verbauten Obstwiesen erreicht, den Naifbach – ebenfalls in einem Siphon – unterquert und letztlich sein Restwasser diesem Bach übergibt.
Frostberegnung
War das Waalwasser früher nur für die Bewässerung bestimmt, so dient es heute – zu Frühlingsbeginn – einer weiteren für die Obstwirtschaft existenziellen Aufgabe, nämlich der flächendeckenden Frostberegnung. Bei den nicht seltenen Kälteeinbrüchen in den Aprilnächten soll es die temperaturempfindlichen Blüten vor dem Erfrieren schützen. Der Laie staunt, wenn ihm Fachleute erklären, dass die Eisschicht den Bäumen nicht schadet, sondern im Gegenteil, dass die beim Beregnen entstehende Gefrierwärme (!) die zarten Blüten vor Frostschäden tatsächlich bewahrt. Während des Jahres wird nie so viel Wasser verbraucht, wie in den Frostnächten. Da kann es schon vorkommen, dass die Wassermenge nicht ausreicht, um den zunehmenden Bedarf zu decken. Durch den Zusammenschluss mit dem oberen Mühlwaal versuchen die Landwirte, dem Mangel zu begegnen. Vier leistungsstarke elektrische Pumpen erzeugen den nötigen Druck in den Hunderten von Regnern, die hauchfeine Schleier von Wassertröpfchen auf Bäume und Blüten versprühen.
Gewerbe
Wie der Name „Mühlwaal“ oder „Mühlbach“ schon ausdrückt, diente der Waal früher nicht nur der Bewässerung, sondern auch gewerblichen Zwecken. Mit der Wasserkraft wurden vor allem Mühlen, Stampfen, Sägewerke und die schweren Hämmer und Schleifsteine der Schmiedewerkstätten angetrieben. Aktenkundig sind folgende:
- Spitalmühle, unterhalb der Spitalkirche im Spitalanger – nur urkundlich erwähnt
- Tiergarten- oder Weidmühle, Ecke Garibaldistraße/Romstraße – 1964 abgebrochen
- Stamsermühle, Romstraße 90 – einst Besitz des Klosters Stams; 1779 bereits in Privatbesitz
- Schmied hinter der Kirch, Piavestraße 55
- Hellrigl-Säge, Piavestraße 57, 61 – heute Kondominium „Alte Schmiede“
- Müllerhaus oder Köstbammühle, untere Etschmanngasse 30, 32
- Schmiede beim Schmiedhof, Wiesenweg 10
- Mühle und Knochenstampf beim Pichlmair, Bäckergasse 19
- Säge beim Pichlmair, auch Pirpamersäge genannt, Bäckergasse 17