Mary de Rachewiltz
Burgherrin, Übersetzerin, Dichterin und Erbin des amerikanischen Dichters Ezra Pound
Heuer am 1. November jährt sich zum 50. Mal der 50. Todestag von Ezra Pound. Auf der Brunnenburg hat seine Tochter Mary eine Ezra Pound Gedächtnisstätte errichtet. Angefangen hat jedoch alles in Brixen – und wie so oft spielte der Zufall eine wichtige Rolle.
Von den drei Schlössern, die im Norden über Meran den Talkessel beherrschen, in der Mitte am höchsten Punkt mit breiter Brust das Schloss, dem das Land Tirol seinen Namen verdankt, im Westen flankiert von Thurnstein und im Osten von der Brunnenburg, ist Letztere mit ihrem Schnörkelwerk aus Zinnen und Türmchen bestimmt die eleganteste. Der Fantasie eines Romanciers scheinen auch die Geschichten entsprungen zu sein, die man sich über die Brunnenburg erzählt. Im 19. Jahrhundert investierte der Industrielle Karl Schwickert aus Pforzheim riesige Summen in die Restaurierung im romantischen Zuckerbäckerstil. Doch über dem Unternehmen waltete kein guter Stern. Schwickerts Gattin stürzte tödlich vom Balkon – die Leute munkelten von einem inszenierten „Unfall.“ Wenige Jahre später rutschten Teile der Zubauten in den Keschtengraben – weil nicht auf Fels, sondern auf Sand errichtet. Der hoffnungslos verschuldete Schwickert warf das Handtuch, es folgte der Erste Weltkrieg, dann übernahm die Opera Nationale per i Combattenti die Burg und ließ der Natur viel Zeit, das graue, steinerne Bollwerk in ein Dornröschenschloss zu verwandeln.
Wachgeküsst haben es Boris und Mary de Rachewiltz – als Prinz mit russisch-langobardischen Vorfahren hat man Verpflichtungen, deshalb hielt Boris Ausschau nach einer standesgemäßen Bleibe, der Steinhaufen war außerdem günstig zu haben. Aber was hätte er ohne Mary gemacht? War Boris ein Meister im Charmieren und Pläneschmieden, so brachte Mary als gelernte Schafhirtin und Absolventin des Mädchen-Gymnasiums bei den Suore Montalve in Florenz eine solide Bodenhaftung mit. Boris begeisterte sich für die „Torre Romana“ und stöberte auf der Suche nach vergrabenen Schätzen in dunklen Ecken herum. Unterdessen hielt Mary die Handwerker auf Trab und kämpfte gegen den Regen, der durch das undichte Dach eindrang. Außerdem waren die beiden Kinder zu versorgen, Siegfried und Patrizia. Mary dichtete und übersetzte die Werke ihres Vaters, des amerikanischen Avantgarde-Dichters Ezra Pound. 1958 sollte die Brunnenburg für den aus Amerika zurückkehrenden, schwer gezeichneten Pound zum sicheren Hafen werden. Im Zweiten Weltkrieg hatte Pound die Partei Mussolinis ergriffen und wurde dann von den Amerikanern 12 Jahre in eine psychiatrische Klinik in Washington D.C. gesperrt. Pound kam mit Entourage auf die Brunnenburg: Da war seine Gemahlin Dorothy Shakespear, Vertreterin der Avantgarde-Bewegung des Vortizismus. Da war auch Marcella Spann, eine bildhübsche Englischlehrerin, große Pound-Bewunderin, sie war 26, er 63, die klassische Kombination – offiziell galt sie als „Sekretärin.“ In Rapallo harrte unterdessen Olga Rudge aus, Pounds langjährige Geliebte und Marys Mutter. Während des Krieges hatten Pound, Olga und Dorothy zeitweilig unter einem Dach gewohnt, Pound wusste stets geschickt mit mehreren Bällen zu spielen. 1958 erwartete Mary auf der Brunnenburg also eine nicht ganz leichte Aufgabe: Diese sehr gemischte Gesellschaft bei Laune zu halten.
Angefangen hat jedoch alles in Brixen. Warum dort? Mit Schwung zieht Mary die Vorhänge im Rittersaal der Brunnenburg zurück. Kurz auf das Gewusel um die Einkaufzentren und Wohnkasernen am ausfransenden Stadtrand Merans blickend, wendet sie sich dann zum hohen Saal um, wo heute Boris´ Kunstschätze und Bücher aufbewahrt werden: „Hier habe ich früher Windeln aufgehängt!“, sagt Mary, und schüttelt ungläubig lächelnd ihren Kopf. Wie die Zeit vergeht! Im Juli wird Mary 97. Und am Allerheiligentag jährt sich zum 50. Mal der Todestag ihres Vaters, der, so sieht es Mary, wegen seiner Faschismus-Begeisterung nicht die gebührende Anerkennung erhält. Der Zufall wollte es, dass Mary in Brixen zur Welt kam. Ihre Mutter Olga, eine erfolgreiche Geigerin, habe nämlich ihre Schwangerschaft verheimlichen müssen, erzählt die alte Dame. „Ihre Eltern waren stockkonservative Katholiken, sie fürchtete, vom Vater kein Geld mehr zu bekommen. Ein uneheliches Kind hätte womöglich das Ende ihrer Karriere bedeutet.“ Pound und Dorothy hatten sich in Rapallo niedergelassen, wo es ein blühendes internationales Kulturleben gab. Für Olga, die Geliebte, fand der schlaue Dichter die Casa 60 in Sant´Ambrogio, eine halbe Gehstunde bergauf von Rapallo – weit genug entfernt, um kein Aufsehen zu erregen, und doch für Schäferstündchen leicht erreichbar. Als sich im Jahr 1925 der Sommer näherte und Olgas Bauch immer dicker wurde, beugten sich Pound und seine Muse über die Landkarte: Sie suchten nach einem Ort in Italien, möglichst weit weg von Rapallo, wo Olga unerkannt ihr Kind gebären könnte. Dass damals im Krankenhaus von Bressanone, so war es auf der Landkarte eingezeichnet, niemand italienisch sprach, war nicht einkalkuliert. Auch nicht, dass die Oberschwester Olga schikanierte – weil sie von dort unten, von „den Walschen“, kam. Olga konnte kein Deutsch – auch sie mochte die deutschsprachigen Südtiroler nicht. Ihr Bruder Arthur hatte im Ersten Weltkrieg gegen sie gekämpft, 1915 ist er gefallen. Das Neugeborene wurde als Maria Rudge getauft. Der Vater, so ließ Olga ins Taufbuch eintragen, heiße Arturo Rudge. Viele Jahre später las Mary den Eintrag. „Klingt ein bisschen verrückt“, sagt sie. „Besagter Arturo war niemand anderer als Olgas vor 10 Jahren gefallener Bruder!“